That’s the dream: Tanzend tauchen wir ein in einen Moment kollektiver Präsenz und gleichzeitiger Vergessenheit. Ich denke kurz darüber nach, wann ich mich das letzte Mal derart unbeschwert gefühlt habe und versinke dann wieder im Augenblick. Wir sind einfach da und so, wie wir sind. Und es ist gleichzeitig völlig egal, wer wir sind. “Genau das hier”, denke ich mir, “liebe ich am meisten daran, eine Techno-DJ zu sein” und grinse meinen DJ-Kollegen verschwörerisch an. Wir spielen zwei Stunden gemeinsam, verlassen verschwitzt die Bühne und nehmen von dort aus direkt ein Bad in der Menge. Ein mir unbekannter Typ, der die ganze Zeit hingebungsvoll zu unserer Musik getanzt hat, tippt von hinten auf meine Schulter und fragt völlig ernst: “Voll cool, dein Freund hat dich gerade auch ein paar Übergänge machen lassen, oder?”
Im ersten Moment denke ich mir nicht viel dabei, nicke, lächle und schlängle mich durch die Crowd. Ich brauche gerade eine Pause. Erst als ich mit einem Getränk an der frischen Luft sitze, denke ich noch einmal an den Satz des Mannes. Jetzt wummern nicht mehr die Bässe um mich herum, sondern mein Kopf.
Voll cool, dein Freund hat dich gerade auch ein paar Übergänge machen lassen, oder? Der Typ dachte offenbar, dass ich die Freundin meines DJ-Kollegen sei. Seine DJ-Plus-Eins quasi. Ich wurde also nicht als alleinstehende Künstlerin, sondern als Anhängsel wahrgenommen? Der Kommentator konnte anscheinend auch gar nicht glauben, dass mein vermeintlicher Boyfriend mich ausnahmsweise auch einmal für ein paar Minuten an die Decks gelassen hat. Dass ich bei unserem Set genau 50 Prozent der Arbeit verrichtet habe, wie das bei einem Back-to-Back-Gig eben so üblich ist, hat er wohl gar nicht erkannt. Ich verziehe das Gesicht, fange an zu grübeln und ehe ich mich’s versehe, gerate ich in einen wütenden Gedankenstrudel, der die positiven Post-Gig-Vibes in mir völlig konterkariert.
Natürlich könnte ich das alles unter sinnlosem Party-Gebrabbel – mit dem man als Frau im Nachtleben doch relativ häufig konfrontiert wird – verbuchen und nicht weiter darüber nachdenken. Doch je mehr Mühe ich mir gebe, den gedankenlosen Kommentar, der “wahrscheinlich nur nett gemeint” war, an mir abperlen zu lassen, desto mehr Momente tauchen in meiner Erinnerung auf, in denen ich als weibliche Künstlerin anders behandelt wurde als meine männlichen Kollegen: Ich musste mir nach einem Auftritt anhören, dass ich ja “für eine Frau” total gut auflege. Wenn ich nicht allein spielte, bekam nach dem Auftritt immer nur mein männlicher Back-to-Back-Partner technisches Feedback zu unseren Sets. Ich bekam Komplimente zu einzelnen Körperteilen. Als hätte der Trainiertheitsgrad meines Bauches irgendeinen Einfluss auf mein Mixing. Ganz zu schweigen von dem ungebetenen Feedback, das mir von Männern aufgedrückt wurde: Normalerweise liebe ich es, eine Rückmeldung zu Sets zu bekommen, aber es gibt einen richtigen Moment dafür und einen falschen. Wenn mir ein Nicht-DJ auf einer Party ungefragt mansplaint, was in seinen Augen an meinen Sets uninspiriert sei, ist das kein hilfreicher Austausch auf Augenhöhe, sondern er überschätzt seine eigene Kompetenz und langweilt mich damit. Wahrscheinlich kaum zu toppen ist aber ein Clubbesitzer, der mich einmal gefragt hat, ob ich nicht im Bikini auflegen könne. Das war natürlich nur ein Witz und ich sollte es “als Kompliment nehmen”!. Dieses bunte Bouquet an Ärgernissen – das Relativieren meiner Kompetenz aufgrund meines Geschlechts, die Objektifizierung, das Vorenthalten von Information, das Unterstellen technischer Inkompetenz, Mansplaining und übergriffige Bemerkungen – sind keine blumigen Partyanekdoten einer ein bisschen zu feministischen und ein bisschen zu genervten DJ, nein. Es sind Symptome eines toxischen Systems, es ist die volle Reihe im Sexismus-Bingo. Nur, dass man hier eben nichts gewinnt.
