WARNUNG: Das Folgende thematisiert Brustkrebs. Die Inhalte können bei einigen Menschen Unwohlsein, belastende Erinnerungen oder auch Flashbacks auslösen.

Wenn du ein „Cancer Survivor“ bist, ist es sehr wahrscheinlich, dass du nach deiner Krebsbehandlung mit Langzeit- oder Spätfolgen zu kämpfen hast. Diese Folgen können aber ganz unterschiedlich aussehen. Dazu gehören zum Beispiel chronische Schmerzen und anhaltende Erschöpfung (auch als ‚Fatigue‘ bekannt), Herzerkrankungen, Lymphödeme oder Probleme im Zusammenhang mit Blasen- und Darmfunktionen. Auch Einschränkungen der Gedächtnisfunktion, die als „Chemobrain“ bekannt sind, sowie die vorzeitige Menopause bei Frauen gehören dazu.

Als junge Überlebende von Brustkrebs fällt mir jedoch auf, dass das Thema Sexualität in all dem irgendwie zu kurz kommt. Verschiedene Medikamente und Behandlungen während meiner Brustkrebsbehandlung haben dazu geführt, dass meine Scheidenfeuchtigkeit und mein Lustempfinden nicht mehr das sind, was ich einmal kannte. Mit diesen Problemen fühle ich mich oft allein gelassen, unzureichend informiert, unverstanden und hilflos. Doch ich bin nicht allein mit diesen Gefühlen. Während meiner eigenen Brustkrebsbehandlung habe ich im Juli an einer dreiwöchigen Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen. Dort traf ich erstmals auf Frauen, die wie ich jung an Krebs erkrankt waren. Laura (37), Melanie (32) und Claudia (43) erzählen, wie sich ihr Sexualleben nach der Therapie in ihren Partnerschaften verändert hat, weshalb sie sich damit oft alleingelassen fühlen und wie sie damit umgehen.

DIEVERPEILTE: Wie würdet ihr euer Sexualleben nach der Erkrankung beschreiben?
Melanie:
Es ist fast gar nicht mehr vorhanden. Mein Mann und ich haben es ein paar Mal probiert, aber dadurch, dass meine Schleimhäute im Intimbereich so trocken sind, haben wir Schwierigkeiten. Es klappt nicht richtig und bis ich überhaupt Lust verspüre, dauert es sehr lange. Es ist völlig anders als vorher.

Claudia: Also, wir haben es auch versucht. Dreimal. Aber es war für mich extrem schmerzhaft und seitdem probierten wir es eigentlich gar nicht mehr. Auch körperliche Nähe ist schwierig, weil er dann oft denkt, dass er weiter gehen könnte und ich dann immer blocke. Dadurch ist es dann irgendwie eingeschlafen.

Laura: Bei mir ist es eigentlich anders. Es gibt sehr viel Nähe, Kuscheln und grundsätzlich auch Intimität, auch wenn der eigentliche Sexakt aufgrund meiner trockenen Schleimhäute schmerzhaft ist und deshalb nicht zwangsläufig stattfindet. Dennoch verspüre ich Lust und das Bedürfnis nach Umarmungen und Nähe.

Wie geht es euch mit diesen Veränderungen in eurer Sexualität?
Melanie:
Mir geht es schlecht damit. Ich fühle mich manchmal nicht mehr richtig als Frau, da ich früher gerne und oft Sex hatte (lacht). Es ist wirklich eine große Umstellung und es fällt mir schwer, meinem Partner zu sagen: „Nein, das geht nicht!“ Es fühlt sich fast so an, als wäre ich in diesem Punkt eine ‚Versagerin‘, denn es funktioniert nicht mehr wie vorher – und weil mein Körper nicht mehr derselbe ist wie noch vor einem Jahr.

Laura: Da stimme ich Melanie zu. Es ist wirklich so, dass man sich selbst manchmal nicht mehr wiedererkennt. An manchen Tagen frage ich mich einfach: „Was ist nur los mit mir?“ Es ist so, als ob der Körper nicht mehr zu den Gedanken im Kopf passt. Manchmal erkenne ich mich selbst einfach nicht wieder und fühle mich dann unwohl in meinem eigenen Körper. Weil die Erinnerung daran, wie ich einmal war, immer noch präsent ist, aber der Körper hat sich verändert.

