„Sofia, I may have chlamydia, you should do the test” ist nicht die Art von Nachricht, die mir kurz vor dem Schlafengehen zu süßen Träumen verhilft. Schon gar nicht, wenn ich mich währenddessen in Barcelona befinde – in einem Land, indem mein Vokabular auf ein läppisches „¿Hola, cómo estás?“ begrenzt ist. Trotzdem bringt diese WhatsApp auch etwas Gutes mit sich, auch wenn sie sich auf den ersten Blick ziemlich scheiße anfühlt.
Der Typ, der mich ansteckte, ist ein netter Kerl. Wir trafen uns nur ein paar Mal und die Tatsache, dass er mich vielleicht mit einer Geschlechtskrankheit infiziert hatte, ist für mich kein Grund, um in Panik auszubrechen. Eine niedliche Gute-Nacht-SMS wäre mir zwar lieber gewesen, doch Chlamydien sind mit der Einnahme eines Antibiotikums schnell erledigt. Blöd ist nur, wenn man vom Partner nicht informiert wird, da die Infektion häufig keinerlei Beschwerden verursacht und zu Unfruchtbarkeit führen kann. Mögliche Symptome könnten nach ein bis drei Wochen in Form von Ausfluss aus Harnröhre, Vagina, Penis oder Po, Juckreiz, Brennen, Schmerzen beim Wasserlassen oder Sex auftreten. Ich hatte nichts davon, obwohl unser letztes Treffen knapp drei Wochen her ist. Man könnte also sagen, ich habe doppeltes Glück im Unglück.
Was macht man also, wenn man einen solchen Bescheid erhält? Selbstverständlich fängt man damit an, zu überlegen, mit wem man in der Zwischenzeit verkehrt hat. Ab diesem Zeitpunkt ist man nicht mehr nur für sich alleine verantwortlich, sondern auch für andere – ob man möchte oder nicht. Danach wirft man einen Blick in die Unterhose. Soweit ich das beurteilen kann, feuchtfröhlich wie immer.
Nachdem ich meine Mitbewohner also frage, wie das hier so läuft mit den Ärzten und sie mich im Anschluss mit dem Internet bekannt machen, überlege ich, ob ich dem Typen von letzter Woche Bescheid geben sollte. Meine Jungs meinen nein, immerhin hatten wir verhütet und außerdem ist es gar nicht sicher, dass ich positiv bin. Ich bin da anderer Meinung, denn bei Clamydien ist die Mitbehandlung des Sexpartners notwendig, weil sie häufig keine oder nur sehr leichte Symptome auslöst. Viele Menschen merken daher gar nicht, dass sie sich angesteckt haben, und geben die Infektion weiter, ohne es zu wissen. Und da wäre noch die Sache mit dem Oralverkehr und dem angeblichen Herpes, was über den Mund übertragen wird.
Da ich nicht weiß, was ich nun machen soll und mit der Sache nicht alleine sein möchte, schreibe ich Jack. Wir lernten uns vor einer Woche über Bumble kennen, natürlich nur, weil ich mit ihm Skaten wollte. Er brachte mir tatsächlich einen Trick bei, denn ich auch fast schaffte, nachdem wir den Großteil der Zeit auf dem Boden verbracht hatten. Jedenfalls endete der Abend in seinem Zimmer zwischen Klamottenbergen und Morgan, dem Schäferhundsmischling seines Mitbewohners. Ich weiß noch, wie glücklich ich seine Wohnung am nächsten Morgen verließ. Und hier sind wir wieder: Jack, ich und die romantischen Chlamydien.
„We can test together if you want“ ist womöglich die süßeste Nachricht, die er mir innerhalb der Woche, die wir uns nun schon kennen, geschickt hat. Die Romantikerin in mir bildet sich darauf nichts ein, sie entspannt sich, denn sie hat jetzt einen Chlamydienbuddy. Jack meint, ein Test würde zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn machen, denn die Bakterien brauchen mindestens drei Wochen Zeit, um sich zu verbreiten. Zei Wochen kussfrei? Ich erzähle ihm von der Sache mit dem Lippenherpes – anscheinend ist es doch okay, wenn wir uns vorher checken lassen.