Unsere ganze Gesellschaft ist von Sexismus durchsetzt und das bedeutet: Im Privatbereich, innerhalb von Mediensektoren, Wirtschaftszweigen und Politik werden Personen aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts oder gewisser Geschlechterstereotype ungleich behandelt, beschreibt die Bundeszentrale für politische Bildung. Dass auch der künstlerische Raum davor nicht gefeit ist, überrascht – leider – nicht; Sexismus ist eben auch tief verankert in der elektronischen Club- und Musikszene. Es beginnt mit der (Un-)Sichtbarkeit von Frauen innerhalb der Szene. Laut der Female Pressure Facts Survey, in der die Geschlechterverteilung auf internationalen elektronischen Musikfestivals untersucht wurde, ist der Anteil an weiblichen Künstlerinnen in den letzten Jahren zwar angestiegen, lag 2020 aber immer noch lediglich bei 25 Prozent (Female Pressure, 2020). Auf der Internetseite BookmoreWomen.com werden zahlreiche Studien aufgeführt, die die Ergebnisse dieser Studie untermauern.
Einer weiteren Studie aus dem Jahr 2019 zufolge, in der die Line-Ups mehrerer europäischer Clubs untersucht wurden, waren insgesamt über 90 Prozent der auftretenden Künstler:innen männlich, auf elektronischen Veranstaltungen lag der Anteil bei 86 Prozent. Und nicht nur auf Events, sondern auch im Studio sind laut dieser Studie Frauen in der absoluten Minderheit: Auf Beatport, einer der wichtigsten Musik-Download-Plattformen, stammen weniger als 10 Prozent der Tracks, die im Genre Deep Tech und Techno in den Charts landen, von Produzentinnen. Kurz gesagt, sucht man in den Technocharts länger nach Frauennamen als auf der Abgeordnetenliste der CSU. Dort ist der Frauenanteil mit 21 Prozent mehr als doppelt so hoch. Wie bedrückend.
Doch Frauen leiden nicht nur durch fehlende Repräsentation unter diesen Strukturen. Auch diejenigen wenigen von ihnen, die dennoch in der elektronischen Musikbranche Fuß fassen, haben es dort schwerer als Männer. Laut einer international angelegten Studie von Sarah Hildering und Samantha Warren, in der Personen befragt wurden, die in der elektronischen Musikszene arbeiten, haben fast ein Drittel der Frauen das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht ernst genommen wird. 76 Prozent haben den Eindruck, ihre Weiblichkeit eher kaschieren zu müssen, um mit den Männern mithalten zu können. Über 60 Prozent der Frauen wurden schon im Jobkontext belästigt. Im Vergleich dazu geben 100 Prozent ihrer männlichen Kollegen an, sich in ihrem Job ernst genommen zu fühlen. Kein einziger Befragter berichtet davon, Opfer von Mobbing oder Belästigung geworden zu sein.
Die Studienlage legt also die Vermutung nahe, dass, je geringer die Anzahl sichtbarer Frauen in der elektronischen Musikbranche ist, generell weniger Frauen sich trauen, ihnen nachzueifern, weil ihnen Identifikationsfiguren fehlen. Dass weit über die Hälfte der Frauen Erfahrungen mit Sexismus in ihrem Arbeitsalltag gemacht hat, verstärkt dieses Problem wahrscheinlich immens. Ursache und Wirkung sind also dieselbe: Die Branche ist und bleibt ein Männerverein.
Der Status Quo geht also eher in Richtung Sausage-Party als Diversity. Das ist eine schmerzliche Erkenntnis für alle, die an der Szene besonders die Unkonventionalität und Freiheit lieben. Zum Glück gibt es viele schlaue Menschen mit vielen schlauen Ideen, die genau daran etwas ändern und die Szene noch integrativer gestalten wollen: Es werden Codes of Conduct für Veranstaltungen entworfen, in denen die Repräsentation von Frauen unverhandelbar festgelegt ist, womit deren Sichtbarkeit von Beginn an in die Event-DNA mit eingewoben wird. Feministische Kollektive (z. B. Wut Kollektiv, Zena Kollektiv) schaffen offensiv und kreativ Sichtbarkeit für weibliche aufstrebende Künstlerinnen statt für die ewig wiederkehrende männlich-geprägte Hot Rotation. Der Berliner Techno-Streaming-Channel „Hör Berlin“ hostet mindestens 50 Prozent weibliche Acts. Initiativen wie „I am a DJ“, „Female Pressure Berlin“, „Women of Techno“ oder „Keychange“ machen crossmedial auf Sexismus innerhalb der Clubszene aufmerksam, schaffen Bühnen von und für Frauen und bringen damit die entscheidenden Steine ins Rollen.