Also im im sexuellen Kontext, meinst du?
Laura:
Ja, genau. Es geht darum, dass man sich bewusst wird, was einem früher Spaß gemacht hat oder was einen erregt hat, aber jetzt nicht mehr die gleiche Wirkung hat.

Aber denkst du, dass diese Veränderungen aufgrund der Krebstherapie passiert sind? Oder wäre dies möglicherweise auch ohne die Therapie aufgetreten?

Laura: Ich glaube, es hängt definitiv mit der Therapie zusammen. Aber es beschränkt sich möglicherweise nicht nur auf die Medikamente, sondern auch auf den psychischen Aspekt der Therapie. Es könnte eine Kopfsache sein. Vielleicht sind wir durch die Erkrankung traumatisiert oder blockiert und das beeinflusst unsere Empfindungen.

Wie geht es dir damit, Claudia?
Claudia: Ähnlich. Ich empfinde nicht so starkes Verlangen wie früher, aber ich habe trotzdem Bedürfnisse. Das Problem ist, dass die Nähe aufgrund meiner Zurückweisungen kompliziert geworden ist. Seine wiederholten Versuche machen es für mich schwierig, mich darauf einzulassen. Allerdings glaubt er mir das nicht, da er denkt, dass es mir leichtfällt, Nein zu sagen. Ich vermisse die Nähe und auch den Sex. Unsere Partnerschaft leidet darunter und das belastet mich. Es fehlt mir, dieses entspannte Miteinander zu haben.

Ist das dann auch so eine Art zusätzliche Bestätigung für dieses „Ich fühle mich nicht als Frau“-Gefühl?
Claudia: Ja, schon. Ich fühle mich mehr oder weniger nur wie ein lebendes Wesen, kann man so sagen. Denn ich mache alles wie vorher, nur das, was mich als Frau ausgemacht hat – dieses Gefühl von Attraktivität und Weiblichkeit –, das habe ich einfach nicht mehr. Bei mir sind es ja auch die Eierstöcke, auch wenn ich keine Antihormontherapie bekommen habe, die liegen seit einem halben Jahr brach. Da passiert nichts. Und das spürt man dann schon.

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Habt ihr noch Momente, in denen ihr euch jetzt speziell weiblich fühlt?
Melanie: Nein, eigentlich gar nicht mehr. Mir fehlen dazu die Haare. Natürlich macht das nicht die ganze Weiblichkeit aus, aber das Gefühl, mich wirklich weiblich zu fühlen, fehlt mir. Durch die brusterhaltende Therapie habe ich auf der einen Seite eine Körbchengröße weniger, ich trage nicht mehr so gerne Kleidung mit Ausschnitt, weil ich mich darin unwohl fühle. Meine Kleidung sieht anders aus an mir mit den kurzen Haaren. Mein Körper hat sich verändert, ich habe zugenommen. Das gesamte Bild von mir als Frau ist einfach nicht mehr dasselbe und das macht es mir auch schwer, – weil es das Erste ist, woran ich denke, wenn mein Mann mir näherkommt: Gefalle ich ihm überhaupt? Oder gefalle ich mir überhaupt? Möchte ich, dass er mich nackt sieht? Diese Gedanken beeinflussen alles und blockieren auch mich in meinem Kopf.

Laura: Ich persönlich habe das nicht so empfunden. Ich fühle mich nach wie vor als schöne Frau. Vor Kurzem habe ich begonnen, meine Kleider wieder auszupacken und ich besitze noch ein paar hohe Schuhe, die ich auch schon ausgeführt habe. Ein besonderes Gefühl des Frauseins kam zurück, als mein Gesicht schmaler wurde, nachdem das Cortison abgesetzt wurde und meine Augenbrauen wieder nachgewachsen sind. Ab diesem Zeitpunkt fühlte ich mich eigentlich wieder ziemlich happy.

