„Lass mal ins Kürzer gehen“, ein Satz, um den ich in Düsseldorf nicht herumkam. Und wo ist das? Na, in der Kurze Straße! Also ließ ich mich mitreißen und betrank mich in Düsseldorfs jüngster Brauerei. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich dort war. Mensch, hatte ich gute Laune. Da war wohl zum einen die Atmosphäre dran schuld. Denn wie in einer Brauerei fühlt man sich nicht wirklich dort. Vielmehr erinnert sie an eine Studentenkneipe. Nur das dort eben das traditionelle Altbier gebraut wird. Und das bis in den frühen Abend hinein, während die Leute ihr Bierchen zischen. Und dann war da noch unsere Kellnerin. Ein Bier nach dem anderen lud sie bei uns ab und das, noch ehe wir den letzten Schluck ausgetrunken hatten. Viel Zeit zum „Nein“ sagen blieb also nicht. Denn bevor du die Worte noch laut ausgesprochen hast, hattest du schon das Nächste in der Hand. Service nennt man das hier. Irgendwann ging mir das Geld aus und ich war auf der Suche nach einem neuen Job. Ein Freund meinte dann zu mir, ich könne es ja mal im Kürzer probieren. Und auf diesem Weg landete ich kurze Zeit später hinter der Theke und verkaufte das beliebte Altbier. So kam es dazu, dass ich selbst meine Striche auf den Deckeln machte und den Leuten dabei zu sah, wie sie immer lustiger wurden. An meinem Probearbeitstag lernte ich den Big Boss HP kennen, oder wie manch andere ihn nennen, Hans-Peter Schwemin. Ihm gehören die benachbarten Locations Schaukelstühlchen, Engelchen und das Kürzer. Er erzählte mir, wie er zu seiner ersten Bar kam und dann vor knapp zehn Jahren das Kürzer in Düsseldorfs Altstadt etablierte.
Brauhäuser waren schon in HPs Kindheit ein Ding, denn seine Eltern wohnten in der Nähe der alten Dietrich-Brauerei. So stand er schon als vierjähriger total begeistert am Straßenrand und schaute den Pferden hinterher, deren Wägen mit Fässern beladen waren. Mit 16 wurde ihm dann klar, dass er später mal eine eigene Kneipe besitzen möchte. Doch bevor er nach den Sternen greifen konnte, blieb ihm erst mal nur das Träumen übrig. Denn neben Stärke, Geduld und Leidenschaft braucht man noch das nötige Know-how, um Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. „Bevor ich den Plan mit der eigenen Kneipe in die Tat umsetzte, fing ich ein Betriebswirtschaftsstudium an, dass ich doch schon nach kurzer Zeit pausierte. Und so legte ich mit 24 mit der Bar los“, erzählt er. Nach einem geeigneten Ort brauchte er nicht lange suchen, da er schon in seiner Jugend in der Kurze Straße unterwegs war und sich im Schaukelstühlchen gerne mal auf ein Bier überreden lies. Also dachte er sich, warum nicht? Und pachtete die Kneipe im Jahr 1983. Er fing hinter der Theke an, lernte somit, nicht nur wie ein Geschäftsmann zu denken, sondern auch auf die Wünsche der Gäste einzugehen. Währenddessen brachte er den Laden noch auf Vordermann und investierte in eine Sanierung. Und als HP fleißig am Zapfen war, kam eine Gruppe Studenten in seine Bar. „Wir unterhielten uns am Tresen, ich erzählte ihnen von meinem unterbrochenen BWL-Studium. Die Jungs ermutigten mich, mein Studium mit ihnen zusammen in der Düsseldorfer Universität zu absolvieren. Und das tat ich. Mit 30 hatte ich meinen Abschluss“, erinnert er sich. Danach kaufte er das Haus und später das Gebäude nebenan und verband die ehemals eigenständigen Lokale miteinander, die wir heute als Schaukelstühlchen kennen. Irgendwann kam ihm die Idee, dass es ein guter Mix wäre, die Studentenkneipe, die er schon hatte, mit eigenem Bier auszustatten. So kaufte er 1999 das dritte Haus, in dem sich heute die Brauerei Kürzer befindet, und fing mit der Planung an. Stets seinem Ziel im Auge verbrachte er seine Zeit auf Braumessen und versuchte, von jenen zu lernen, die ihm schon ein paar Schritte voraus waren.
