Bei den meisten Themen, über die ich schreibe, ist es so: Entweder sind es Dinge, die mich persönlich betreffen oder ich habe irgendwann etwas gelesen, es als furchtbar ungerecht empfunden und dann noch mehr darüber gelesen. Letzteres war der Fall beim Thema Arbeit in Haft. In meinem Kriminologie-Studium kam das Gefängnissystem oder Alternativen dazu kaum vor. Ich habe mich also auf eigene Faust in Recherchen gestürzt. Im Kampf für eine Reformierung des deutschen Gefängnissystems spielt das Arbeiten in Haft eine große Rolle. Es geht dabei um strukturelle Probleme und Erfahrungen, die ich nicht gemacht habe und unter denen ich nicht leiden muss. Mir ist es trotzdem wichtig, auf die Arbeitssituation der Gefangenen aufmerksam zu machen, denn es handelt sich hier meiner Meinung nach um die Ausbeutung von Menschen unter dem Deckmantel der Resozialisierung.
In Deutschland leben 44.588 Menschen in Justizvollzugsanstalten (Stand März 2021). Für die meisten von ihnen ist Arbeit gesetzlich vorgeschrieben. Das Hauptziel der Arbeitspflicht ist die berufliche und soziale Wiedereingliederung nach der Haft, die Resozialisierung. Im Gefängnis soll das Arbeiten einen strukturierten Alltag schaffen und der Ordnung dienen.
Es gibt unterschiedliche Formen der Arbeit in der JVA. Da sind Aufgaben, die für den Gefängnisalltag notwendig sind, wie die Essensausgabe, Wäscherei oder Hofreinigung. Viele Justizvollzugsanstalten besitzen zusätzlich Eigenbetriebe in denen Gefangene Produkte herstellen, die dann in „Knastläden“ oder an Behörden verkauft werden. Aber Arbeit im Gefängnis findet nicht nur außerhalb der freien Wirtschaft statt. Als sogenannte Unternehmerbetriebe lagern Firmen, wie Miele, Gardena, Ikea, Rossmann oder VW, Produktionsschritte in Justizvollzugsanstalten aus. Für die Unternehmen ist die Produktion im Gefängnis eine Alternative zur Verlagerung in Billiglohnländer. Die wirtschaftlichen Vorteile sind groß. Die Unternehmen können die Preise bestimmen, da die Gefängnisse auf die Arbeitsplätze und Aufträge angewiesen sind. Zudem fallen Transportkosten geringer aus, wenn Produkte nicht ins Ausland gebracht werden müssen. Mit „Made in Germany“ lässt sich besser werben und Urlaubs- und Krankengelder müssen nicht gezahlt werden.
Die Unternehmen schließen die Verträge mit den JVAs, nicht mit den Gefangenen selbst. So entscheiden dann die Anstalten, wie viel des Lohns sie an die Gefangenen auszahlen. Laut einer correctiv-Recherche haben Gefängnisse in Niedersachen 2019 einen Umsatz von mehr als sechs Millionen Euro mit Unternehmerbetrieben gemacht.
Egal, ob die Inhaftierten für den gefängniseigenen Betrieb oder indirekt für ein Unternehmen arbeiten: Da die Arbeit als Resozialisierungsmaßnahme gilt, zählen Inhaftierte nicht als Arbeitnehmer:innen. Deshalb bekommen sie nicht den Mindestlohn. Stattdessen erhalten sie eine sogenannte „Eckvergütung“, die im Durchschnitt ein bis drei Euro pro Stunde beträgt. In NRW verdienen Gefangene bei einer 41 Stunden-Woche im Durchschnitt 200 Euro im Monat. Einen Teil dieses Gehalts erhalten sie direkt, der Rest wird für die Zeit nach der Entlassung zwangsangespart.
Doch nicht nur der niedrige Lohn ist ein Problem. Gefangene verfügen nicht über grundlegende Arbeitnehmer:innenrechte, wie Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall oder eine Rentenversicherung. Gerade bei langen Haftstrafen kann die nicht vorhandene Rentenversicherung später Altersarmut bedeuten.
