Mit hochgestecktem Haar, rotem Lippenstift und ernster Miene posiert die 27-jährige Fotografin Aslı Özçelik im Mai 2023 vor der Kamera. „Die Fotostrecke ist erst kürzlich entstanden“, erzählt die Studentin über die Selbstportraits. Sie thematisiert damit ihren Unmut über die Geschlechterungleichheit.

Grund für das Projekt sei die Zunahme an misogynen Aussagen, mit der sich die Fotografin zuletzt konfrontiert sah: „Sei es im Privaten, auf Partys oder im Arbeitskontext”, erzählt Aslı. Eigentlich wollte sie ein anderes Projekt beginnen. Doch ein Protagonist, mit dem sich Aslı für einen Shoot bereits zum zweiten Mal verabredet hatte, äußerte sich während ihres letzten Treffens sexistisch. „Unter anderem meinte der Mann zu mir, dass das Patriarchat einen biologischen Ursprung habe und es ja die Biologie einer Frau wäre, den Haushalt zu schmeißen“, erzählt sie. Genervt von den diskriminierenden Äußerungen des Mannes, der der Auffassung ist, dass „dumme Frauen noch viel schlimmer seien, als dumme Männer“, nutzte die Fotografin aus Leipzig ihre Wut, um an dieser Strecke zu arbeiten – ohne ihn zu fotografieren.

Gleichheitsideale in Fragen der Verteilung der Hausarbeit erscheinen offenbar noch immer nur bedingt praxistauglich. Frauen verbringen wochentags fünf Stunden und 26 Minuten mit Erwerbsarbeit, Männer mit acht Stunden und 38 Minuten deutlich mehr. Männer kümmern sich werktags dafür nur durchschnittlich 50 Minuten um die Kinder, Frauen hingegen 2 Stunden.

Dabei hat Deutschland in vielen Bereichen der Gleichstellung zwischen Mann* und Frau* in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht. Allerdings liegt es in allen Lebensbereichen, in denen Mann* und Frau* gesellschaftlich agieren, immer noch weit hinter anderen europäischen Ländern wie etwa Schweden oder Dänemark, gefolgt von den Niederlanden, Finnland und Frankreich. Die Anzahl der Frauen in Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Unternehmen hat sich hier kaum vergrößert. Auch in der unbezahlten Fürsorge und in der tertiären Bildung gibt es großen Handlungsbedarf.  

Wenn Frauen „nur“ aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert werden, dann ist das im Übrigen Alltagssexismus. Wie auch Aslı, erleben Betroffene Sexismus am häufigsten als verbale Übergriffe im persönlichen Gespräch Face-to-Face (45 Prozent der Frauen; 47 Prozent der Männer). Weitere häufige Formen des Alltags sind Gesten sowie Hand- und Körperbewegungen ohne körperliche Berührung (39 Prozent der Frauen, 38 Prozent der Männer) sowie mit Körperkontakt (36 Prozent der Frauen; 32 Prozent der Männer). Neben diesen persönlichen Ausdrucksformen von Sexismus am körperlichen Gegenüber wird Sexismus auch medial vermittelt – durch digitale soziale Netzwerke (Frauen 30 Prozent; Männer 34 Prozent), E-Mails und Briefe (Frauen 11 Prozent; Männer 14 Prozent) sowie Telefonate (Frauen und Männer je 8 Prozent). Bemerkenswert ist, dass diese Ausdrucksformen von Sexismus von Frauen und Männern fast gleich häufig wahrgenommen werden. Insofern besteht hier kein geschlechtsspezifisches Gefälle in der jeweiligen Wahrnehmung.

In Situationen, die bei der Fotografin unangenehme Gefühle auslösen, helfe der Blick durch die Kamera, um Abstand zu gewinnen – insbesondere dann, wenn die Message dahinter eine so wichtige sei, wie die Gleichstellung von Mann und Frau. „Dieser Blödmann. Ich war so schockiert über seine abwertende und unreflektierte Aussage, dass ich erst nicht wusste, wie ich meine rasende Wut in den Griff bekomme. Deshalb entschied ich mich, all die Emotionen in das Projekt einfließen zu lassen“, erinnert sich die Fotografin Aslı Özçelik abschließend. „Ich kann da nicht noch mal hin, wenn ich mir selbst wichtig bin, wenn mir meine Mutter wichtig ist und auch nicht, wenn mir meine Freundinnen wichtig sind. Ich werde diesen Mann nicht mehr fotografieren können“, sagt die Fotografin Aslı Özçelik abschließend – und damit war das Projekt beendet.

Willkommen beim Begutachten von Aslıs Maßnahmen gegen sexistische Äußerungen.

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Alle Fotos: Aslı Özçelik
Asli Oezcelik Apparently 2023 Spring 6
Asli Oezcelik Apparently 2023 Spring 7
Asli Oezcelik Apparently 2023 Spring 8
Asli Oezcelik Apparently 2023 Spring 9

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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