photo by aguyshootingpictures
Jetzt, wo jeder mit einem Smartphone und einer Internetverbindung ein Profi-Fotograf ist, habe ich beschlossen, Fotografen aus meinem Umfeld genauer unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, wer sich heute wirklich noch so nennen darf und wer nicht. Denn eines ist sicher, einen wesentlichen und unverzichtbaren Teil meiner Arbeit machen ihre Fotos aus. Da kann man als Redakteur noch so gut schreiben, das Auge isst einfach mit. Und Google stellt für mich dabei nicht gerade eine befriedigende Option dar. Vielmehr bin ich auf der Suche nach Bildern, in denen visuelle Emotionen so eingefangen werden, dass die Zeit während des Betrachtens stehen zu schein bleibt. Jemand, der dieses Handwerk ziemlich genial beherrscht, ist der Münchener Sandro Prodanovic. Anhand der Fotografie denkt er sich neue Welten aus, während er das fantastische Potential unserer eigenen Welt zum Ausdruck bringt. Für ihn ist seine Arbeit eine Art Realitätsflucht, mit der er Menschen und Dinge zeigt, die durch ihre Mimik und Gestik seine eigene Lebensgeschichte erzählen.
„Die Erfahrungen, die ich mache, übertrage ich auf meine Arbeit. So einfach ist das.“ – Sandro Prodanovic
Im August letzten Jahres reiste ich nach München, um für einen Artikel zu recherchieren. Kurz zuvor war ich auf der Suche nach einem geeigneten Fotografen, der für meine Kolumne FAZE Trip meine Eindrücke einfängt. Von einem Freund erhielt ich den Tipp, dass Sandro der richtige für den Job sein könnte. Die beiden hatten ein Shooting zusammen und die Bilder gefielen mir ziemlich gut. Zudem fanden wir recht schnell heraus, dass wir auf dieselbe Mukke stehen. Also why not. Ich schrieb ihn hoffnungsvoll an, er sagte begeistert zu. Als ich dann zum ersten Mal auf ihn traf, war ich wirklich überrascht. Nicht, weil ich nicht glaubte, dass er gute Bilder schießen würde. Es war sein Engagement, dass mich beeindruckte. Das Ding war, ich konnte ihn nicht bezahlen; da ich für solch einen Bonus einfach kein Budget habe. Schöne Bilder will ich aber trotzdem haben. Und Sandro hatte Bock auf den Auftrag, Geld hin oder her. Unsere To-do-Liste war dabei nicht ohne. Wir mussten uns drei Clubs anschauen und ein Tagesfestival auschecken. Wo ich irgendwann faul in der Hängematte herumlag, lief er quer über die Location und schoss wundervolle Bilder. Eine Motivation, die ich bis dahin nur von mir selber kannte – na ja, so halbwegs. Und letztendlich benötigte er nur wenige Aufnahmen, um die perfekten Momente einzufangen. Teilweise war er so schnell durch, dass ich nicht mal Zeit hatte, ein richtiges Pläuschchen anzufangen. Schon stand er wieder neben mir und zeigte mir das Material. Das Vertrauen in ihn war von Anfang an da und ist es noch. Er selbst würde sich bis dato als kontemporären Streetfotografen bezeichnen. Aus dem einfachen Grund, weil er mit seinen Bildern versucht, die Norm von dokumentarischer Streetfotografie zu brechen. Und das lässt sich sehen.
Hier ein paar Eindrücke, aus unserem gemeinsamen Projekt:
Viel interessanter ist jedoch, wer hinter den Fotos steckt. Im Interview spricht er über seine Bildsprache und seine Inspirationen:
Jo Sandro, magste dich mal eben vorstellen?
Hello. Ich bin der Sandro. 22 Jahre alt. Obwohl ich in München teilweise aufgewachsen bin, habe ich in Washington D.C. bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr gelebt. Neben diversen Aufträgen arbeite ich noch in der Aroma Kaffeebar.
Wann und wie bist du zur Fotografie gekommen?
Witzigerweise war ich schon immer in Kontakt mit Foto und Video, das fing durch meine Zeit in der Skaterszene an. Ich wusste schon immer, dass ich mich in eine kreative Richtung bewegen möchte; doch vor meinem 17. Lebensjahr schien ich mir noch nicht als „reif“ genug. Irgendwann verletzte ich mich am linken Knöchel und das war der Startschuss für meine Karriere als Fotograf. Kurz darauf kaufte ich mir in einem Second Hand meine erste Analogkamera, eine Yashica FX-1.
Was ist das Besondere für dich das Besondere an der Fotografie?
Fotografie ist für mich gleichzeitig die größte Sucht aber auch eine erstaunliche Therapie.
Wann fotografierst du?
Immer wenn ich unterwegs bin, habe ich eine meiner Kameras dabei. Und so ergeben sich dann die meisten meiner Bilder. Wenn ich in der Woche nichts Konkretes zu tun habe, dann habe ich eine Liste von Orten, Straßen und Stadtteilen aufgeschrieben, die ich zu verschiedene Tageszeiten besuchen kann.
Was magst du an Schwarz-Weiß-Fotografien?
