Die Zukunft am Ostkreuz ist einer meiner Lieblingsläden in Berlin Friedrichshain. Seit zehn Jahren kiek ick mir da Konzerte an, treff mich mit Freund:innen, jeh ins Kino oder häng’ im Biergarten ab. Ick mag die verschiedenen Floors mit schummrigen Licht, das gammelige Ambiente (und das is urst positiv gemeint), die Lage – so hinten im Fhain, wo sonst eigentlich fast nüscht is. Im Sommer jeh ick imma ‘n bisschen früher hin, häng’ mit Freund:innen im Biergarten und rede Dünnes. Die Preise sind meinem Geldbeutel entsprechend und ick kann janz entspannt dahin loof’n. Träumchen.
Nun wurde der Zukunft zum März 2022 der Mietvertrag jekündigt. Ick war schwer jeschockt. Nich’ noch so’n Club, der mir am Herzen liegt und einfach wegbricht wegen irgendwelchen Büros und Eigentumswohnungen.
Deshalb dacht ick, ick fahr da ma’ vorbei und quatsch’ mit Své Manigk (34), Bell Kossma (33) und Manuel Godehardt (40), einem Teil der Zukunfts-Crew, um zu kieken wie die Lage is’. Und um zu retten, wat sich zu retten lohnt.
DIEVERPEILTE: Seit wann jibt´s die Zukunft und was genau steckt dahinter?
Své: Uns gibt es seit knapp zehn Jahren. Zur Zukunft gehören noch weitere Kulturorte wie das Kino Intimes, die Bar Bracsznik und die Tilsiter Lichtspiele. Der Unterschied zu den anderen Läden ist zum einen die Größe und zum anderen, dass sich die Zukunft als äußerst komplexer Kulturort auszeichnet. Wir haben Galerien, Theater, Konzertsäle, Kinos und wir veranstalten Vorträge.





Wat war hier eigentlich vor der Zukunft?
Manuel: Zu DDR-Zeiten war hier das PROGRESS-Filmlager. Früher wurden hier DEFA-Filme gelagert. Das Kino hat für uns also auch einen historischen Hintergrund. Nach der Wende wurde das Gelände von einem Bauunternehmen genutzt. Und bevor wir hier rein kamen, war hier ein Club namens MfE – Ministerium für Entspannung. Ein Großbrand bescherte dem Club dann jedoch ein plötzliches Ende.
Wie seid ihr uff dit Jelände jestoßen?
Manuel: Unsere Ursprünge liegen in den Tilsiter Lichtspielen. Es gab eine Zeit, in der die Lichtspiele wegen eines Hausbesitzer:innenwechsels bedroht waren. In dieser Zeit suchten wir nach einem passenden Gelände. Irgendwann entdeckte einer von uns die Brandruine. Wir kontaktierten den Eigentümer und konnten damit beginnen, das umzusetzen, was wir gut können…
Wat war eure Vision? Wat wolltet ihr mit der Zukunft erschaffen?
Své: Der Ort bietet viele Möglichkeiten, allein schon durch die Größe. Unsere Idee war, einen alternativen Kulturort zu schaffen. Einen Ort, an dem sich Menschen nicht kommerziell verwerten müssen, um an etwas teilhaben zu können. Ich meine klar, wir verkaufen hier Getränke, doch die Preise sind vergleichsweise unter dem Standard des restlichen Touri-Kiez’.
Kann ick bestätigen…
Své: Es ist nicht nötig, dass Leute hierherkommen und Geld ausgeben, um partizipieren zu können. Wir haben zum Beispiel eine „Drogeninterventionsgruppe“, die sich hier regelmäßig trifft. Wir bieten auch politischen Gruppen die Möglichkeit, sich hier zu treffen und die Räumlichkeiten für ihre Zwecke zu nutzen.
Welche Veränderungen bringt dit mit sich?
Své: Es verändert sich alles mit den Leuten, die hier Bock drauf haben. Konzerte gibt es schon ewig. Das Swamp-Festival ist eine große Institution. Seit Kurzem gibt es eine Konzertreihe, die sich GRRRL NOISY nennt. Nicht-männlich gelesene Artists spielen Konzerte; das heißt, es gibt auch keine Männer, die im Publikum abhängen, um explizit einen safe space für weiblich gelesene Personen zu etablieren. All das ist über Mitarbeiter:innen entstanden. Die Leute vom Theater haben sich alles so gebastelt, wie sie es brauchten – vom Licht bis zum Proberaum. So entstand eine sehr außergewöhnliche Institution.
Was macht die Zukunft in euren Augen besonders?
Své: Die Zukunft lebt von den Leuten, die hier arbeiten. Im Theater sind fast alle ehrenamtlich tätig. Die Vorträge und Filmreihen sind von Leuten aus dem Team und es gibt viele Menschen aus der Nachbarschaft, die mitwirken. Die Zukunft ist ein offener Raum, in dem sich jede:r einbringen kann. Das macht unser Konzept so vielseitig und lebendig.
Wie viele Leute jehörn zum Team?
Své: Schwer zu sagen, da das Theater noch dazu gehört. Allein in der Zukunft arbeiten fünfzehn Personen, ich sag mal sporadisch hinter der Bar. Diese machen aber auch das Kino oder Konzertevents. Im Theater haben fünf bis sechs Leute den „Hut auf“, dazu kommen noch einige Schauspieler:innen. Irgendwie gehören die alle dazu.
Insgesamt sind dit dann…?
Své: Ich denke über 30 Personen sind wir auf jeden Fall.