Ihr habt es ja bereits erwähnt, dass sich euer Sexualleben durch die Erkrankung stark verändert hat. Aber wie sah euer Sexualleben eigentlich vor der Krebserkrankung aus?
Laura: Es war unterschiedlich. Es gab Phasen, in denen ich viel Lust auf viel Sex hatte. Aber es gab auch Zeiten mit beruflichem Stress, in denen es manchmal zwei bis drei Wochen lang keinen Sex gab. Aber eine so lange Zeit ohne Sex wie während der Chemo gab es nicht.

Was bedeutet für dich eine „lange Durststrecke“, Laura?
Laura: Ein Jahr.

Wie war es bei euch, Melanie und Claudia?
Melanie:
Auch.

Claudia: Auch.

Wie war euer Sexualleben vor der Krankheit, Claudia und Melanie?
Claudia: Ich würde sagen, es gab verschiedene Phasen mit mal mehr und mal weniger Sex. Wir haben zwei kleine Kinder und das bedeutet, dass Abende auch so verlaufen kann: Du bist im Schlafzimmer und plötzlich steht eines der Kinder neben dir. Das machte es manchmal etwas komplizierter. Ich möchte mich aber nicht beschweren. Man findet Möglichkeiten, aber ich muss zugeben, durch den ganzen Stress und die aktuelle Arbeitsbelastung kam es nicht allzu oft dazu. Es war also nicht so, dass es überhaupt keinen Sex gab, aber es war eher wenig.

Melanie: Also, es gab eine Schwangerschaft dazwischen, da gab es so einen Cut – aber davor und auch zeitweise danach hatten wir ein erfülltes Sexualleben. Wir hatten regelmäßig Sex. Einmal die Woche auf jeden Fall. Ich war wirklich verrückt nach ihm! Wenn er sich abends umzog, dachte ich nur: Oh ja (lacht). Das ist jetzt nicht mehr so. Wenn er nackt vor mir steht, denke ich: Ein Mann (lacht). Das war früher anders.

Wurdet ihr von euren Onkolog:innen über die möglichen Auswirkungen der Behandlung auf euer Sexualleben aufgeklärt?
Melanie, Claudia: Nein, überhaupt nicht.

Claudia: Es wurde nie darüber gesprochen oder auch nur etwas erwähnt wie: „Es könnte sein, dass…“ Ich habe mir die Informationen hauptsächlich aus Foren geholt oder von Mitpatientinnen, die bereit waren, darüber zu sprechen. Aber insgesamt habe ich erst hier in der Rehaklinik durch den Austausch mit anderen Betroffenen mehr darüber erfahren. Als ich es in der ersten Gruppensitzung angesprochen habe, haben ein oder zwei Frauen ihre Erfahrungen geteilt und danach kamen immer mehr Frauen auf mich zu und sagten: „Ich habe das auch erlebt und ich fühle mich so alleine damit.“

War das der Zeitpunkt, an dem dir klar wurde, dass diese Veränderungen langfristig sein könnten?
Claudia:
Es kann sein, muss aber nicht. Bei vielen Menschen normalisiert es sich im Laufe der Zeit wieder. Aber es ist definitiv etwas, mit dem jede von uns hier zu kämpfen hat. Ich habe wirklich gedacht, dass ich alleine damit bin und dass mit mir etwas nicht stimmt, weil niemand darüber gesprochen hat – zumindest nicht in meinem Umfeld. Hier habe ich dann aber Frauen getroffen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und das war für mich sehr befreiend. Heute kann ich sagen: Es liegt nicht an mir. Andere Frauen haben das gleiche Problem.

Melanie: Ich wurde darauf aufmerksam, als ich von anderen Frauen auf Instagram davon las. Viele Frauen sprachen offen über ihre Erfahrungen. Als ich ähnliche Symptome bemerkte – Scheidentrockenheit, Schmerzen und Veränderungen –, wurde mir klar, dass dieses Problem erst mal bleiben könnte, vor allem da viele berichteten, dass es während der Antihormontherapie anhielt.