Als Stilmittel setze ich die Schwarz-Weiß-Fotografie ein, um Emotionen, Szenen und Details auf schwarze, weiße und graue Töne herunter zu brechen. Der Fokus wird nicht auf die Farben gelegt, sondern auf das ausgewählte Subjekt. Anders kann ich es dir nicht erklären. Außerdem bin ich vollkommen verliebt in die Ästhetik, des klassischen Schwarz-Weiß-Bildes; egal aus welchem Genre.
In deinen Bildern kommen viele verschiedene Emotionen zum Vorschein. Wie erklärst du dir das?
Sei es eine Trennung, Stress im Studium, Familie – egal was, ich schieße weiterhin Fotos. Die Erfahrungen, die ich mache, übertrage ich auf meine Arbeit. So einfach ist das.
Was möchtest du mit deinen Fotos bewirken oder zum Vorschein bringen?
Ich sehe meine eigenen Fotos als eine chronologische Dokumentation meines Lebens. Mir ist wichtig, dass die Menschen, die meine Bilder betrachten, meine einsame Einstellung verstehen. Und falls es ihnen genauso geht, können sie meine Arbeit als Motivation sehen, sich selber mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen.
Welche Themen inspirieren dich?
Einfache Sachen wie Reflexionen, aber auch fließende Bewegungen faszinieren mich in letzter Zeit. Außerhalb der Fotografie interessiere ich mich vor allem für psychischen Krankheiten und Süchte. Hierfür habe ich auch schon ein paar Projekte geplant.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Auf mich bezogen, wünsche ich mir, dass ich später immer noch die Möglichkeit habe, weiterhin so viel zu fotografieren, wie ich das momentan tue.
Welche Eigenschaften sollte ein Fotograf mit sich bringen, um sich Fotograf nennen zu können?
Für mich persönlich ist eine wahnsinnige und teilweise kranke Passion für Fotos absolut essenziell. Wenn das nicht vorhanden ist, dann ist man eine Person, die gerne hier und da Bilder schießt. Klar könnte man auch sagen, dass der Begriff „Fotograf“ einfach nur ein Titel ist, aber für mich persönlich hat dieser eine große Bedeutung.
Wie schwierig ist es, sich als Fotograf durchzusetzen – neben der Konkurrenz?
Heutzutage ist es extrem hart. Fast alle Bereiche der Fotografie wurden mittlerweile stark erforscht. Neue Themen, Stile etc. werden immer zackiger gefunden und zu Tode ausgearbeitet. Das Einzige was man wirklich tun kann, ist Inspirationen zusammenmixen und irgendwie versuchen, einen Stil für sich zu entwickeln. Viele Leute sind schnell überfordert davon und haben keine Zeit dafür. Und ganz ehrlich, so ist es auch. Für mich hat das jedoch noch mehr Reiz, mehr Zeit und Energie in meine Arbeit zu stecken – mit der Hoffnung, irgendwann mal einen komplett eigenen Stil zu besitzen.
Was macht München zu einer guten Kulisse?
Naja, München an sich ist meiner Meinung nach wenig erforscht. Überall sind kleine Orte, Geschehen und Szenarien, die von der breiten Masse unbeachtet bleiben. Das Ganze gekoppelt mit Licht, Wetterverhältnissen und der Bevölkerung, macht München zu einer relativ interessanten Kulisse. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich bis heute immer noch neue Sachen entdecke; und das, obwohl ich schon seit acht Jahren in München lebe.
Für deine Fotostrecke hast du dir das Thema „Einsamkeit“ gewünscht. Was kannst du mir dazu erzählen?
Einsamkeit ist ein relativ aktuelles Thema bei mir. Obwohl ich eine ziemlich extrovertierte Person bin, werde ich ständig mit dem Gefühl des Alleinseins konfrontiert, sobald ich tatsächlich auch mal alleine bin. Anfangs brachte mich das noch zum Zweifeln. Das Wichtigste für mich war, mich auf irgendeine Art und Weise zu beschäftigen – um diese Gefühle möglichst schnell zu umgehen. Doch statt vor diesen Emotionen zu fliehen, beschloss ich unbewusst, diese Gefühle auf mehreren Bildern zu porträtieren. In den ersten paar Monaten schoss ich tagsüber mit relativ flachem Licht. Als der Winter kam, war ich gezwungen, mehr in der Nacht zu schießen, was zu dieser teils düsteren Stimmung führte. Mit der Zeit merkte ich, dass ich immer wieder auf ähnliche Motive stieß: einzelne Raben, verlassene Busstationen und Regen. Mit der Zeit fing ich an, mich wie ein Geist in meiner Stadt zu fühlen. Doch die Serie ist noch nicht ganz abgeschlossen, weitere Bilder sind noch in Planung.
Und jetzt, tauch ein, in Sandros Welt:
Und zum krönenden Abschluss, Sandros Sound:
Du hast Bock, Sandro zu engagieren oder mit ihm kreativ zu werden? Dann schreib ihm doch einfach!
www.instagram.com/y.d.n.a.s
Magste? Dann check doch mal das hier:
Ein Blick in Denise Bauers Plattensammlung
Ein Blick in Oliver Hess’s Plattensammlung
Ein Blick in meine Plattensammlung: 90’s Wax (Limited Edition)
Darf ich vorstellen: Fabian Meier (Konzertfotografie)
Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.
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