Meine Mitbewohnerin hat mich vor Kurzem gefragt, wieso ich auf Instagram immer Filter benutze, sobald ich mich selbst in meinen Storys zeige. Immerhin setze ich mich doch für die Normalisierung natürlicher Körperformen ein, was ihrer Meinung nach dem konstanten Benutzen von Filtern, die das Gesicht „beschönigen“ entgegenstehe. Um ehrlich zu sein, war ich auf dieses Gespräch nicht vorbereitet, und obwohl wir casually auf dem Sofa chillten und sie mich ganz locker und ohne Vorwürfe fragte, führte es bei mir zu einer abwehrenden Reaktion. Ich fühlte mich angegriffen und hatte das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. Denn ich schäme mich für meine unreine Haut im Gesicht. Auf Stirn, Wangen und Kinn prangen zurzeit wieder zahlreiche Pickel, die entzündet sind. Auch die ganze Schminke, die ich tagtäglich auftrage, weil ich mich so unwohl fühle, kann meine unreine Haut nicht verbergen. Über Jahre hinweg habe ich eine ausgeklügelte Schmink-Prozedur entwickelt: erst Creme als pflegende Basis, dann grünen Abdeckstift gegen die Rötungen, Concealer, um die Pickel zu verdecken, Cover-Foundation für einen ebenen Teint und zum Schluss Puder gegen den Glanz. Das Ergebnis ist oft alles andere als zufriedenstellend und ich verzweifle regelmäßig daran. Denn während in der Werbung Models mit vermeintlich perfekter – oder retuschierter – Haut durch die Make-up-Produkte noch makelloser aussehen, sind meine Unreinheiten immer noch deutlich sichtbar. Bloß, dass jetzt noch eine dicke Schicht Schminke darüber ist, die sich definitiv nicht an das Hautbild anschmiegt oder natürlich wirkt.
An manchen Tagen macht mich das aufgetragene Make-up so blass, dass ich gefragt werde, ob ich krank bin. Also noch extra Rouge auf die Wangen, damit ich nicht aussehe wie eine wandelnde Leiche. Aber auch das Gegenteil war schon der Fall: Das Make-up hat mein Gesicht so orange wirken lassen wie das von Donald Trump. Ich erinnere mich besonders an einen Vorfall, als ich mit Freund:innen einen Städtetrip inklusive Übernachtung gemacht habe und mich am nächsten Morgen mit meiner unreinen Haut so unwohl fühlte, dass ich extra viel Concealer auftrug. So lief ich den halben Tag herum, bis ich wieder daheim war und meine Mutter einen abwertenden Kommentar à la Clownschminke abgab, der witzig gemeint war. Doch Witze, die sich auf meine Unsicherheiten bezogen, brannten sich in mein Unterbewusstsein ein – und haben bis heute Einfluss auf mich. Besonders wenn sie von so engen Bezugspersonen wie meiner eigenen Mutter kamen.
Doch nicht nur durch meine Mutter, sondern auch durch die Gesellschaft wurde ich mit der Einstellung sozialisiert, dass Natürlichkeit wichtig ist. Zu viel Make-up gilt als billig. Und auch wenn ich daran arbeite, solche misogynen Glaubenssätze, die Frauen nach ihrem Äußeren beurteilen, aus meinem Kopf zu bekommen: Unterbewusst prägen sie mich noch immer. Aber wer bestimmt, was das richtige Maß an Schminke ist? Ich finde nicht, dass jemand das Recht hat, zu beurteilen, wie eine andere Person sich schminkt, kleidet oder das Leben lebt. Aber das hält viele Menschen nicht davon ab, trotzdem ihre Meinung zu äußern.

In den schlimmen Phasen habe ich selbst geschminkt Hemmungen, das Haus zu verlassen, weil ich mich in meiner Haut nicht wohlfühle. Manchmal ist es so unangenehm, dass ich morgens hoffe, keine:n meiner Mitbewohner:innen im Flur anzutreffen, bevor ich geschminkt bin. Denn selbst vor ihnen schäme ich mich teilweise. Ich möchte nicht, dass mich jemand sieht, wenn mein Gesicht einem Streuselkuchen gleicht. Denn das ist das Wort, das mir in den letzten Tagen durch den Kopf schwirrt und sich eingenistet hat: Streuselkuchen. Es ist in meinem Hirn aufgeploppt, als ich mich ungeschminkt im Spiegel angeschaut habe. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf gekommen bin, aber es zeigt, wie gemein und abwertend ich mir selbst gegenüber sein kann. Ich würde niemals zu jemand anderem so etwas Verletzendes sagen, aber mir gegenüber bin ich erbarmungslos.
