„Wie, du hast noch nie Alkohol getrunken?!“. Ungläubig und überrascht schaut mich meine neue Bekanntschaft an. Dass es so was im Jahr 2021 noch gibt, damit hätte sie vermutlich nicht gerechnet, denn Alkohol ist schon seit dem Mittelalter (und in manchen Teilen der Welt bereits seit einigen Jahrhunderten vor Christus) ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft und der Verzicht darauf gleicht schon fast dem Verrat an ihr. Egal, ob in einer gemütlichen Runde, zu festlichen Anlässen oder in der Kirche – Alkohol ist der ständige Begleiter, der beste Freund, der von jedem akzeptiert und gemocht wird. Klar ist es umso auffälliger, dabei aus dem Raster zu fallen.

„Ist das was Religiöses?“, „Erlauben es deine Eltern nicht?“, „Hast du schlechte Erfahrungen damit gemacht?“. Das sind nur einige der Fragen, die mir immer und immer wieder gestellt werden. Also hier noch mal für alle, damit das auch jeder mitbekommt:

Nein, es ist nichts Religiöses. Nein, ich bin aus dem Alter raus, indem meine Eltern mir Alkohol verbieten könnten. Es ist im Gegenteil eher so, dass meine Mutter mich sogar dazu ermutigt, doch auch mal einen Schluck von ihrem Sekt zu probieren. Nein, es liegt auch nicht an schlechten Erfahrungen. Wie denn auch, ich hab ja noch gar keine.

Es gibt immer Gründe, warum manche Menschen dieses nicht tun oder tun und warum andere jenes eben nicht tun oder tun. Ich verurteile niemanden, der mich fragt, warum ich keinen Alkohol trinke. Jeder hat andere Motivationen und nur dadurch kann man seinen eigenen Horizont erweitern. Dabei ist meine Antwort auf all eure Fragen so einfach wie banal:

Es reizt mich nicht. Nichts an Alkohol reizt mich. Weder Geruch noch Effekt noch die Form einer Flasche. Um das an einem simplen, wenn auch skurrilen Beispiel darzustellen: Stellt euch vor, ich würde euch geröstete Insekten anbieten. Würdet ihr das Angebot annehmen? Viele vermutlich nicht, den meisten fehlt der Reiz, vielleicht ekelt ihr euch auch.

In manchen Regionen der Welt sind Insekten zweifelsfrei eine Delikatesse, die so normal ist wie Alkohol hier. Aus einer Umfrage aus dem Jahr 2019 geht hervor, dass lediglich 32 Prozent der Deutschen kaum bis gar keinen Alkohol trinken. Würden alle Menschen, die Alkohol konsumieren, die deliziösen Insekten annehmen, wären wir immerhin bei 68 Prozent, was wohl wenig realistisch ist. Was man mit Sicherheit sagen kann: Viele lehnen es ab, obwohl sie es nicht probiert haben. Auch eine Ansage, die mir ständig an den Kopf geworfen wird.

Das ist die eine Seite der möglichen Reaktionen auf mein „Anti-Alkohol-Outing“. Die zweite Seite redet sich raus mit Sätzen wie „Krass, voll gut, aber ich könnte das nicht“. Mein Freundeskreis, mein Mitbewohner, meine Lehrerin, meine Kommiliton:innen. Sie alle verstecken sich hinter dem Satz, um die Verantwortung aus ihrer Hand zu geben – als seien sie Opfer des bösen Trunks geworden. Meine Oma prägte mich in jungen Jahren schon mit einem Satz, der mir die eigenen Stärken in Erinnerung rufen soll: „Ich will und ich kann.“ Es ist jedem selbst überlassen, wie konsequent er seine Ziele verfolgt und es ist auch nicht verwerflich, einen neuen Weg einzuschlagen, ein Stück des Weges zurückzugehen oder ab und zu auch stehen zu bleiben. Aber zu sagen, dass man niemals auf Alkohol verzichten könnte, klingt für mich wie eine Ausrede. „Du kannst, du willst nur nicht“, denke ich mir dann immer, gebe aber milde lächelnd ein „Musst du ja auch nicht“ von mir, nur um nicht noch mehr anzuecken.

Die dritte Seite wertet meine Aussage, dass ich keinen Alkohol trinken möchte als Angriff und baut sich sofort einen Schutzschild aus persönlichen Argumenten auf, um sich vor mir – der Radikalen – rechtfertigen zu können. Dann kommt oft ein „Ich trinke ja eigentlich auch nicht so viel“ oder ein „Es schmeckt mir“. Ich bin ehrlich: Es ist mir egal, wie viel oder welchen Alkohol du trinkst oder ob es dir schmeckt oder nicht. Aber wieso mein Outing dabei als Angriff auf die Lebenseinstellung des anderen aufgefasst wird, ist und bleibt mir ein Rätsel.

Ja, vielleicht hab ich auch einfach nur Angst. Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, keine klaren Erinnerungen mehr zu haben oder sonst was anzustellen. Aber das ist okay. Jeder muss seinen Weg finden, auf dem er sich wohl fühlt. Ich kann nachvollziehen, dass andere den Flow des Alkohols genießen. Sich gehen lassen, ohne sich groß Gedanken machen zu müssen, alle Sorgen vergessen und frei und leicht durch die Clubs oder das Wohnzimmer tänzeln. Für mich ist das nur nichts. Den gleichen Effekt haben bei mir tiefsinnige Gespräche über Schicksal, Träume und den Sinn des Lebens. Nicht mein Körper braucht das Flow-Gefühl, sondern mein Geist.

Für manche mag das spießig sein, möglicherweise sogar langweilig. Na und? Dann bin ich halt ein Spießer. Früher dachte ich immer, man muss dazugehören, um angenommen zu werden. Heute weiß ich, dass es dabei nur um Authentizität geht. Bist du authentisch, dann bist du mittendrin. Es ist nicht schädlich, andere Meinungen zu vertreten, auch wenn sie eine Randgruppen- oder Minderheitenmeinung darstellen. Wir müssen uns nur ins Gedächtnis rufen, dass je nach Blickwinkel jeder einer Randgruppe angehört. Je nach Fragestellung ist man in der Schar dabei oder eben nicht. Aber das macht einen schon lange nicht zum Außenseiter, – das kann ich euch versprechen. Es gibt da beispielsweise die Randgruppe der Menschen, die keinen Alkohol trinken oder die, die Drogen nehmen oder die, die sich schon mal ins Koma gesoffen haben. Im Jahr 2018 wurden immerhin knapp 100.000 Deutsche in allen Altersklassen aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs ins Krankenhaus eingeliefert. Ein kleiner Teil wie man sieht, aber meiner Meinung nach immer noch zu viele.

Um abschließend festzuhalten: Die meisten Menschen, die keinen Alkohol trinken, verurteilen nicht Menschen, die welchen trinken. Es ist ihnen oftmals einfach egal. Jeder sollte seine Freiheit ausleben können, wie er möchte. Doch dazu gehört auch, dass Leute wie ich nicht ständig darüber debattieren müssen, warum wir nichts trinken.

Für die Zukunft erhoffe ich mir folgendes Gespräch führen zu können: Ich: Ich trinke keinen Alkohol, danke. Andere Person: Ok. Und damit weiter im Geschehen.

Autorin: Lea Hack
Illustration: Claudia Müller

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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