Foto: Fabian Meier
Und dann, es war um das Jahr 2006, nahm seine Planung immer mehr Tempo an. Da nun feststand, dass er eine eigene Brauerei aufmachen wird, fing er an, sich den Kopf über einen geeigneten Namen zu zerbrechen. Zwei Jahre lang setzte er sich damit auseinander, wog verschiedene Möglichkeiten ab und überlegte weiter. „Auf den Namen kam ich durch die Straße, in der wir uns hier befinden. Früher fragten mich die Leute immer, wo denn meine Kneipe sei. Daraufhin sagte ich ihnen, in der Kurze Straße. Dann fragten sie immer, wo die denn ist. Aus diesem Grund nahm ich mir vor, dass die Straße im Namen vorkommen muss. Irgendwann traf ich dann mal einen Mann namens Härter. Dadurch kam ich auf die Idee, das Kurze zu einem Kürzer zu steigern“, berichtet er. Damit erschuf er nicht nur eine Marke, die sich bis heute bewährt. Gleichzeitig machte er die Straße bekannt, die zuvor kaum jemandem ein Begriff war. Und wenn die Leute heute sagen, „Lass mal ins Kürzer gehen“, dann weiß fast jeder Düsseldorfer, wo die Brauerei zu finden ist.
Im Jahr 2010 ging es dann zur Sache. Mit einem riesigen Kran ließ er seine Brauanlage über die Dächer der Kurze Straße einfliegen. Dafür musste er tief in die Tasche greifen und so stapelten sich die Rechnungen bis unter die Decke. „Damals hatte ich nicht das Geld, den Laden einfach dichtzumachen. Also stellten wir eine alte Theke hin und ein paar alte Baukübel. Wir befüllten sie mit Eis und kühlten das Grolsch darin. Zusätzlich hatten wir auch noch ein Fass“, sagt er. Und so, noch bevor das Kürzer überhaupt richtig eingezogen war, wurde die bereits bestehende Quetsche zur Übergangsbar vergrößert. Ein Ort, wie man ihn noch aus dem Berlin der 80er Jahre kennt. Abgeranzt, überall Staub und voller Leben. Während im hinteren Teil umgebaut und fleißig ausgeschachtet wurde, ging im vorderen Teil die Post ab. Ein positiver Nebeneffekt war, dass die damalige Sperrstunde aufgehoben wurde, sodass die Leute in HPs Bar länger durchfeiern konnten. Trotz fehlender Decke und Fenster war es darin brechend voll. Nicht mal eine Heizung konnte er bieten, sodass die Mitarbeiter in Schneeanzügen arbeiteten, um nicht frieren zu müssen. Und dieser anarchistische Flair hinterließ bleibenden Eindruck. „Die Leute interessierte es nicht, dass überall Bauschutt und Staub war. Im Gegenteil, sie fanden es lustig. Ich weiß noch, als mir damals eine Angestellte aus der Schaukel erzählte, wie sich ein Gast darüber freute, dass er uns gefunden hat. Er hatte etwas über uns gelesen und war total angetan von unserem „Konzept“. Damals hing ich das natürlich nicht an die große Glocke, aus Angst, die Ämter machen uns den Laden dicht“, schmunzelt er.
