Ich hatte schon immer Angst, etwas zu verpassen. Wenn Freund:innen fragten, ob man nach der Schule was machen möchte, schob ich meine Hausaufgaben lieber auf die Pausen zwischen den Unterrichtseinheiten. Es könnte ja sein, dass alle so viele coole Sachen erleben, während ich meinen langweiligen Arbeiten nachgehe. Auch jetzt, wo das normale Leben sich langsam wieder hochfährt, befürchte ich, dass ich zu wenig unternehme. Zu viel zu Hause sitze. Die klassische FOMO.
Diese Fear Of Missing Out zeigt sich aber nicht nur bei geplanten Aktivitäten mit Freund:innen.
Ich bin gerade mit der Schule fertig. Mit dem Abiturzeugnis in der Tasche, meinem ersten WG-Zimmer in Weimar und frisch getrennt, werfe ich mich in die stürmischen Wellen des Lebens. So wie die meisten jungen Erwachsenen fühle ich mich frei wie nie zuvor – und diese Freiheit will ich auch beibehalten. Mich an niemanden binden, sondern einfach das machen, worauf ich Bock habe. Typisch.
Ironischerweise kam ich genau zu diesem Zeitpunkt mit meinem Freund zusammen. Wir waren damals beide 18 Jahre alt. Kannten uns durch gemeinsame Bekannte und Freund:innen. Es dauerte nicht lang und wir wagten den Schritt des Zusammenziehens. Klar, ein bisschen mulmig war mir dabei schon. Immerhin ist das ein Step, den man erst mal gemeinsam gehen muss. Aber wenn’s hart auf hart kommt, findet man eh was Neues, dachte ich mir.
Mit unserer gemeinsamen ersten Wohnung kamen auch die ersten komischen Fragen. Unangebrachte Kommentare trifft es besser.
»Ihr seid aber noch ganz schön jung.«
»Glaubst du nicht, dass ihr das überstürzt?«
»Hast du keine Angst, dass du etwas verpasst?«
Ich wollte diese Aussagen nicht an mich heranlassen. Mir kann letztendlich egal sein, was andere davon halten. Aber diese eine Frage, die des Verpassens, ließ mich nicht mehr los.
Ist da etwas Wahres dran? Was, wenn ich später zurückblicke und alles bereue? Was, wenn ich irgendwann merke, dass ich meine Zeit verschwendet habe?
Es ist nun mal ein Fakt, dass das Single-Leben anders tickt als das Beziehungsleben. Zu Partnerschaften gehören Kompromisse. Natürlich soll man sich nicht herumkommandieren lassen. Allerdings sollte man in der Lage sein, das eigene Ego auch mal über Bord zu schmeißen.
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es bei uns anders war. Der ein oder andere Abend mit Freund:innen wurde verpasst, weil wir lieber zu Hause auf der Couch lagen und Netflix schauten. Während mir Bekannte erzählten, wen sie über Bumble, Tinder und Co. kennengelernt haben, dachte ich darüber nach, dass mein Freund und ich uns zum zehnten Mal über irgendeine Kleinigkeit gestritten haben.
Aber bedeutet das wirklich, dass ich etwas versäume?
Immerhin sammelte ich Erfahrungen und Erlebnisse, die anderen teilweise verwehrt blieben. Die erste gemeinsame Wohnung, der erste Urlaub zusammen. Jemanden an der Seite zu haben, mit dem ich über meine Probleme reden kann, dem ich vertraue. In guten wie in schlechten Tagen – oder so ähnlich.
Letztendlich ist es doch so: das Single-Leben und das Führen einer Beziehung sind zwei unterschiedliche Lebensrealitäten. Beide haben ihre Vor- und Nachteile, wenn man das überhaupt so wertend sagen kann. Im Endeffekt ist die Frage auch eher: Worauf hast du Lust? Auf eine Partnerschaft oder das Leben als alleinstehende Person? Egal, wofür man sich entscheidet, verpassen wird man nichts. Denn wenn wir ehrlich sind, tritt diese FOMO jedes Mal ein. Egal wofür wir uns entscheiden. Im Nachhinein fragt man sich oft, was wäre wenn? Und das Gras auf der anderen Seite scheint einfach immer grüner.
Das Ironische: diese Angst des Verpassens kann dazu führen, dass wir das Leben an uns vorbeiziehen lassen. Wir versäumen wunderbare Momente, weil wir uns davor fürchten, dass uns etwas entgeht. Sind so damit beschäftigt nach den ‘negativen’ Aspekten zu wühlen, weswegen wir kein Auge mehr für die schönen Seiten haben.
Eine Beziehung bedeutet Arbeit, Kompromisse und vielleicht auch mal Verzicht. Doch auch Vertrauen, Zuneigung und Liebe – wovor sollte man also Angst haben?
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Illustration: Lisa Spiess

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Autor:innen
Seit 2020 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Kommunikationswissenschaften studiert und machte 2022 ihren Master in Journalismus. Themenschwerpunkte sind Gesellschaftspolitik, Mental Health und Musik.