WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von Drogenkonsum.
Sommer 2010, am Rande von Berlin.
Wir sind 13 und wir wollen was erleben. B. streut Tabak in eine kleine kupferfarbene Pfeife. R. hat sie mir gegeben, ich habe ihn danach gefragt. R. sagt, er hat sie aus Prag mitgenommen. R. ist nicht dabei, B. und ich sind zu zweit, das hier ist etwas für beste Freunde hier. Wir sitzen auf der Steinterrasse einer verlassenen Fabrik, die Sonne scheint durch die jungen Bäume, die überall wachsen. In unserem Bezirk gibt es viele dieser Plätze. Wir kommen oft hierher, wenn wir unsere Ruhe haben wollen. B. fragt, ob ich anfangen will, wäre ja schließlich meine Idee gewesen. Ich nicke und bekomme die kleine Kupferpeife rübergereicht. Auf dem braunen Tabak liegen grünliche Stücke, nicht viel, vier oder fünf Krümel vielleicht. Sie sind klein und ich denke an Oregano. Mit einem Feuerzeug in der einen Hand und der Pfeife in der anderen sitze ich da und werde nervös. Ich werde gleich etwas Verbotenes tun. Spice rauchen. Knisternd verbrennen die grünen Stücke mit dem Tabak und ich inhaliere den Rauch tief ein. Das hatten wir uns so beigebracht, immer tief einziehen.

Spice ist eine Droge und besteht zum einen aus Pflanzenteilen und zum anderen aus synthetischen Cannabinoiden, die einfach drauf gesprüht werden. Es sieht aus wie klein gemachtes Cannabis, hat jedoch eine ganz andere Wirkung. Ursprünglich wurde Spice in Großbritannien entwickelt und legal vertrieben. Auch in Deutschland fand Spice einen reißenden Absatz in Headshops und im Onlinehandel. Beworben wurde das Legal High mit: „Räuchermischung zum Beduften von Räumen.“
Nur wurde Spice nicht zur Raumerfrischung verkauft, sondern um es zu rauchen. Der Trick beim Verkauf war, dass nach dem Verbotskatalog des Betäubungsmittelgesetzes zwar THC als natürliches Cannabinoid längst verboten war, synthetische Cannabinoide aber nicht. Der Unterschied von beidem ist der molekulare Aufbau. Die Wirkstoffe in Spice knüpfen an die gleichen Rezeptoren wie THC an, sind aber verschieden aufgebaut. 2009 wurde Spice in Deutschland offiziell verboten, jedoch bekam man es damals immer noch unter der Hand in Headshops. Und genauso bekamen wir es auch.
Ich weiß nicht mehr, wer damit anfing. Ob es L. war, die sagte, sie kenne am Frankfurter Tor ein Laden, ob es B. war, der meinte es mal ausprobieren zu wollen, oder ich, der es sich einfach hatte holen lassen von L. Ich weiß es nicht.

B. und ich sitzen jetzt hier komplett high. Nach den ersten Zügen fängt es zuerst an mit Lachen. Wir lachen über alles. Ich mache einen Witz und B. brüllt vor Lachen. Weil B. brüllt, brülle ich auch. Wir können uns kaum beruhigen. So geht es eine Stunde. Hätte jemand uns entdeckt, hätte er zwei kichernde Dreizehnjährige gefunden, mit breitem Grinsen im Gesicht. Wir beruhigen uns wieder und beschließen mehr zu rauchen. Das erste Gefühl war unfassbar, jetzt wollen wir mehr. Ich will mehr.
Während ich die Pfeife wieder mit Tabak und Spice fülle, fängt B. an zu sprühen. Mit einer Spraydose zieht er Linien an der Wand. Ich schaue ihm zu, während ich das Spice in die Pfeife drücke. Diesmal ist es mehr. Ich zünde wieder an, ziehe und gebe nach ein paar kräftigen Zügen B. die Pfeife. Dann hebe ich ab.
Spice war als Modedroge Ende der 2000er so beliebt, da es eine legale Alternative zu Cannabis war und mittels Drogentests nicht nachgewiesen werden konnte. Wer beispielsweise wegen Kiffen Probleme mit seinem Führerschein hatte, der konnte auf die Kräutermischung zurückgreifen.
Das Gefährliche an Spice ist, dass es unberechenbar ist. Synthetische Cannabinoide wirken anders als THC. Vor allem können sie potenter sein, was zu heftigeren Rauschzuständen oder Psychosen führen kann. Lebensbedrohlich für die Konsument:innen sind jedoch die Zusätze neben den synthetischen Cannabinoiden. 2018 starben in den USA zwei Menschen, nach dem sie Spice geraucht hatten und 54 weitere Personen wurden mit starken Blutungen in Krankenhäuser gebracht. Das Blut kam ihnen dabei aus dem Mund, den Ohren, der Nase oder den Augen. Auslöser war der Wirkstoff Brodifacoum, der bei den Betroffenen nachgewiesen werden konnte. Brodifacoum wird zur Herstellung von Rattengift verwendet.
Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu lebensbedrohlichen Vorfällen mit Spice. 2017 warnte die Berliner Polizei vor Unbekannten, die Jugendliche in Berlin Mitte oder Nähe der Warschauer Straße Joints anboten, sie ziehen ließen und kurze Zeit später ausraubten, da die Betroffenen ohnmächtig wurden. Die zugesetzten Chemikalien verlangsamten Herzschlag und Atmung, führten zu stundenlangem Erbrechen und Krämpfen oder Schaumbildung vor dem Mund.
Wir wissen davon nichts. Vorher hatte L. uns gesagt, das sei wie Gras. Richtig harmlos, wir sollen es nur nicht übertreiben. Sie gab uns ein Gramm. Eine kleine Tüte voll mit diesem grünen Zeug.
Immer wieder meinte sie vorher, paar Krümel würden reichen. Ich glaube ihr nicht.

