Es ist ein kalter Montagabend im Dezember. Ich sitze am Schreibtisch und meine Kräfte neigen sich dem Ende zu, während ich Janina anzoome, die mit 27 Jahren an Brustkrebs erkrankt ist und in München lebt. Sie meldet sich breit grinsend mit einem „Haaaaallo“. Ihre Stimme hat etwas Zupackendes, machen, zack, fertig – und etwas sehr Verspieltes. Janina lacht oft, flucht und macht Witze, man merkt: Sie hat ihre ganz eigene Art mit der Brustkrebsdiagnose, die sie Anfang 2020 erhielt, umzugehen. Als ich sie frage, wie es gerade für sie sei, mich als Brustkrebspatientin mit meiner Glatze zu sehen, reagiert sie empathisch: „Krass.“ Sie könne erahnen, wo und in welchem Stadium ich mich mit meiner Behandlung gerade befinde und was mir noch bevorstehen würde. Zwischendurch lachen wir laut. Nicht, weil das Thema witzig ist, sondern weil wir wissen, wie anstrengend es ist, Krebs zu haben.
Janina hatte eine Zyste in ihrer Brust ertastet und bemerkte beim Schlafen auf der linken Seite, dass eine Ader auffällig stark pulsiert. Daraufhin ging sie zur Frauenärztin. „Sie hat mich sehr ernst genommen, das war echt cool. Ich fühlte mich bei ihr gut aufgehoben und nachdem sie mich untersucht hatte, schickte sie mich direkt zur Mammografie. Von dort wurde ich dann leider direkt zur Biopsie geschickt“, erzählt sie. Mit Biopsie ist die gestanzte Entnahme einer feinmikroskopisch zu untersuchenden Gewebeprobe gemeint. Ärzt:innen veranlassen diese, wenn ein ungewöhnlicher Befund bei der Bildgebung, wie beispielsweise ein auffälliger Rundherd oder eine Raumforderung in der Brust vorliegt und man erfahren möchte, was das genau ist. So wurden bei Janina bösartige Krebszellen entdeckt. „Und dann ging alles recht schnell. Zweieinhalb Wochen später hatte ich die Diagnose auf dem Tisch“, erinnert sie sich. Die Nachricht traf sie dann doch sehr unerwartet: „Es war heftig für mich, diesen Anruf zu kriegen. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet.“
Brustkrebs ist mit zuletzt rund 71.375 Neuerkrankungen jährlich die häufigste Krebserkrankung bei Frauen – nur etwa ein Prozent aller Neuerkrankungen betrifft Männer. Die Krankheit kann tödlich enden, wenngleich die Heilungschancen als relativ hoch eingeschätzt werden. Bei Brustkrebs im frühen Stadium ist das Ziel der Behandlung, den Krebs vollständig zu beseitigen. Dazu kommen mehrere Verfahren zum Einsatz: Operation, Bestrahlung und Medikamente – Chemotherapie, Antihormone oder Antikörper – gegen den Krebs. Die Behandlungsmethoden fallen dabei sehr unterschiedlich aus und werden individuell auf die Patient:innen abgestimmt, – da eben jeder Tumor anders ist. Im Frühstadium gibt es zwei Möglichkeiten zu operieren: Der Krebs wird entfernt, die Brust bleibt erhalten oder, wie in Janinas Fall, die ganze betroffene Brust wird entfernt: „Ich glaube, sie wollten mir die Chemotherapie ersparen und haben sich deshalb dafür entschieden, die Brust abzunehmen“, erzählt sie.