Wenn man in Spanien herausfinden möchte, was in der eigenen Unterhose los ist, geht man zu Better2Know – eine private Teststation für sexuell übertragbare Infektionen. Wir treffen uns in der Nähe des Plaça de Catalunya. Jack kommt verschwitzt auf seinem Board an, die fettigen Haare sind zu einem Dutt gebunden, sein Lächeln so breit, dass man es auch unter der Maske erkennen kann. Obwohl es vermutlich kaum einen unangenehmeren Grund gibt, sich wiederzusehen, ist es eine schöne Begegnung; das hängt vermutlich damit zusammen, dass wir die Sache mit Humor nehmen, alles andere wäre auch albern oder?
Die Apotheke schickt uns in das Labor nebenan, dass wir für geschlossen hielten. Wir behalten recht und werden an eine weitere Stelle verwiesen, ein paar Kilometer entfernt. Zehn Minuten und eine wilde Fahrt auf dem falschen Fahrradweg später erklären wir unser Anliegen zum dritten Mal. Der Test ist kein Problem, allerdings sollen wir dafür 118 Euro pro Person bezahlen. Ich schaue den Mann entsetzt an, danach Jack, weil ich nicht glauben kann, dass er bereit ist, die Summe auf sich zu nehmen. Leicht aggressiv frage ich den Mann am Empfang, wie er sich das vorstellt – immerhin bin ich eine arbeitslose Journalistin und habe nicht einmal 100 Euro auf dem Bankkonto. Wir haben Glück, er erklärt uns den Weg zum nächsten Krankenhaus, wo wir uns kostenlos testen lassen können.
Etwas genervt gehen wir wieder raus und machen uns auf den Weg in die Notfallaufnahme. Als ich mein Fahrrad entsperre, überlege ich, ob es nicht einfacher wäre, nach Hause zu fahren. Immerhin bin ich in nicht einmal vier Wochen in Deutschland, wo die Sache nach ein paar Minuten erledigt wäre. Und Jack, ich meine, wahrscheinlich hat er nicht mal etwas – wobei.
In der Universitätsklinik angekommen, stellt sich uns die Security in den Weg. Wir brauchen wohl einen Besucherausweis, ansonsten dürfen wir nicht rein, wahrscheinlich deshalb, weil die Ansteckungsgefahr mit Covid19 zu groß ist. „Wir haben einen Notfall“, lügen wir. Ohne nachzufragen lässt sie uns durch und wir gehen geradewegs in die Urologie, die sich nur wenige Meter entfernt befindet. Die Schlange ist ziemlich lang für jemanden, der eigentlich nicht hier sein möchte. 20 Minuten später lernen wir die schlechten Englischkenntnisse der Schwester kennen. In diesem Moment bin ich sehr erleichtert, dass ich nicht alleine bin, wohl auch, weil man in Spanien nicht weit kommt, wenn man die Landessprache nicht spricht.
Ein Formular und viele Verständigungsprobleme später werden wir dazu aufgefordert, unsere Krankenkassenkarten vorzuzeigen. Eine Sache, die sich wirklich auszahlt. Mit EU-Karte geht alles leichter, wobei Jack, der seine verschlampt hat, auch durchgekommen ist. Innerhalb der nächsten 30 Minuten stehen wir vor dem Plexiglas, beantworten Fragen und ergänzen Daten. Nebenbei vertreiben wir uns die Wartezeit mit Small Talk, wodurch ich den Grund erfahre, warum Jack so dringend einen Test machen möchte: In den letzten sieben Tagen hatte er mit 3 weiteren Frauen Sex und ein heißes Wochenende steht bevor.
Die Arzthelferin ist eine Mischung aus Nervensäge und Engel. Sie ist ziemlich dick, um die 50 und klappert mit ihren buntlackierten Fingernägeln auf die Tasten ihres Computers. Zwischendurch schreit sie uns an, dann lächelt sie wieder – da wir uns nichts zu Schulden kommen lassen haben, kommen wir zu dem Entschluss, dass ihr der nötige Durchblick fehlen muss oder sie einfach nur sehr spanisch unterwegs ist.