Und jetzt mal zur Kündigung. Seit wann wisst ihr davon?
Své: Letztes Jahr im Juli haben wir davon erfahren. Der Lockdown war zu Ende und wir waren alle im Sommermodus. Die Stimmung war gut, alle dachten, jetzt gehts wieder los. Die Berlinale nutzte unseren Space, weil ein Freiluftkino gebraucht wurde. Alle Innenräume waren aufgrund der Corona-Maßnahmen noch geschlossen. Und nach einer gefühlten Ewigkeit konnten wir im Juli wieder öffnen. Im August kam dann total überraschend die Nachricht, dass wir gehen müssen. Das war super ärgerlich. Besonders für die Leute, die aufgrund der Pandemie schon seit einem Jahr nicht arbeiten konnten. Alle waren voller Tatendrang und dann war klar, dass wir gehen müssen.
Und jetze?
Své: Wir haben noch Zeit bis März, um eine Alternative als Veranstaltungsort zu finden. Das ist ein unglaublich kurzer Zeitraum, in dem wir nur auf ein Wunder hoffen können.
Wat habt ihr schon allet unternommen, um der Zukunft ne Zukunft zu sichern?
Bell: Wir sind auf den Eigentümer zugegangen, veranstalteten Mitte November eine Demo und durch den Kulturausschuss gründete sich ein eigener Zukunftsrat.
Wer ist da drin?
Bell: Akteur:innen wie Eine für Alle, Lokalbau, der Bezirksstadtrat und die Vorsteher:innen der BVV (Bezirksverordnetenversammlung).
Wat wollt ihr damit bezwecken?
Bell: Der Rat versucht mit uns Strategien zu entwickeln, um das Gelände zu halten und ist auch bei den Verhandlungen mit dem Verwalter des Geländes zugegen. Parallel dazu machen wir Aufrufe über Social Media.
Wie kann ick mir dit vorstelln?
Bell: Wir überlegen uns passende Kampagnen, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Zusätzlich haben wir eine Petition gestartet, die voll durch die Decke gegangen ist. Heute sind wir mit der Bezirksbürgermeisterin in Kontakt getreten, um zu erfragen, wann wir ihr die Petition übergeben können. Das alles ist Neuland für uns, wir haben so etwas noch nie gemacht. Von change.org bekommen wir ebenfalls Unterstützung. Wir haben Kontakt mit den Politiker:innen der Stadt aufgenommen, sind an den Eigentümer herangetreten und haben uns mit Leuten aus dem Kiez vernetzt, die ebenfalls von der Umwälzung betroffen sind.
Své: Wir sind nur ein Symptom von etwas Größerem, das hier am Ostkreuz passiert.
Bell: Dadurch wurde die Lasker-Initiative gegründet. Viele der geplanten Bauvorhaben werden jetzt erst sichtbar.
Jibt’s Hoffnung für die Zukunft?
Bell: Ohne Hoffnung würden wir nicht weitermachen. Oder es zumindest nicht weiter versuchen, das kann ich für mich sagen. Es ist schwer, leise zu sein, alles hinzunehmen und nicht daran zu glauben, dass man etwas in Struktur und Planung unseres Kiezes bewirken kann.

Wat sind die Pläne für 2022?
Manuel: Das lässt sich nicht fest planen, weil wir noch mitten in der Pandemie stecken. Dies ist für uns natürlich ein generelles Problem. Die Kultur ist grundlegend schon gebeutelt genug und nun wurde uns auch noch gekündigt. Dazu muss man sagen, dass Kultur nicht von heute auf morgen funktioniert. Es braucht immer einen Vorlauf, ob es das Kinoprogramm ist – du musst die Filme disponieren, die kriegst du nicht von heute auf morgen. Theaterveranstaltungen brauchen einen noch größeren Vorlauf und funktionieren nur durch Subventionen. Die Förderungen hängen immer mit dem Ort zusammen. Wenn es den Ort nicht gibt, dann gibt es auch keine Förderung.
Verstehe, es umfasst alle Bereiche.
Manuel: Genau, mit den Konzerten verhält es sich ähnlich. Es werden nur Touren gebucht, wenn sicher ist, dass sie auch gespielt werden dürfen. Wenn mich derzeit Promoter:innen fragen, ob sie hier auftreten können, kann ich nur “Nein” sagen. Die Aussichten sind alles andere als rosig, aber unsere Hoffnung ist, dass wir so lange wie möglich bleiben können.
Letzte Worte?
Manuel: Berlin schmückt sich immer mit der Bezeichnung Kulturhauptstadt. In den letzten zwanzig Jahren ist diese Vielfalt immer weniger geworden. Die zukunftsträchtigen Orte, an denen Kultur erblühen kann, fehlen. Doch Berlin braucht genau solche Kulturstandorte wie die Zukunft am Ostkreuz, weil hier Projekte stattfinden, die klein anfangen und folglich einen Mehrwert für die ganze Stadt bieten. Niemand kann mit seiner Band gleich in einer großen Veranstaltungsstätte spielen, genauso ist es mit Theater. Es sind alles kleine Pflänzchen, die erst einmal genährt werden müssen. Und wenn es diese Möglichkeiten nicht mehr gibt, dann wird die individuelle Kultur, die direkt aus Berlin entsteht, immer weniger. Es ist eine große Herausforderung für uns, einen umsetzbaren Plan für den Rest des Jahres zu erstellen. Fakt ist, dass wir vereint all unsere Kräfte bündeln, um abzuwenden, dass wir bis Ende März hier raus müssen.
Komm, mach’n Abjang! Aber vorher unterschreib ma hier!
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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