In 27 Prozent aller Brustkrebs-Fälle ist eine Mastektomie erforderlich – diese ist immer dann notwendig, wenn der Tumor im Vergleich zur Brust sehr groß ist oder es mehrere Tumorherde in der Brust gibt. So ist eine brusterhaltende Operation nur möglich, wenn der Tumor örtlich begrenzt, im Vergleich zur Brust relativ klein ist oder sich durch eine Chemotherapie beziehungsweise eine Hormontherapie vor der Operation verkleinern lässt. Anders als bei Janina werde ich im Februar nach meiner fünfmonatigen Chemotherapie operiert – damit meine Brust weitestgehend erhalten bleiben kann. „Diese Option wurde mir nie wirklich genannt“, erzählt Janina verärgert. „Ich habe meine Brüste geliebt – und jetzt halt nicht mehr so.“ Ich denke daran, wie sehr auch ich an meinen Brüsten hänge. Wir schauen uns einen Augenblick lang auf dem Bildschirm an und schweigen, bis sie das Schweigen bricht: „Und ich frage mich schon manchmal, wenn sie die Biopsie anders gemacht hätten und früher festgestanden hätte, dass es sich um einen anderen Tumor handelt, dann wäre es vielleicht auch mit dem gleichen Schema wie bei dir abgelaufen.“
Ob Janinas Brust hätte gerettet werden können, kann ich nicht beurteilen – zumal unsere Tumore sehr unterschiedliche Merkmale aufwiesen. Ich selbst gehöre zu den 70 bis 80 Prozent der Brustkrebspatient:innen, die – dank eines relativ kleinen, örtlich begrenzten Tumors und einem negativen Gentest – brusterhaltend operiert werden können. Ist der Tumor jedoch sehr groß und bösartig, muss die Brust abgenommen werden. Auch bei sogenanntem Mikrokalk in der Brust kann es dazu kommen, da dieser das Risiko für Brustkrebs erhöhen oder bereits eine Krebsvorstufe darstellen kann, weshalb ebenfalls eine Mastektomie durchgeführt werden muss. „Ich hatte das überall in der ganzen Brust. Da waren überall so weiße Fäden mit Mikrokalk zu sehen. Diese waren in der unteren Brusthälfte sehr dicht und groß. Dabei reichten sie teilweise auch bis in die beiden oberen Quadranten“, versucht Janina, mir ihr Mammografie-Bild zu beschreiben.
Bei der heute 29-Jährigen sind die Ärzt:innen ursprünglich davon ausgegangen, dass es sich bei ihrem Tumor um ein DCIS (Duktales Carcinoma in situ) handelt, was eine Krebsvorstufe darstellt, weshalb sie sofort behandelt werden musste. “Der Herd war nach Einschätzung der Ärzt:innen einfach zu groß, um brusterhaltend zu operieren. Deshalb musste die Brust ab“, erzählt sie.
An den Tag der Operation erinnert sich Janina noch genau: „Ich hatte ein bisschen das Gefühl, als würde ich auf den Henker warten. Es ist schon krass, dieses Datum zu haben und dann ins Krankenhaus zu müssen, mit dem Wissen, dass dir die Brust abgeschnitten wird.“ Die Nacht vor der Operation verbrachte Janina im Krankenhaus – drei Wochen nachdem sie ihre Diagnose erhalten hatte. „Das war der Abend, an dem ich mir ungefähr 15 Zigaretten reinzog, früh ins Bett ging und die Krankenschwester nach irgendwas zum Schlafen fragte, weil ich nicht zur Ruhe kam. Und dann bin ich sehr früh operiert worden“, berichtet sie.

Etwa ein Drittel der Frauen, zu denen auch Janina gehört, wünschen sich eine ipsilaterale Brustrekonstruktion, also einen Wiederaufbau. Um die körperliche und emotionale Belastung für die betroffene Frau möglichst gering zu halten und um ein möglichst gutes ästhetisches OP-Ergebnis zu erzielen, sollte bei einer Brustamputation die Brust in der gleichen Sitzung wieder aufgebaut werden. „Es gibt unterschiedliche Methoden, um einen Brustaufbau zu erzielen. Manchmal kommt erst ein Expander zum Einsatz. Das ist wie ein Luftkissen, das nach und nach aufgepumpt wird“, beschreibt die 29-Jährige. Alternativ gibt es auch noch den Brustaufbau mit Eigengewebe. Dabei werden Hautlappen vom Unterbauch, dem Gesäß oder vom Rücken verpflanzt. Für Janina kam dies jedoch nicht in Frage: „Dafür hätte ich mehr Gewicht haben müssen“, sagt sie. Bei besonders schlanken Frauen können die natürlichen Fettdepots nicht ausreichend sein, sodass eine Brustvergrößerung mit Eigenfett nicht möglich ist. „Zudem entsteht dadurch eine weitere, sehr große Wunde, die wiederum viel Pflege benötigt“, ergänzt Janina.