Laura: Es überrascht mich, dass es bei euch gar keine Aufklärung gab. Ich wurde während der Aufklärung über die Chemotherapie mit dem Thema konfrontiert. Es wurde zwar nicht ausführlich besprochen, aber zumindest wurden die Begriffe „Libidoreduktion und -verlust“ genannt. Das wurde sogar in Anwesenheit meines Partners erwähnt.

Melanie: Finde ich auch wichtig!

Claudia: Das hätte bei mir vermutlich einiges erleichtert.

Laura: Ich glaube, das macht es insgesamt entspannter. Ich muss mich nicht rechtfertigen, denn von Anfang an war uns beiden klar, dass Einschränkungen in der Sexualität ein Teil der Therapie sein wird, der sehr wahrscheinlich auf uns zukommt.

Melanie: Und das finde ich total schade, denn die Sexualität betrifft ja beide Partner gleichermaßen. Letztendlich wurde nur einer von ihnen, wenn überhaupt, aufgeklärt, während der andere im Regen stehen gelassen wurde. Man fühlt sich dann fast gezwungen, sich vor dem Partner zu rechtfertigen, weil er einfach nichts davon weiß. Ich persönlich fände es wirklich schön, wenn ein Thema, das beide betrifft, auch beide erfahren würden.

Sprecht ihr mit euren Partnern über euer fehlendes Lustempfinden und die Scheidentrockenheit? Und welche Gefühle sind dabei im Spiel?
Claudia: Am Anfang hat mein Partner das nicht wirklich verstanden. Ich meine, ich wusste ja selbst nicht genau, was los war. Ich erhalte keine Antihormontherapie, sondern hatte eine Chemotherapie, bei der es hieß: Es kann sechs Monate dauern, vielleicht ein Jahr, vielleicht auch zwei Jahre … Oder es bleibt vielleicht sogar dauerhaft, wenn ich Pech habe. Das wurde mir später mitgeteilt, nachdem ich bei meiner Gynäkologin nachgefragt hatte. Aber mein Mann hat das nicht sofort begriffen, er dachte wohl: Du fühlst dich jetzt wieder besser, also sollte es auch wieder funktionieren. Bevor ich zur Reha ging, sagte er zu mir: Vielleicht kannst du dort Tipps bekommen, damit es danach wieder geht. In dem Moment habe ich einfach gemerkt, dass er es nicht verstanden hat. Erst hier in der Rehaklinik, nachdem ich klargestellt hatte, wie sehr mich das belastet und wie unwohl ich mich dabei fühle, hat er sich selbst informiert und ist in Foren aktiv geworden und hat gesehen: Oh, das betrifft ja richtig viele Menschen.

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Wie geht es dir damit, dass deine Worte für deinen Partner nicht ausreichend waren?
Claudia: Verletzend. Heute habe ich das Thema mit einer Psychologin besprochen und sie meinte, dass Männer oft so denken und Liebe auch über körperliche Nähe aufbauen bzw. diese als Bestätigung brauchen. Sie gab mir mehrere Tipps, wie ich damit umgehen und auch auf die Annäherungsversuche, wenn es mir zu viel ist, reagieren kann. Für mich ist es etwas Positives, dass er nun versucht, sich selbst zu informieren – sei es durch Recherche im Internet oder auf andere Weise.

Und bei dir, Melanie?
Melanie: Mein Mann hatte dafür schon Verständnis. Er hat es zwar immer wieder probiert, aber ich konnte mit ihm darüber reden. Ich habe ihm erklärt, dass ich es aufgrund meiner körperlichen Veränderungen nicht konnte. Besonders während der Chemo, als ich keine Haare hatte, fühlte ich mich unsicher. Er hat das akzeptiert. Er betonte immer, dass er mich nicht bedrängen wollte. Ich habe gemerkt, dass er frustriert war, aber wir konnten stets darüber sprechen. Er hat sich wirklich bemüht, meine Situation zu verstehen.

