Wir waren auf einer Party bei Jack, ein Typ, mit dem ich ein paar Mal geschlafen hatte. Ich weiß noch, dass ich mit seinem Mitbewohner Dani am Küchentresen stand und so was sagte wie: »Bist du sicher, dass du mich in diesem Zustand tätowieren kannst?« Seine Augen, zumindest das, was davon noch zu erkennen war, drehten sich in alle Richtungen, während er mir zuversichtlich zunickte und weiter an seinem Drink nippte. Unsicher schaute ich zu meiner Namensvetterin Sofia, die nur lachend erwiderte: »Du hast doch den Drachen auf meinem Oberarm gesehen, da hättest du ihn mal erleben sollen.« Okay, dachte ich, und selbst wenn es im Nachhinein scheiße aussieht, immerhin bekomme ich diese Story dafür.
Es ist Mitternacht, und Sofia ist gerade dabei, die Schablone für mein Tattoo, die saure Zitrone zu fertigen. Ein paar Minuten zuvor saß ich noch völlig weggetreten mit Dana, der anderen Mitbewohnerin von Jack, auf dem Boden, die mir davon erzählte, wie sie dazu kam, Crystal Meth zu rauchen. Währenddessen führe ich diese aussichtslose Diskussion in meinem Kopf, die zumindest nicht unschuldig daran ist, dass ich mich an dieses Gespräch nur noch bruchhaft erinnere. Dana ist 20, bildschön und wollte wie ich, einfach nur weg von zuhause. Auch deswegen, weil ihr die Szene in Tschechien nicht guttut. Barcelona also. Sofia ist fast fertig mit Malen. Jetzt gibt es kein Zurück, keine Zeit, eine weitere vernünftige Entscheidung zu treffen, auch wenn mich der Nachbar, der ein bisschen wie Jesus aussieht, verständnislos anblickt, während er mir seine Meinung, dass er sich von so einem niemals tätowieren lassen würde, ungefragt aufzwingt.
Dani und Sofia unterhalten sich auf Russisch. Ich weiß nicht, wieso, aber ich fühle mich benachteiligt. Nachdem ich einen Augenblick über meine nichtvorhandenen Sprachkenntnisse nachdenke, komme ich zu dem Entschluss, dass Denken gerade keine gute Idee ist. Eine Party, auf der alle Leute berauscht sind, ist kein Ort, wo man groß überlegt. Die Anlage ist aufgedreht. Rapmusik. Ach ja. Ich bin auf einer Hausparty in Barcelona, die meisten Leute aus meinem Umfeld sind verantwortungsbewusst und bleiben daheim, ich sitze hier, teile mir nicht nur das Wasserglas mit Fremden und warte darauf, dass mir ein sturzbetrunkener Typ ein Tattoo sticht. Alles unter Kontrolle.
»Sieht toll aus!«, antworte ich der Brünetten, deren Name ich leider nicht weiß, weil ich sie nie danach gefragt habe, obwohl ich es mir den ganzen Abend fest vorgenommen habe, auf ihr Tattoo an der rechten Pobacke. Hat Dani gemacht. Hard Slaps oder so steht darauf in roter Tinte.
»Wie findest du das?«, fragt mich Sofia und zeigt auf ihren ersten Zitronenentwurf. Ich bin nicht entzückt, ich meine, er ist nicht schlecht, aber wer will schon ein nicht schlecht unter der eigenen Haut. Sie fängt noch mal von vorne an. Plötzlich kommen mir Zweifel. Sofia und Dani sind gute Künstler, aber jetzt gerade fühlt sich das falsch an. Jetzt muss ich an Issam denken, der die Zitrone für mich entworfen hatte. Hätte ich auf ihn warten sollen? Er wollte mich bei meinem nächsten Besuch in Köln tätowieren. Corona, meine Schizophrenie und diese verdammte Ungeduld ließen mich jedoch immer wieder im Kreis fahren, weshalb ich zu dieser Kurzschlussreaktion gekommen bin. Ich weiß nicht, wie das bei dir ist, aber ich kann es nicht leiden, andere Menschen zu enttäuschen. »Okay« sage ich recht zufrieden, nachdem Sofia ein paar weitere Änderungsvorschläge vorgenommen hatte.
Sobald das Design fertig ist, wird es mit einem Kugelschreiber auf das Matrizenpapier kopiert, um es im Anschluss auf den Körper abzudrucken. Wir stehen vor Danis Kleiderschrank, an dem ein länglicher Spiegel angebracht ist. »Wo soll das Motiv hin?« Nun … irgendwo am Rücken. Ich kann mich nur schwer entscheiden, wenn ich mich unter Druck gesetzt fühle. Hat ja keinen Zweck, lange rumzumachen, also wird es die linke Rippe oberhalb meiner bereits verstorbenen Mia. Dani hält den Abdruck an die Stelle und fängt an, sie zu markieren. Danach schmiert er eine Flüssigkeit auf meinen Rücken, um das Motiv zu übertragen. »Ne, ein bisschen schräger bitte«. Er wischt es noch mal weg und fängt von vorne an. Ich schaue erneut in den Spiegel. Sieht eigentlich ganz gut aus. Wir gehen zurück ins Wohnzimmer.