Doch nicht jede Frau kann sich zu einer sofortigen Rekonstruktion entscheiden. Manche lehnen diese auch strikt ab, wie ich von Brustkrebspatientinnen aus meinem Chemotherapie-Raum erfahren habe. So erzählte mir mal eine Betroffene, während wir am Tropf hingen, dass sie sich gegen den Wiederaufbau entschieden hat, da ein weiterer Eingriff ein zu hohes gesundheitliches Risiko für sie mitbringen würde. Eine andere sagte, dass es für sie in ihrem Alter, sie ist ungefähr 60 Jahre alt, nicht mehr wichtig wäre, eine zweite Brust zu haben. Generell ist es jedoch meistens möglich, den Aufbau auch zu einem späteren Zeitpunkt noch durchführen zu lassen. Janina hat sich für ein Implantat entschieden, das „direkt reingekommen ist“. Damit wurde bei ihr die OP-Variante durchgeführt, welche 70 bis 80 Prozent aller Brustrekonstruktionen ausmacht.
Bei einer Brustrekonstruktion mit Implantat wird die natürliche Brustform mithilfe von kissenartigen Implantaten nachgebildet. Hierbei kommen vor allem Silikonimplantate zum Einsatz, die unter oder auf dem Brustmuskel platziert werden. „Das ist ein richtig krasser Fremdkörper“, sagt Janina. Nach der Operation lag sie vier Wochen lang mit starken Schmerzen auf dem Rücken. „Diese Wunde ist so schlimm und dann bekommt man das Implantat direkt rein. Am Anfang ist es vom Gefühl sehr auffällig – es ist viel zu schwer, du kannst nicht liegen. Nichts geht. Ich habe fast fünf Tage nicht geschlafen. Es tut einfach viel zu weh.“ Und auch heute noch hat Janina Schmerzen: „Mit dem Implantat ist es für mich nicht mehr möglich, auf dem Bauch zu schlafen.“
Und als wäre es nicht genug, die Brust abgenommen zu bekommen, wurde Janina im Anschluss noch eine Chemotherapie mit sechs Zyklen verordnet. „Ich war ungefähr zehn Tage im Krankenhaus, als sich herausstellte, dass ich doch eine Chemotherapie machen muss“, sagt sie. Die Anordnung für Janinas Chemotherapie ist wahrscheinlich auf einen weiteren Tumorbefund mit einer Mikrometastase zurückzuführen. „Das war nach der Operation schwierig für mich, weil ich eben ganz genau wusste, dass alles, was da rausgeschnitten worden ist, noch mal untersucht und danach entschieden wird, ob ich mit dieser Krebsvorstufe einfach Glück hatte und ich dann – zwar ohne Brust – nach Hause gehen kann und irgendwie wieder da weitermachen kann, wo ich aufgehört habe, oder nicht“, schildert sie. Ob Brustkrebspatient:innen trotz einer Mastektomie eine Chemotherapie machen sollen, hängt davon ab, wie schnell der Tumor wächst. „Nachdem man meinen Fall in der Tumorkonferenz diskutiert hatte, wurde mir gesagt, dass meine Tumor-Wachstumsrate von ungefähr 2 Prozent knapp über dem Grenzwert liegt. “Deshalb müsste man mir offiziell eine Chemotherapie empfehlen“, erklärt sie. „Da ist noch mal eine Welt für mich zusammengebrochen.“