Ein bis drei Euro die Stunde, damit kommt mensch nicht weit. Auch im Gefängnis nicht, denn das Leben dort ist teuer. Von ihrem Gehalt müssen Inhaftierte Dinge des täglichen Bedarfs, wie Zahnpasta oder Duschgel, aber auch Telefonate bezahlen. Und die kosten bis zu 23 Cent pro Minute. Selbst die Produkte im gefängniseigenen Laden können deutlich teurer als im Supermarkt sein. Zusätzlich müssen während der Haft Angehörige und Familien finanziell unterstützt werden, zum Beispiel durch Unterhaltszahlungen. Daneben fallen Kosten für Anwält:innen, Gerichtsverfahren und Opferentschädigungen an. Viele Menschen kommen mit Schulden ins Gefängnis und verlassen es so auch wieder.
All das scheint einer Resozialisierung nicht förderlich. Wer mit finanziellen Sorgen aus dem Gefängnis kommt, wird schneller rückfällig. Mensch könnte sich fragen, warum sich an diesem System nichts ändert, funktioniert es doch nicht so, wie es soll.
Die Justizministerien der Länder lehnen Forderungen nach höheren Löhnen, die es schon seit fast 50 Jahren gibt, immer wieder ab. Die Länder argumentieren, dass die Arbeit der Resozialisierung dienen soll und zur Anstaltssicherheit beitrage. Auch die Kosten, die die Inhaftierten verursachen, werden angeführt. Im Durchschnitt kostet ein:e Gefangene:r pro Tag 137 Euro. Jährlich macht der Staat hunderte Millionen Euro Verlust mit dem Strafvollzug. Die Haftkosten können die Gefangenen mit ihrer Arbeit aber nicht ansatzweise decken.
Auch der Einbezug in die Rentenversicherung wurde schon in den 1970er Jahren beschlossen. Umgesetzt wurde er bisher nicht, weil sich Bund und Länder nicht darin einig werden können, wer dafür zahlt.
Die Gefangenengewerkschaft GG/BO kämpft für den Mindestlohn, für eine Rentenversicherung, die Abschaffung der Arbeitspflicht und Gewerkschaftsfreiheit im Gefängnis.
Im neuen Koalitionsvertrag steht immerhin, dass Inhaftierte in die Rentenversicherung aufgenommen werden sollen und die Regierung „den Dialog mit den dafür zuständigen Ländern suchen werde.“
Fakt ist, dass Menschen in Haft arbeiten müssen und dafür ein verschwindend geringes Gehalt bekommen, ohne jegliche Arbeitnehmer:innenrechte. Neben der praktischen finanziellen Dimension dieses Problems, können die niedrigen Löhne als eine zusätzliche Strafe empfunden werden. Dabei ist die eigentliche Strafe, nämlich die Freiheitsstrafe, auf einen begrenzten Zeitraum festgelegt. Danach sollte den Menschen ein aktives Leben in der Gesellschaft möglich sein.
Mit der niedrigen finanziellen Entlohnung der Arbeit in Haft ist dies kaum realistisch. Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke spricht deshalb von einer „bewussten Demütigung“ und „Doppelbestrafung“ durch niedrige Löhne. Die Arbeitssituation in Gefängnissen und ihre Folgen vermitteln Gefangenen das Gegenteil von Wertschätzung für geleistete Arbeit. Sie tragen nicht zur finanziellen Unabhängigkeit bei und erschweren den Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen. Diese Dinge sind jedoch maßgeblich für eine gelungene Resozialisierung. Abgesehen davon leiden unter den geringen Löhnen auch Familien und Kinder, denen Unterhaltszahlungen fehlen sowie Opfer, die ihre Entschädigungen nicht bekommen.
Meines Erachtens sind die Konzepte von Freiheitsentzug und Strafe in ihrer bestehenden Form mindestens diskussionswürdig. Selbst wer da nicht meiner Meinung ist, kann der Ausbeutung von Menschen in Haft nicht zustimmen wollen. Bei allen zynischen staatlichen Kosten/Nutzen-Rechnungen sollte nicht vergessen werden, dass es hier um Menschen geht. Menschen, die schon durch den Freiheitsentzug bestraft wurden und denen darüber hinaus ein freies, sicheres Leben ohne Existenznöte ermöglicht werden sollte.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Autorin: Jette Hötten
Illustration: Marius Malarius

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