Und mich so ohne Filter auf Instagram zeigen?? Absolut unvorstellbar für mich. Was würden die Leute denken, die das Bild sehen? Würden sie mich dann weniger schön finden? Wären sie so gemein wie ich mir selbst gegenüber? Im Bezug auf mein Äußeres fühle ich mich sehr unsicher und lege daher viel Wert auf die Meinung meiner Mitmenschen. Ein Bild zu posten, auf dem man meine unreine Haut sehen kann, würde mich verletzbar machen. Besonders da das Thema für mich so emotional aufgeladen ist.
Aber wieso ist es für mich so mit Scham behaftet, dass ich am liebsten nicht mal darauf angesprochen werden möchte? Vermutlich liegen dem zwei Ebenen zugrunde: die individuelle und die gesellschaftliche. Ich habe schon in meiner Jugend unter starker Akne gelitten und ich bin mir sicher, dass sich diese Erinnerung zusammen mit der allgemeinen Verunsicherung der Pubertät in mein Unterbewusstsein gepflanzt hat. Die Erfahrungen der Unsicherheit, der Ausgrenzung und der Ablehnung sind für mich untrennbar verbunden – mit diesem streuseligen Zustand. Ich fühle mich zurückversetzt in eine Zeit, in der ich unglücklich und unzufrieden mit mir selbst war. Denn zusätzlich zur Akne hatte ich in meiner Jugend auch mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und Schüchternheit zu kämpfen.
Und dazu kommt noch die gesellschaftliche Ebene, die mit hineinspielt: Wie wir alle wissen, führen uns die Medien ununterbrochen ein Schönheitsideal vor, das nahezu unerreichbar ist. Das bezieht sich nicht nur auf Körpermaße, sondern auch auf das Hautbild. Da meine Reflexion im Spiegel so deutlich davon abweicht, führt mir das die scheinbaren „Makel“ direkt vor Augen. Die Folge davon ist die eigene Abwertung bis hin zu Selbsthass. Außerdem wird Akne in unserer Gesellschaft mit der Pubertät assoziiert. In der Theorie gibt es also eine bestimmte Lebensphase, in der es ein normaler Nebeneffekt ist. Was es nicht weniger belastend macht, wenn man in der Jugend – die sowieso schon herausfordernd genug ist – darunter leidet. Dass ich mit fast 30 Jahren noch immer damit kämpfe, ist für mich ein Tabuthema. So als wäre meine Haut in der Vergangenheit stecken geblieben. Meine Hormone sollten nicht mehr so verrückt spielen wie damals in der Pubertät, als der gesamte Körper auf den Kopf gestellt wurde. Natürlich weiß ich, dass die Sache nicht so einfach ist und gewisse körperliche Zustände sich nicht auf einen einzigen Lebensabschnitt beschränken. Aber gleichzeitig habe ich den Anspruch an mein eigenes Leben, dass ich mit der Adoleszenz aus gewissen Dingen herausgewachsen bin. Und dazu gehören für mich auch Pickel. Als erwachsene Frau will ich mich nicht mehr damit herumschlagen müssen und noch weniger will ich zugeben, dass meine unreine Haut sich negativ auf mein Selbstbewusstsein auswirkt. Dass für mich diese Problematik immer noch so aktuell ist, gibt mir das Gefühl, als stimme mit mir und meinem Körper etwas nicht.
Zum Glück hat die Medizin eine Lösung parat: die Anti-Baby-Pille. Ich finde es schon sehr bezeichnend für unsere Gesellschaft, dass jungen Frauen mit Hautproblemen eine Tablette voller Hormone gegeben wird, die eigentlich eine Schwangerschaft verhindern soll. Alle möglichen Nebenwirkungen wie Thrombose, Gewichtszunahme et cetera sind inklusive. Damals, im Alter von 17 Jahren, habe ich das Rezept dankend entgegengenommen, ohne darüber nachzudenken, was ich meinem Körper damit antue. In Bezug auf meine unreine Haut war die Einnahme ein voller Erfolg: Ich hatte nur noch wenige Pickel und mein Selbstbewusstsein erholte sich. Doch langfristig war das für mich keine Lösung, denn als sich vor mehreren Jahren das Bewusstsein darüber verbreitete, wie sehr sich die Anti-Baby-Pille auf die Psyche auswirkt, setzte auch ich sie wieder ab. In der Hoffnung, dass meine Hautprobleme nicht wiederkehren würden – falsch gedacht. Also muss ich mich nun erneut mit den Konsequenzen auseinandersetzen. So here we go again: angeknackstes Selbstbewusstsein und Scham dank Streuselkuchen.