Für die Münchnerin bedeutete dies, dass sie vorübergehend wieder bei ihren Eltern einziehen musste – damals war sie für ein Praktikum in München, lebte aber inzwischen in Berlin. „Das war sehr schwierig für mich“, beschreibt sie, als ich sie frage, wie es für sie war, ihren Wohnort aufgeben zu müssen. „Ich fand das richtig scheiße. Das hat für mich auch besiegelt, dass ich mit meinem Leben nicht weitermachen kann, sondern ich eben erst diese Therapie abschließen muss. An dem Punkt war ich richtig traurig, mutlos und fertig.“
Junge Krebspatient:innen haben ganz andere Bedürfnisse als ältere Menschen, die an Krebs erkranken. Die Persönlichkeitsentwicklung, die bei älteren Patient:innen meist abgeschlossen ist, wird durch die Erkrankung gestoppt. Und es entstehen wieder Abhängigkeiten von den Eltern, obwohl man doch schon ausgezogen ist und sich abnabeln will: „Ich fühlte mich wieder wie die 14-jährige Janina. Als ich zuhause war, fragte meine Mutter: „Möchtest du etwas essen? Kannst du dir bitte die Hände waschen?“. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Moment, nachdem ich meine Diagnose erhalten hatte: Vor dem Haus meiner Eltern ist eine kleine Wiese. Damals habe ich mit einer Freundin telefoniert und meinte zu ihr: ‚Hanna, ich gehe schon wieder auf der scheiß Hundewiese spazieren und ich kann es nicht fassen, dass ich hier spazieren gehe. Ich bin doch weggezogen!“. Wir lachen, als Janina mir die Geschichte erzählt, denn auch ich habe meinen Wohnort aufgeben müssen und bin vorübergehend bei meiner Familie eingezogen. „Alles, was ich bisher gemacht hatte, konnte ich nicht mehr machen. Deshalb war es halt voll schlimm, gleichzeitig noch die Wohnsituation aufgeben zu müssen. Und dann wieder zurück zu den Eltern, wo man eh das Gefühl hat, dass die einen bevormunden.“ Doch die Veränderung hat auch ihre guten Seiten, denn: Man braucht wieder Hilfe – finanziell sowie auch im Alltag.
Die sechs Chemo-Zyklen wurden Janina in einem dreiwöchigen Rhythmus verabreicht. Und wie sie mir erzählt, hat sie diese schlecht vertragen. Um den Haarausfall zu verringern, nutzte sie eine Kühlkappe, die ihr vom Krankenhaus empfohlen wurde. „Davon habe ich erst mal eine acht Tage andauernde Migräne bekommen“, sagt sie. „Ich hatte oft keine Kraft und konnte das Bett erstmals nach zwei Wochen verlassen. In der letzten Woche konnte ich wieder so ein bisschen das machen, was ich wollte“, berichtet sie. Wie war es für dich, als dich die Kräfte nach der Chemotherapie verließen?, frage ich sie. „Schrecklich. Ich hatte das Gefühl, jemand hat einen Betonklotz an meinen Füßen festgemacht, der mich ans Bett fesselte. Mein Kopf wollte weiter, ich wollte aufstehen, wollte rausgehen, aber ich konnte nicht“, beschreibt sie. Sich keine Tasse Tee mehr machen zu können, das sei auch für sie eine neue Erfahrung gewesen. „Ich konnte nicht lesen, ich konnte nicht fernsehen, ich habe einfach darauf gewartet, dass es dunkel wird. Ich habe mich danach gesehnt, dass dieser scheiß Tag rum ist“.