Foto: Fabian Meier
Nun fehlte es nur noch an zwei Dingen. Das Rezept für sein Altbier und der Brauer, der es produziert. Etwa zur selben Zeit, als er mit dem Umbau begann, machte er sich auf die Suche nach einem passenden Bierbrauer. Doch HP wollte nicht einfach irgendwen. Die Chemie musste stimmen. Und so, nach einigen aussichtslosen Gesprächen, stolperte sein jetziger Brauer Micha in sein Leben. Micha lebte zu der Zeit noch in Zürich, hatte jedoch den Plan, zusammen mit seiner Freundin zurück nach Düsseldorf zu gehen, um sie zu heiraten. Wo er seine Brötchen verdienen sollte, wusste er bis dahin noch nicht. „Die beiden fanden uns über einen Artikel in der Zeitung, in welchem über mein Projekt berichtet wurde. Seine Partnerin meinte dann zu ihm, dass er mich doch mal anrufen könnte. Kurz darauf unterhielten wir uns und fanden zueinander. Seitdem sind wir ein Team“, berichtet HP. Das Rezept für das Altbier entwickelten sie zusammen. Die Grundzutaten Wasser, Hopfen, Malz und Hefe kannten sie bereits. Doch wie sie das Ganze am besten Mixen, war ihnen noch nicht bewusst. Also fingen sie ganz unten an und probierten sich durch Düsseldorfs Altbier-Sortiment. „Wenn man ein eigenes Bier herstellen möchte, probiert man vorab die Biere, die einem schon gefallen und wägt ab. So kann man beispielsweise das übernehmen, was man daran mag oder das ändern, was man anders machen würde“, erklärt er. An einem Beispiel verdeutlicht er sein Vorgehen: „Das ist genau wie das Kochen einer Tomatensoße. Gibt man vier verschiedenen Menschen dieselben Zutaten, kommt es niemals vor, dass ein und dasselbe Ergebnis dabei rauskommt. Menge, Spielraum und der saisonale Geschmack sind ausschlaggebend für das Resultat.“ Doch zusätzlich hatten sie noch eine andere Idee, die HP aus seiner Zeit hinter der Theke mitnahm. „Im Schaukelstühlchen lernten wir, dass die jungen Frauen alle Pils bestellten, weil sie das Altbier nicht mochten. Daher mussten wir einen Geschmack finden, der beiden Geschlechtern gefällt. Daher hat unser Bier anfänglich eine etwas süßlichere Note. Zu Beginn nannten wir das noch den karamelligen Antrunk“, berichtet er. Mit den Jahren veränderte sich das Aroma. Die süßliche Note lies nach und so schmeckte sein Bier immer mehr, nachdem, wie das Kürzer heute schmeckt.
Foto: Fabian Meier
Doch wie war denn nun eigentlich das erste Bier? HP denkt zurück: „Unser erstes Kürzer war gut, jedoch einfach anders. Heute ist es sicherlich ausgewogener und runder. Die ersten Biere, die wir brauten, waren interessant und sicherlich auch gut. Sie gingen eher in eine bayerische Richtung, enthielten also mehr Malzsüße, die wir nach und nach reduzierten“.
Und als das Kürzer dann endlich aufmachte, war HPs Kontostand bis aufs Äußerste überzogen. Er hatte keinerlei Spielraum mehr. So konnte er sich die in Brauereien so üblichen Altgläser mit einer Füllmenge von 0,25 Liter nicht mehr leisten. „Wir haben dann einfach angefangen, mit dem, was wir hatten. Das waren 0,2 Gläser. Den Leuten fiel das erst mal nicht auf. Irgendwann kam dann ein Gast vorbei und meinte, unsere Gläser seien ja auch kürzer und lachte. Und so wurde das zu unserem Markenzeichen“, berichtet er. Und das Geschäft läuft mittlerweile so gut, dass er eine weitere Brauerei im Stadtteil Flingern eröffnen wird. Dort haben sie mehr Kapazitäten und Möglichkeiten, um das Flaschenbier herzustellen, dass bisher in der Brauerei Kürzer und ausgewählten Läden verkauft wird. Doch das ist nicht der einzige Gedanke dahinter: „Bei uns ist die Biersorte ja noch sehr traditionell. In Flingern werden wir etwas experimenteller vorgehen und verschiedene, neue Biertypen probieren.“
Zum Abschluss ein paar Bilder aus dem Jahr 2010, als HP mit dem Umbau durchstartete.
Immer wenn sich mir eine Chance geboten hat, habe ich sie ergriffen! – Hans-Peter Schwemin
Foto: Fabian Meier
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.