Sonntag, 2 Uhr morgens … ich liege jetzt auf dem Bauch, Dani macht irgendwas an meinem Rücken. »Da willst du das hinmachen?«, fragt mich Evan mit einem verzerrten Gesicht, der von oben auf mich herabschaut. »Neben die Katze würde ich das nicht machen, das passt stilistisch nicht zusammen.« Es kann mir ja egal sein, was er davon hält, doch in diesem Fall gebe ich ihm recht. Die schöne Katze und die ironische Zitrone sollten nicht Hand in Hand gehen, das wäre, als ob man kein Gefühl für seine eigene Kunst hat. Zurück am Spiegel hält Dani, der mittlerweile einen recht professionellen Eindruck auf mich macht, die Schablone erneut an meine Seite, diesmal an die andere Seite. »Zum rollenden Weinglas passt sie aber auch nicht«, wir gehen zurück zur Couch und verfolgen wieder den ersten Plan.
Die Party ist noch halbwegs im Gange. Sofia, die vor mir im Sessel sitzt, kämpft damit, ihre Augen offen zu halten. Die Brünette schläft bereits. Einige sind auf dem Balkon und rauchen, andere kratzen die letzten Alkoholreste zusammen, während Jack schon vor einer Weile mit einem Mädchen in seinem Zimmer verschwunden ist. Dani desinfiziert meinen Rücken erneut. Endlich geht es los. Ich habe mich schon einmal an der Rippe tätowieren lassen, doch dieses Mal lerne ich den damit verbundenen Schmerz kennen, worauf ich nicht besonders geil bin.
Irgendwie wusste ich, dass ich Dani vertrauen kann. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt gerne mehr über ihn gewusst oder zumindest einen Gesprächspartner in ihm gehabt, um mit den Schmerzen nicht alleine zu sein. Schließlich finde ich Ablenkung darin, Dana und Evan beim Rummachen zuzuschauen. Ich bin nicht komisch, ich hatte einfach nur diese eine Möglichkeit, da ich auf dem Bauch lag und von Dani immer wieder ein »Nicht bewegen« zu hören bekam. Außerdem geben sie ein schönes Paar ab, warum soll ich da nicht hinschauen. Was wäre wohl passiert, wenn ich nicht so prüde gewesen wäre und mich auf Danas heiße Blicke eingelassen hätte? Das ist natürlich nur eine theoretische Frage.
Sofia und ich lernten uns ein paar Tage zuvor am MACBA kennen, dem Skaterlaufsteg Barcelonas. Mein Gott, dachte ich, die muss ich wiedersehen. Sie ist eine aufregende Person, von der ich mich schnell angezogen fühlte. Wir trafen uns schon am Nachmittag gegen 16 Uhr, um zu ihrer Freundin Chloé zu gehen, die ein Barbecue veranstaltete. Danach spazierten wir mit Dennis, meinem geliebten Fahrrad – ich ließ es in Barcelona zurück – durch Raval, um in die WG zu gehen. Die Straßen waren gut besucht, und das, obwohl es nach 22 Uhr war und in Barcelona immer noch eine Ausgangssperre verhängt war.
Dani ist kein professioneller Tattoo-Artist, wie viele andere vermutlich auch, fing er damit an, sich selbst zu tätowieren. Das war im März, als der erste Lockdown kam. Seitdem hatte er ziemlich regelmäßig geübt. Er machte einen selbstsicheren Eindruck auf mich, und das, obwohl er ganz schön dicht war. Ich kenne das von mir, da fängt man an, produktiv zu werden. Wir kamen zum Ende unserer Tattoo-Session. Zumindest konnte ich mir keinen anderen Grund dafür erklären, warum auf einmal so viele Köpfe über meinem Rücken hängten und grinsten. »Du solltest dich jetzt entscheiden, ob du noch den Schatten dazu möchtest, oder nicht«, bestätigt er meine Vermutung. Ich stand auf, ging ins Bad und blickte in den Spiegel. Ich linste über die Schulter und sah eine Zitrone an meiner Rippe, die mir mürrisch entgegen schaute. Ich umarmte ihn glücklich.
Scheiße, ich liebe dumme Geschichten. Ich bin nur eine von vielen kaputten Irren mit einem Hang zur Unvernunft. Der Abend mit den Skatern wird mir gezwungenermaßen für immer in Erinnerung bleiben, und Dani … der ist ein Künstler, der seinen Weg gehen wird, und gerade krank genug, um in Erinnerung zu bleiben. Zumindest so viel, dass ich diese Story für ihn aufgeschrieben habe.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.
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