Letztendlich klappt es doch und wir werden zu einer Ärztin im „Nebenraum“ geschickt, der wir zum vierten Mal an diesem Tag erklären, dass wir höchstwahrscheinlich Chlamydien haben und einen Test brauchen. Ein erneutes Verständigungsproblem führt dazu, dass wir nacheinander in den zweiten Stock geschickt werden. Oben angekommen, steht Jack im Flur und wartet darauf, abgeholt zu werden. Er erschrickt sich kurz, als ich neben ihm auftauche und da sind wir wieder vereint. Eine Schwester holt uns ab und schickt uns in den „Warteraum“, der eigentlich kein richtiger Raum ist, wie man ihn aus deutschen Krankenhäusern kennt, vielmehr ein abgetrennter Bereich, der mithilfe eines Vorhangs von den anderen „Zimmern“ separiert wird.
Als der Arzt zu uns kommt, erklären wir erneut, was passiert ist – aus irgendeinem Grund werden wir immer wieder für Corona-Patienten gehalten. Für ihn wäre es vermutlich einfacher, wenn wir an einem anderen Tag wiederkommen. Jack, der den ganzen Tag über ein anständiges Verhalten an den Tag gelegt hatte, platzt der Kragen. Nachdem wir nun Stunden damit verbrachten haben eine Möglichkeit zu finden, uns testen zu lassen, wollen wir nicht akzeptieren, dass das alles umsonst war. Wir reden auf den Arzt ein, mal lauter, mal leiser, bis er nachgibt. Ein paar Fragen zu unseren Verträglichkeiten und Allergien später willigt er ein, uns ein Antibiotikum zu geben. Fünf Minuten später bekommen wir zwei Becher mit Wasser und jeweils zwei Tabletten in die Hand gedrückt, wir stoßen lachend an und kippen den Inhalt runter.
Sex für sich ist schon ein Thema, über das viele nicht sprechen – über sexuell übertragbare Krankheiten schon gar nicht. Wer gibt schon gerne zu, sich über einen One-Night-Stand angesteckt zu haben? Leider viel zu wenige! Sex ist ein gesellschaftliches Tabuthema und das muss sich ändern! Doch auf der anderen Seite können uns die Mikroorganismen zu mehr Ehrlichkeit zwingen, denn viele der Krankheiten, auch STI* genannt, sind alles andere als harmlos. Die wichtigste Regel, die wir viel zu oft beiseiteschieben: Kondome! Sie schützen zwar nicht in jedem Fall, siehe Jack und ich, und auch nicht vor jeder Infektion, aber doch besser als andere Methoden. Im Sprechkreis sollten wir unsere eigenen Fehler entlarven und darüber hinaus kann der Austausch mit anderen Menschen das ein oder andere Drama verhindern.
Und Jack und ich? Wir stehen draußen vor dem Krankenhaus, rauchen eine Zigarette, lachen über diesen bescheuerten Tag und sind glücklich, dass wir einander hatten. Manchmal ist der Anlass, weshalb man sich wieder sieht, nicht angenehm, doch der Fakt, dass man damit nicht alleine ist, macht es besser.
„Wir sehen uns!“, sagt Jack, als er sich mit einem schiefen Lächeln von mir verabschiedet.
Ich setze mich auf mein Fahrrad, fahre los in Richtung WG und bin dankbar für diese Erfahrung. Jack denkt vermutlich an die drei anderen Frauen und daran, wie er seine Nachricht verfassen wird – denn ohne Test kann er nicht wissen, ob er den Virus weitergegeben hat oder nicht. Und wer weiß, vielleicht wartet auch auf sie eine schöne Geschichte, an die sie sich gerne zurückerinnern werden.
*Sexually Transmitted Infections
Reingeguckt! Jetzt musst du auch die anderen Werke lesen:
Ich hatte Sex ohne Kondom und habe mich mit Chlamydien angesteckt
Was es heißt, ein Adult Baby zu sein
Monogamie oder Polygamie: Die ehrlichen Erkenntnisse einer polyamourösen Person
Jetzt dieverpeilte supporten und mit dieser geilen Autorin anstoßen!
Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.