Deswegen rauche ich auch meinen dritten Pfeifenkopf und schaue B. beim Malen zu. Er sagt, er will nicht mehr. Ihm sei ein bisschen mulmig. Ich zucke mit den Achseln, ziehe die ihm hingehaltene Pfeife zurück und nehme selber einen Zug. Ich stelle mir vor, ein Raumschiff zu sein und es funktioniert. Mit meinen Händen vor dem Gesicht laufe ich im Kreis um B. herum. Ich mache Geräusche wie ein kleines Kind und fühle mich wie Skywalker aus Star Wars. Scheiße ist das gut. Ich stammle etwas von Klontruppen, dann wird mir schwarz vor den Augen. Ich kotze, meine Atmung geht schnell, mir wird heiß. B. steht hinter mir und lacht. Ich erbreche mich ununterbrochen, B. hört auf zu lachen. Ich sage, ich will nach Hause, alles dreht sich. B. packt zusammen. Ich liege auf dem Boden, Laub klebt an meinen Sachen, ich will weg. Ich kann nicht mehr richtig denken, B. sagt immer wieder zu mir oder sich selbst, dass wir jetzt gehen. Er hilft mir auf, ich kann kaum laufen. Um von dem verlassenen Grundstück der Fabrik zu kommen, müssen wir einen kleinen Hang hinunter, wieder hoch, durch einen kaputten Zaun und einen Weg durch das Gebüsch nehmen. Im Gebüsch verändert sich meine Sicht, ich sehe alles nur noch in hochkant, schwarze Balken schieben sich links und rechts in mein Blickfeld. Ich hänge mich auf der Straße über den nächstbesten Mülleimer und kotze daran vorbei.

Wir stehen direkt vor einem kleinen Einkaufscenter. B. will im Supermarkt Wasser holen. Ich will mit, ich kann nicht allein bleiben. Kurz vor dem Cornflakesregal bekomme ich Panik. B. meint, es war keine gute Idee, in den Laden mitzukommen. Ich sage, ich denke, wir werden verfolgt. Ich will wieder aus dem Laden. Dass mich die Kassiererin die ganze Zeit anstarrt beim Bezahlen, macht es nicht besser. B. bringt mich zur Straßenbahn, wir steigen ein. Neben einem älteren Mann breche ich auf einem Sitz zusammen. Mit dem Kopf gegen den Vordersitz gelehnt, höre ich, wie B. etwas von Hitzschlag redet. Ich schlafe kurz ein.
Der Tag endete für mich zum Glück nicht im Krankenhaus, sondern bei B. auf der Couch. In seinem Kinderzimmer, in dem ich für fünf Stunden schlief.
Das Gefährliche an Spice ist die Ungewissheit beim Konsum. Die Droge wird per Hand oder in Betonmischern hergestellt, wobei die getrockneten Pflanzenteile und die flüssigen synthetischen Cannabinoide vermischt werden. Teilweise wird das Betäubungsmittel auch aufgesprüht. Wie stark jede einzelne Dosis ist, kann dabei niemand abschätzen, eine Dosierung ist also immer nur bedingt möglich.
*Spice gehört zu den gefährlichsten Drogen unserer Zeit. Dieser Text soll dir einen authentischen Einblick in das Leben der Konsument:innen geben, dich jedoch keinesfalls animieren, die Droge auszuprobieren. Falls du selbst Probleme mit Drogen oder anderen Suchtmitteln haben solltest, hole dir kostenlosen Rat beim Drogennotdienst.
Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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Autor:innen
War bis 2022 Redakteur bei DIEVERPEILTE. Hat Brandmanagement im Master
studiert. Seine Themenschwerpunkte sind Gesellschaftpolitik, Kultur- und
Arbeitsthemen.