Laura: Bei uns wurde von Anfang an viel darüber gesprochen. Ich habe ihm sogar Artikel geschickt, die relevant fand. Immer wenn ich etwas entdeckte, das unsere Situation betraf, teilte ich es mit ihm. Deshalb waren die Gespräche eher informativ und vertraut, nicht negativ belastet. Wir haben sachlich und entspannt miteinander geredet.

Welchen Umgang wünscht ihr euch jetzt von euren Partnern, Melanie und Claudia?
Claudia:
Für mich wäre mehr Verständnis wichtig. Ich hätte gerne mehr Raum, um mich selbst in dieser Situation zu finden, was für mich zusätzlich herausfordernd ist.

Melanie: Ich wünsche mir weiterhin Geduld von meinem Partner. Ich probiere gerade aus, was mir jetzt gefällt, wie ich mich wieder erregt fühlen kann, wie die Feuchtigkeit zurückkehren kann und ich hoffe, er wird dabei einfühlsam sein und es mit mir ausprobieren.

Hattet ihr im letzten Jahr irgendwann Lustempfindungen? In irgendeiner Form?
Melanie, Claudia: Nein.

Laura: Ja. Es ist schwer, einen konkreten Moment zu benennen, aber ich habe festgestellt, dass ich bei romantischen Szenen in Filmen oder Hörbüchern mit romantischen Szenen durchaus Lust empfinde.

Claudia: Früher verspürte ich öfters Lust auf meinen Mann, jetzt irgendwie nicht mehr. Das betrifft auch meine Selbstliebe. Mein Lustempfinden ist verschwunden und aufgrund der Trockenheit – es brennt – funktioniert es nicht mehr richtig. Das ist schon erschreckend.

Melanie: Selbstbefriedigung habe ich auch probiert (lacht). Aber ich habe es irgendwann aufgegeben, weil die Lust einfach nicht kam. Weder durch meine Phantasie noch durch das Anschauen eines Pornos, obwohl mich das normalerweise schon in Stimmung bringen würde, das gebe ich ganz ehrlich zu. Es hat also wirklich nichts mit unserer Partnerschaft zu tun. Es fühlt sich einfach so an, als hätte jemand bei mir den Stecker gezogen.

Laura: Ich kann mich damit ebenfalls identifizieren. Während der gesamten Chemo und da ich schon etwas länger in der Therapie bin als ihre beide – ungefähr 5 Monate mehr, – hatte ich ähnliche Erfahrungen. Diese Veränderungen im Körper kamen Stück für Stück wie kleine Wassertröpfchen, jeden Tag ein wenig mehr spürbar. Vor fünf Monaten hätte ich wahrscheinlich genau dasselbe gesagt wie ihr beiden. Doch erst in den letzten Wochen habe ich immer deutlicher gemerkt, dass ich wieder ich selbst werde. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es langfristig ist, wie du vorhin gesagt hast.

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Was hat euch bisher mit der Scheidentrockenheit und dem Libidoverlust geholfen?
Melanie: Mein Gynäkologe hat mir empfohlen, Melkfett zu verwenden. Es meinte, es sei günstiger als die Produkte aus der Apotheke und sollte funktionieren – hat es aber nicht (lacht). Wir haben auch verschiedene Gleitgele ausprobiert, normales Gleitgel hat jedoch stark gebrannt. Ein Gleitgel auf Silikonbasis war okay. Aber das Hauptproblem ist, dass mir generell die Lust fehlt, wenngleich es nicht schmerzhaft ist.

Immerhin ein kleiner Fortschritt.
Melanie: Genau und aktuell probiere ich ein feuchtigkeitsspendendes Produkt für den Intimbereich aus, so etwas wie Vagisan oder das Multi-Gyn ActiGel. Mal sehen, wie das Experiment verläuft.

Claudia: Meine Gynäkologin hat mir auch Vagisan empfohlen, ich habe es ausprobiert, aber es hat nichts gebracht. Ich denke jedoch immer noch, dass ich generell zu verkrampft bin. Nichts passt rein – weder Finger noch Tampons. Es fühlt sich an, als wäre da eine Blockade, die durch meine Verkrampfung verursacht wird.