Ich kenne das hilflose Gefühl, das Janina beschreibt. Auch ich habe es erlebt, von meinem Körper im Stich gelassen zu werden. In dieser Zeit, in der der Körper schwach, der Geist aber noch da ist, gibt es nicht viele Dinge, die man tun kann: „Ich habe nur Hörbücher gehört. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass mir Kiffen wahnsinnig guttut. Und dann habe ich angefangen zu kiffen“, erzählt sie. Zwischen Januar 2019 und September 2021 wurde eine Studie des Israel Institute of Technology dazu veröffentlicht. Etwa 400 Krebspatient:innen wurden zwischen 2015 und 2017 mit Cannabis behandelt. Das Ergebnis zeigt, dass Cannabis viele Symptome lindert, die bei einer Krebserkrankung auftreten können, darunter Schlafstörungen, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schwächegefühl und Schmerzen. Auch bei Janina zeigte sich eine positive Wirkung: Das THC milderte ihre Schmerzen im Gegensatz zu den Medikamenten, die ihr verschrieben wurden und gleichzeitig half es Janina dabei durchzuatmen: „Das waren die einzigen Momente, in denen ich mir nicht so vorkam, als wäre ich von allem, was ich kenne und was mir vertraut ist, weggedrückt worden“, sagt sie. Durch die Chemotherapie haben sich nicht nur ihre körperlichen Aktivitäten verändert: „Es war vor allem eine mentale Herausforderung für mich – das war das Allerschlimmste.”
Dass die Therapie Janina ihren Eltern rückblickend näherbrachte, ist für die 29-Jährige jedoch eine positive Erfahrung: „Jetzt im Nachhinein kann ich sagen, dass ich auch dankbar dafür bin, ein Dreivierteljahr den Alltag mit ihnen geteilt zu haben. Das war schon etwas Besonderes. Gleichzeitig ging es mir aber auch nicht so gut, dass es schön gewesen wäre.“
Nachdem die Chemotherapie abgeschlossen war, begann der dritte Teil von Janinas Krebsbehandlung. „Nach der Chemo ging ich für ein Jahr alle drei Wochen ins Krankenhaus, wo ich eine Infusion über den Port bekam“, erzählt sie von der Antikörpertherapie. Diese Krebsbehandlung gehört zu den zielgerichteten Therapien. Sie richtet sich ausschließlich gegen Tumorzellen, indem sie bestimmte Oberflächenstrukturen auf ihnen erkennt und bindet. Der Vorteil daran: Im Gegensatz zu Zytostatika, die auf den ganzen Körper wirken, werden gesunde Zellen dabei weitgehend geschont, was die Therapie erträglicher macht. Als ich Janina nach den Nebenwirkungen frage, antwortet sie: „Das ist gar nicht schlimm. Es hat mich überhaupt nicht gestört“, – hier finde ich es noch mal wichtig zu erwähnen, dass die Nebenwirkungen bei jedem Menschen individuell ausfallen und auch wenn Janina diese gut vertragen hat, so können die Begleiterscheinungen der Antikörpertherapie bei anderen Betroffenen stärker ausfallen. Doch erleichtert habe sich die 29-Jährige trotzdem gefühlt, nachdem die Therapie abgeschlossen war: „Als ich das letzte Mal dort war und wusste, dass ich da nicht mehr hingehen muss, habe ich mich freier gefühlt. Ich hatte ein Stückchen mehr das Gefühl, wieder die volle Kontrolle und Handlungsspielraum über mein Leben zu haben.“
Anders sei die Antihormontherapie, die Janina drei Monate, nachdem die Chemotherapie abgeschlossen war, begann. „Diese Art der Hormonumstellung ist schon sehr einschneidend gewesen“, sagt sie. Das Problem dabei: Die Therapie bewirkt, dass bestimmte Hormone im Körper nicht mehr gebildet werden. „Personen unter 35 werden in eine künstliche Menopause gesetzt“, erklärt Janina. Nebenwirkungen wie Wechseljahresbeschwerden, also z. B. Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Stimmungsschwankungen, Schleimhauttrockenheit oder die Veränderung der Libido treten vor allem zu Beginn der Behandlung auf, wenn der Körper sich auf den Hormonentzug einstellen muss, und sollen Berichten zufolge im Verlauf meist deutlich besser werden. Nicht so bei Janina: „Durch die Hormontherapie habe ich seit etwas mehr als zwei Jahren keine Libido mehr. Das heißt, ich habe keinen Bock mehr auf Sex. Durch die Mastektomie habe ich eine taube Brust. Das bedeutet, meine erogene Zone in der Brust ist weg. Mein Interesse an den eigenen Brüsten ist generell weg. Mein Körperbild hat sich gewandelt. Ich bin nicht mehr so selbstbewusst in meinem Körper und ich habe mich durch diese Erfahrung im Ganzen schon so verändert, dass es manchmal schwierig ist, jemanden zu treffen, der das verstehen kann“, erzählt sie.

