Mit meinem Outing als Alkoholikerin zwang ich mich selbst zu einer Entscheidung, die ich nicht mehr rückgängig machen konnte: Entweder ich höre hier und heute auf zu trinken, oder ich werde diejenige sein, die ihr Wort nicht hält. Das ist jetzt fünf Monate her. Einigen Menschen aus meinem Umfeld war mein Alkoholproblem bereits bekannt, andere hörten durch meine öffentliche Bekanntgabe zum ersten Mal davon. Ein Outing ist nichts Leichtes und Sichtbarkeit bedeutet nicht immer gleich Empowerment.
Bevor ich meine Alkoholproblematik bloßlegte, konnte ich damit nicht offen umgehen. Zu schmerzhaft war der Gedanke, es könnte ein Funken Wahrheit darin stecken. Dabei ist Alkoholismus in Deutschland längst gesellschaftlich gelebte Realität. Nur wer verzichtet, fällt auf. Daran muss man sich als Nichttrinker:in erst mal gewöhnen.
Der Entschluss, zu meinem Problem zu stehen, traf mich hart. Besonders – und das ist die Wahrheit – setzten mich Familie, Freund:innen und fremde Menschen unter Druck, während sie mir sagten, dass sie „stolz“ auf mich sind. Stress produzieren auch jene Menschen in mir, die sich in regelmäßigen Abschnitten danach erkundigen, ob ich noch trocken bin. Vor allem aber die Leute, die fragen, warum ich nicht mittrinke. Sicher, man will nur das Beste, aber es wird immer angenommen, dass ich das auch möchte. Es war ein Akt der Selbstliebe, mich zu outen, ein Akt der Nächstenliebe wäre, mich nicht wie eine Minderheit zu behandeln.
Die immer wiederkehrende Thematisierung meines Suchtproblems hilft mir nicht. Vermutlich könnte man kritisieren, dass ich zu diesem Outing nicht gezwungen wurde. Ich gebe zu, mein Post war eine unüberlegte Kurzschlussreaktion, ausgelöst durch einen Nervenzusammenbruch und ganz sicher eine Entscheidung, zu der mir niemand geraten hätte. Auch ich nicht. Ich hatte immer in dieser Illusion gelebt, dass ich kein ernsthaftes Alkoholproblem habe. Und verspürte den utopischen Wunsch, dass, wenn ich mich mal dazu bekenne, mich die Leute vom Gegenteil überzeugen würden. Als Alkoholiker:in möchte man nicht sichtbar sein. Denn das würde bedeuten, dass sich etwas verändert.
Natürlich kann Veränderung etwas Gutes mit sich bringen. Das habe auch ich erlebt. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Entscheidung, sichtbar zu werden, mir dabei half, nüchtern zu bleiben. Wahrnehmungsstörungen, Filmrisse oder auch Gewissensbisse gehören nun der Vergangenheit an. Geblieben ist die Klarheit. Deshalb kann ich behaupten, dass es eine kluge Entscheidung war. Ein Umbruch, der mir zeigte, dass Realität verträglich ist, Sichtbarkeit jedoch nur dann notwendig ist, wenn diese auch gewünscht ist. Ich weiß selbst, was ich tue.
Doch wie verhält man sich gegenüber eine:m Suchtkranken richtig? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, gerade weil jeder Mensch anders damit umgeht. Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass ich mir Normalität wünsche. Dazu gehört Akzeptanz, weniger Staunen, dafür mehr Vertrauen. Die Frage nach dem Warum hat ihre Daseinsberechtigung, genauso wie der Zuspruch. Doch das Zusammensein mit Menschen, die meine Schwäche zur Diskussion stellen – oder zumindest nicht nachvollziehen können, kostet Kraft. Der Gedanke, etwas zu trinken, kommt immer mal wieder hoch. Die Herausforderung, diesem zu widerstehen, bleibt meine.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE / Illustration: Marius Korn

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.