Woher denkst du kommt diese Scheidenverkrampfung? Könnte das auch mit der Angst vor Schmerzen beim Sex zusammenhängen?
Claudia: Ja, definitiv. Wir haben es, wie gesagt, dreimal versucht und es war schmerzhaft. Wir haben nicht weitergemacht und mussten abbrechen, aber allein bis dahin war es schon unangenehm. Und am Tag danach brennt es dann noch, das macht es nicht angenehmer.

Machst du dir Sorgen, wenn er das nächste Mal Lust verspürt und dich darauf anspricht?
Claudia: Jetzt nicht mehr. Gerade ist es so, dass es nicht darauf ankommt, ob er Lust hat, sondern ob ich Lust habe. Ich möchte keinen Sex mehr haben, nur weil ich das Gefühl habe, dass ich es tun muss, weil er es möchte. Ich möchte es wirklich wollen. Und das ist ein entscheidender Punkt. Vorher habe ich mich schon verengt gefühlt, wenn wir mal ein oder zwei Wochen keinen Sex hatten. Das wurde wahrscheinlich durch die Therapie verstärkt und das spielt in meinem Kopf mit. Aber ich würde es wieder ausprobieren, wenn ich merke, dass die Lust zurückkehrt und ich erregt werde. Dann hätte ich kein Problem damit, es zu versuchen. Aber solange es nicht geht, sage ich auch „Stopp“ und „Nein“, weil der Kopf auch eine Rolle spielt. Dann verschwindet die Lust und der Moment verfliegt.

Was hilft dir bei Scheidentrockenheit, Laura?
Laura: Meine Onkologin hat mir vor dem Start meiner Chemotherapie einen großen Topf von Deumavan bekommen, was bei Scheidentrockenheit helfen soll. Es ähnelt Melkfett, könnte aber teurer sein (lacht). Sie hatte es mir direkt gegeben und während meiner Chemo habe ich es benutzt. Dadurch konnte ich den Intimbereich kontinuierlich pflegen und es war sogar für sämtliche Schleimhäute geeignet. Ich nutze es auch jetzt weiterhin. Bereits davor habe ich ein befeuchtendes Gel, ebenfalls „Multi-Gyn ActiGel“, verwendet, das ich seit rund 10 Jahren verwende – also gefühlt schon immer. In dieser Hinsicht wurde ich während der Therapie tatsächlich gut unterstützt.

Wie würdet ihr euch wünschen, dass Ärzte und Ärztinnen mit dem Thema Sexualität bei Brustkrebs umgehen? Fehlt euch ein offener Umgang in diesem Bereich?
Melanie: Ja, total! Sexualität ist ein wesentlicher Aspekt vom Leben und auch in Partnerschaften. Natürlich ist Partnerschaft nicht nur auf sexuelle Intimität beschränkt, aber diese gehört zweifellos dazu. Wenn plötzlich Veränderungen auftreten, kann das einschneidend sein. Daher finde ich es wichtig, dass man frühzeitig informiert und aufgeklärt wird. So hat man die Möglichkeit, sich darauf einzustellen und darüber zu sprechen, bevor Frustration entsteht.

Claudia: Die Ärzt:innen geben schon einige Tipps. Zum Beispiel wurde mir nahegelegt, während einer Paclitaxel-Infusion meine Hände und Füße zu kühlen. Meine Gynäkologin hat mir auch ein Gel für die Mundschleimhaut empfohlen.

Melanie: Die Mundschleimhaut wird versorgt!

Claudia: Genau, für die Mundschleimhaut gibt es Empfehlungen, aber der Rest wird irgendwie vernachlässigt. Dabei denke ich, dass auch andere Aspekte wichtig sind. Zum Beispiel hatte ich teilweise Schmerzen beim Wasserlassen und da finde ich, es wäre hilfreich gewesen, mehr Informationen zu bekommen.

Melanie: Ich finde es traurig, dass gerade Gynäkolog:innen, die für den Intimbereich zuständig sind, oft zu wenig Unterstützung bieten. Sie kümmern sich sehr um Aspekte wie die Kühlung von Händen und Füßen, um Polyneuropathie zu verhindern. Aber der Intimbereich ist genauso ein Teil unseres Körpers! Ich denke, es handelt sich hierbei um ein Tabuthema, über das immer noch nicht ausreichend gesprochen wird.