Es geht um das Leben nach einer Krebstherapie. Eine Erfahrung, die Janina veränderte und mit der sich die 29-Jährige, wie viele andere Krebspatient:innen, alleingelassen fühlt. „Als außenstehende Person kann man gar nicht unbedingt verstehen, was es bedeutet, an Krebs zu erkranken“, sagt sie. Ich stimme ihr zu, da kein Lebensfeld von einer Krebserkrankung unberührt bleibt und die Gefühle, die damit verbunden sind, für viele unsichtbar sind. Und auch wenn für Janinas Umfeld der Krebs schon einige Jahre zurückliegt, so leidet sie noch heute unter den damit einhergehenden körperlichen und sexuellen Veränderungen.
Ein Problem, das im Zusammenhang mit Krebs häufig unausgesprochen bleibt, sind Beeinträchtigungen der Sexualität durch die Behandlung und die Erkrankung an sich. Die Antihormontherapie soll die Bildung sowie die Wirkung von Östrogen blockieren. Das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen wird dadurch verhindert. Damit kann bei vielen Frauen zwar das Risiko für einen Rückfall oder das Fortschreiten der Erkrankung gesenkt werden. Doch während dieser Therapie haben die Betroffenen eben mit starken Nebenwirkungen zu kämpfen. Außerdem ist es nicht möglich, selbst eine Familie zu gründen, da man für den Zeitraum der Therapie unfruchtbar ist. Die antihormonelle Therapie kann in der adjuvanten Phase der Therapie über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren gegeben werden, dies hängt vom Rückfallrisiko ab. Die Tabletten nimmt Janina nun schon seit 2,5 Jahren ein, weitere drei bis sieben Jahre sind geplant.
Und damit ist Janina nicht allein: Zwei Drittel aller Mamma-Karzinome verfügen zellulär über Hormonrezeptoren. Betroffene Brustkrebspatientinnen, darunter auch die 29-jährige Münchnerin, erhalten – meist nach erfolgter Operation – eine Antihormontherapie, die über mehrere Jahre eingenommen und starke Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patientinnen haben kann: „Ich habe kein Interesse mehr an One Night Stands oder an Treffen, bei denen es mir egal wäre, wie vertraut ich mit jemandem bin. Vor der Erkrankung war mir das nicht so wichtig. Und das ist etwas, was ich nicht so cool finde. Denn es war ein Teil von mir und ich finde, das ist ein sehr präsenter Teil für viele junge Menschen. Es gibt dafür keine Hilfe, keine Anlaufstelle, gar nichts“, erzählt sie.
Jedes Jahr erkranken etwa 485.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, ungefähr 15.600 davon sind junge Erwachsene im Alter von 15 bis 39 Jahren – wie Janina und ich. Vieles von dem, was mir die Münchnerin heute erzählt hat, kann ich aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Nicht selten durchkreuzt der Krebs Pläne. Junge Betroffene haben vergleichsweise wenig Gelegenheit, andere Patient:innen aus ihrer Altersgruppe zu treffen. Dabei wäre dies enorm wichtig, da sich niemand so in die eigene Lage einfühlen kann, wie Gleichaltrige, die Ähnliches durchmachen: Die Abhängigkeit von den Eltern, man fällt in die Kinderrolle zurück. Gleichzeitig müssen viele von uns innerhalb kürzester Zeit Entscheidungen treffen, mit denen wir uns sonst erst Jahre später auseinandergesetzt hätten: Will ich Kinder haben? Wie wichtig ist mir meine eigene Familie? Hinzu kommen äußerliche und sexuelle Veränderungen, die ein Leben lang bleiben.