Dass ich das Gefühl habe, teilweise selbst dafür verantwortlich zu sein, macht die Sache nicht besser. Einerseits merke ich deutlich, dass mein Hautbild durch meinen Menstruationszyklus beeinflusst wird, aber andererseits spielt auch meine Ernährung eine Rolle. Esse ich zu viel Zucker und trinke regelmäßig Alkohol, dann sprießen die Pickel tagelang in meinem Gesicht, bis mein Körper die Stoffe abgebaut hat. Zu dem Leidensdruck kommen Selbstvorwürfe hinzu. Wenn ich dann zusätzlich noch meine Haut mit dem ständigen Ausdrücken der Pickel und Mitesser malträtiere, wird das Ganze zum Teufelskreis. Wieso schaffe ich es nicht, meine Haut in Ruhe abheilen zu lassen? Warum kratze ich den Schorf immer wieder ab? Ich weiß doch, dass es alles nur schlimmer macht statt besser. Und trotzdem sitze ich jeden Abend wieder vor dem Spiegel, bewaffnet mit Mitesserentferner und Taschentuch, – nur um mich am nächsten Morgen beim Blick in den Spiegel erneut über mich selbst zu ärgern, weil mein Gesicht aussieht wie ein Schlachtfeld.
Mein bevorzugter Umgang mit dem Problem ist also, Schminke drauf zu klatschen und zu hoffen, dass es meinen Mitmenschen nicht allzu sehr auffällt. Und vor allem, dass es nicht thematisiert wird, denn das sind die unangenehmsten Momente. Dann wird mir unausweichlich vor Augen geführt, dass es den anderen Leuten sehr wohl auffällt. So zum Beispiel von Menschen, die mich regelmäßig sehen – und also auch die zyklischen Veränderungen meiner Haut mitbekommen. Mein Mitbewohner dachte sich einmal nichts dabei, als er meinte, dass meine Haut derzeit besonders schlimm sei, aber ich hätte ihn am liebsten angeschrien: „Glaubst du, das fällt mir nicht selbst auf?!“
Oder einer meiner Ex-Beziehungsmenschen, der zugegebenermaßen sehr toxisch war, wollte mir einreden, ich hätte keine Akne, sondern ein Ekzem, das ich unbedingt vom Hautarzt behandeln lassen müsse. Abgesehen davon, dass ich darauf verzichten kann, dass mir ein Cis-Mann meinen eigenen Körper erklärt, fand ich das Gespräch übergriffig und viel zu intim. Meine unreine Haut ist ein Thema, bei dem ich sehr verletzlich bin, weswegen ich nur in den seltensten Fällen darüber reden kann. Im Gegensatz dazu fällt es mir leichter, meine Gedanken schriftlich festzuhalten, da ich hier kein direktes Gegenüber habe, vor dem ich mich entblöße. Das Gleiche würde zwar auf Social Media zutreffen, aber dort bliebe nichts der Fantasie überlassen, es wäre ein visuelles Eingeständnis und Präsentieren meiner Pickel. Jede:r könnte dann sehen, was ich trotz der Schminke nicht verdecken kann und wofür ich mich schäme. Und an diesem Punkt meines Prozesses bin ich noch nicht. Noch fühle ich mich nicht wohl genug in meiner unperfekten Haut und habe nicht das Selbstbewusstsein, um mich völlig ohne Filter zu zeigen. Und dazu stehe ich. Denn auch wenn ich online als feministische Aktivistin auftrete, bedeutet das nicht, dass ich keine Unsicherheiten habe. Viele Überzeugungen, mit denen wir sozialisiert wurden, konnte ich bereits ablegen. Andere eben noch nicht. Manche der Unsicherheiten sitzen tiefer, weswegen es länger dauert, sich ihnen zu stellen. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass es Glaubenssätze sind, die von außen an uns herangetragen wurden und nicht zwingend mit unseren eigenen Werten übereinstimmen müssen. Stück für Stück löse ich mich davon, indem ich reflektiere und mich selbst herausfordere, meine Komfortzone zu verlassen.
Und deshalb ist mein Fazit: Wenn die Alternative zum Nutzen von Filtern ist, mich überhaupt nicht zu zeigen und für meine Werte einzustehen, dann ist das für mich keine wahre Option. Trotzdem bin ich meiner Mitbewohnerin dankbar, dass sie mir diese Frage gestellt hat, weil das dazu geführt hat, mich mit meiner Scham auseinanderzusetzen und meine Beweggründe zu hinterfragen. Ich bin mir sicher, dass ich irgendwann an den Punkt kommen werde, an dem ich den Mut habe, mich auf Social Media ungeschminkt und ohne Filter zu zeigen. In gewisser Weise freue ich mich auf diesen Moment, weil ich dann unglaublich stolz auf mich sein werde.
AUTORIN: LAURA NORA THEIMER,

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