Was könnte noch ein Grund dafür sein, dass dieses Thema so unterrepräsentiert ist?
Melanie: Das Alter.
Laura: Tatsächlich ist Brustkrebs prozentual gesehen eher eine Krankheit, die Menschen ab 60 betrifft. Die Mehrheit der Betroffenen ist älter. Wenn man in einem Alter von ungefähr 30 ist, ist man noch ein junger Patient und hat vielleicht nicht so viel Präsenz oder Unterstützung. Die Lobby für dieses Thema könnte kleiner sein.

Melanie: Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass sich die Art und Weise, wie über solche Themen gesprochen wird, im Laufe der Zeit verändert hat. In den letzten Jahren sind vor allem jüngere Menschen offener geworden, wenn es um Sexualität, Selbstbefriedigung und verwandte Themen geht. Vor 20 Jahren hat kaum jemand darüber gesprochen. Wahrscheinlich sind Frauen damals nicht zu ihren Gynäkolog:innen oder Onkolog:innen gegangen und haben gesagt: „Bei mir und meinem Partner funktioniert der Sex nicht mehr“ oder „Ich habe Probleme mit Scheidentrockenheit“. Offene Gespräche darüber sind noch nicht lange so üblich.

Laura: Stimmt, ja.

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ALLE ILLUSTRATIONEN: SOPHIE WETTERICH

Welche Gedanken habt ihr bezüglich eures zukünftigen Sexuallebens?
Melanie: Ich wünsche mir, dass es wieder so funktioniert wie vorher– oder wenn nicht genau so, dann dass zumindest ein erfülltes und angenehmes Sexualleben zurückkehrt.
Claudia: Das wünsche ich mir auch.

Laura: Ich auch.

Claudia: Du hast eigentlich alles gesagt, was ich auch fühle.

Laura: Ich denke, Geduld ist hier das Zauberwort. Mein Wunsch ist, dass wir beide weiterhin geduldig und experimentierfreudig sind, Verständnis füreinander haben und uns als Paar langsam wieder antasten. Vielleicht ergibt sich auch etwas Neues, es muss nicht 1:1 wie früher sein. Das Wichtigste ist, dass es uns beide erfüllt, in welcher Form auch immer.

Welche Gedanken gehen euch durch den Kopf, wenn ihr darüber nachdenkt, dass eure Partner dieses Interview lesen werden?
Melanie: Ich denke, er wird mich vielleicht ein bisschen besser verstehen. Mit ihm konnte ich in diesem Punkt nicht so offen sprechen wie mit euch. Daher hoffe ich, dass er durch dieses Interview meine Sichtweise besser verstehen kann.

Warum denkst du, dass du mit ihm nicht so offen darüber sprechen könntest?
Melanie: Er ist einfach keine Frau und kann sich daher schwer vorstellen, wie es für mich ist, wenn wir Sex haben. Er kann nicht nachempfinden, wie sich Scheidentrockenheit anfühlt oder wie meine Erfahrungen mit den Krebstherapien waren. Es fällt mir einfacher, mit jemandem darüber zu sprechen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat oder zumindest ähnlich nachvollziehen kann.

Laura: Ich habe vorher mit meinem Partner darüber gesprochen, weil es mir wichtig war, dass er darüber Bescheid weiß. Ich denke, es betrifft beide Personen in einer Beziehung, daher sollte auch jeder einverstanden sein. Er hat mir zugestimmt und betont, wie wichtig es ist, dass über das Thema mehr gesprochen wird, um dieses Tabu zu durchbrechen.

Claudia: Ich hatte kurz zuvor meinem Mann von dem Interview erzählt, worum es geht und dass ich es gerne machen möchte. Er steht da voll hinter mir.

Hinweis der Redaktion: Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten haben wir die Namen der Interviewpartnerinnen verändert. Die echten Namen sind der Redaktion bekannt.

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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