Janina hat ihre Krebstherapie inzwischen hinter sich gelassen. Nach 2,5 Jahren Behandlung ist sie gerade dabei, wieder auf den ursprünglichen Pfad zurückzukehren: „Ich habe meine Masterarbeit endlich fertiggestellt und mir einen coolen Job geangelt“, berichtet sie. Seit einem halben Jahr überwiegt das Gefühl, dass ihr Leben wieder ihr gehört, obwohl sie manchmal noch immer mit den Nebenwirkungen der Hormontherapie zu kämpfen hat. „Es hat schon lange gedauert, mich daran zu gewöhnen“, sagt sie.
Angst, dass der Krebs wiederkommt, habe sie manchmal schon, „aber ich sehe es nicht als alltägliche Gefahr und es äußert sich demnach auch nicht in konkreten Gedanken, sondern eher dann, wenn ich zur Vorsorge gehe oder solche Sachen.“ Ihre Nachsorgetermine nimmt Janina sehr ernst. Viermal im Jahr steht die Abtastuntersuchung bei ihrer Frauenärztin an. Einmal jährlich geht Janina zum MRT, zu ein- bis zwei Mammografie-Terminen sowie zu zwei Sonographie-Terminen – jedes Jahr. „Zusätzlich gehe ich alle drei Monate wegen der Hormontherapie zum Onkologen“, ergänzt sie. Doch weil viele Menschen aus ihrem Umfeld nicht verstehen können, wie wichtig dies für Janina ist, stehen auch immer Gespräche an. Für Janina stellt das eine Belastung dar: „Viele Menschen verstehen nicht, dass ich mich für die Untersuchungen an einen Ort binde – und dass ich somit die Vorsorge über meine Freiheit stelle. Sie sagen dann: ‚Geh doch woanders zur Vorsorge.‘ Aber der Stellenwert einer gut angebundenen ärztlichen Versorgung ist mir schon sehr bewusst und dafür bin ich bereit, meine Zeit und meine Freiheit einzuschränken. Und irgendwann werden die Vorsorgetermine ja auch weniger“, sagt sie.
Tatsächlich kann die Krise eine Chance sein, mit sich selbst ins Gespräch zu kommen, die eigenen Prioritäten zurechtzurücken und Pläne zu schmieden: „Mittlerweile kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich wahnsinnig wertvolle Dinge gelernt habe.“ Mit der Krebstherapie hat Janina neben den Gesprächen mit der Psychoonkologin im Krankenhaus auch eine psychologische Therapie angefangen. „Dadurch habe ich ganz neue Verhaltens- und Versorgungsmuster für mich verinnerlicht. Dazu wäre ich vermutlich nicht gekommen, wäre ich nicht an Krebs erkrankt. Und dafür bin ich sehr dankbar, weil es bestimmt, wie ich heute mein Leben lebe“, sagt sie abschließend.
Nach zwei Stunden beenden wir unser Gespräch: erschöpft von der Tragik, die Janinas Erfahrungen mit sich brachten, aber auch voller Freude bezüglich der vielen neuen Pläne, die noch auf uns warten.
Wie kannst du ein Mammakarzinom erkennen? Unglücklicherweise merkt man Brustkrebs im frühen Stadium meistens nicht. Oft haben die Patient:innen lange weder Beschwerden noch Schmerzen und fühlen sich einfach gesund. Umso wichtiger ist es auf kleinere Veränderungen im Bereich der Brust durchaus zu achten. Trotzdem gilt: die meisten Veränderungen an der Brust sind kein Krebs! Welche möglichen Anzeichen (Symptome) für Brustkrebs gibt es? PINK! erklärt’s!

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.