Das sind in meinen Augen vielversprechende progressive Konzepte, die weltweit Anklang finden sollten. Dennoch ziehen derartige Schlüsselideen leider auch immer die besonders empörten Stimmen an, die der Meinung sind, dass man hierbei nun aber die Frauen bevorzugen würde. Abgesehen davon, dass ich persönlich es immer seltsam finde, wenn jemand sich von einer Veränderung getriggert fühlt, die die Gesellschaft zu einer gerechteren macht: That’s the whole point, honey! Es gibt keine Veränderung ohne Disruption. Keinem männlichen DJ wird aktiv etwas weggenommen, wenn das Rampenlicht nach Jahren der Unterrepräsentation auf seine weiblichen Kolleginnen gelenkt wird. Ein Merkmal eines unterdrückenden Systems ist nämlich, den Profitierenden dieses Systems zu suggerieren, sie würden verlieren, wenn sie Teilhabe teilen. Zwar können sich männliche Acts vielleicht vorübergehend ihrer Nachfrage nicht mehr so sicher sein, jedoch gewinnen auch sie in meinen Augen langfristig durch Diversität dazu. Im Kulturkosmos bedeutet nämlich “mehr” immer “besser”, geteiltes Rampenlicht bedeutet doppelte Freude und durch mehr Ideen wird mehr künstlerischer Antrieb generiert. Es ist also ein Gewinn für die gesamte elektronische Musikszene.
Dass sich weibliche DJs wie ich, die sich trotz geringerer Repräsentation doch ins Rampenlicht trauen, mit chronischer Unterschätzung und gedankenlosen sexistischen Kommentaren abgeben müssen, kann jedoch durch mehr Frauen auf den Bühnen nicht ganz so einfach gelöst werden. Diese Problematik reicht nämlich tiefer und tangiert Kommunikationssphären, in denen die Sprache von Männern oft bewusst und unbewusst als Instrument zum Machterhalt genutzt wird. Das findet aber in fast allen Gesellschaftsbereichen gleichermaßen statt und wirft die generelle Frage auf, wie und wann es endlich nicht mehr normal ist, Frauen verbal herabzusetzen, übergriffige und degradierende Bemerkungen als Komplimente zu tarnen und sexuelle Anspielungen in einem professionellen Kontext zu droppen. Das ist jedoch eine Diskussion, die weit über die Grenzen der elektronischen Musikszene hinaus geführt und vom digitalen in den realen Raum bewegt werden muss. Die nahezu inexistente Online-Streitkultur macht es nämlich fast unmöglich, Content zu einem polarisierenden Thema zu veröffentlichen, ohne dass in der Kommentarspalte ein Shitstorm grassiert. Oft spricht dann in meinen Augen nicht mehr der Konfliktlösungswille aus den Menschen, sondern ihr – durch Anonymität geschütztes – Ego wütet. Die Angst vor diesem ungefilterten und undifferenzierten Hass ist im Übrigen traurigerweise auch einer der Gründe, weshalb ich diesen Artikel unter einem Pseudonym veröffentliche. Schließlich soll es nicht um meine Person gehen, sondern um das Problem.
Ich für meinen Teil bin etwas erschöpft davon, dass ich mir auch innerhalb meines Safe Space, dem Nachtleben, darüber überhaupt den Kopf zerbrechen muss. Gerade Techno und alles, was damit zu tun hat, stand für mich immer für die Befreiung von gesellschaftlichen Normen und Ungleichheiten. Solange ich jedoch noch mitansehen muss, dass weiterhin ohne mit der Wimper zu zucken Events veranstaltet werden, auf denen nur weiße Hetero-Cis-Männer – plus wahlweise eine Quotenfrau, wenn der Mond gut steht – zu hören sind, solange weibliche DJs auf Veranstaltungen die Einhörner unter Hähnen im Korb bleiben und solange ich nach meinen Gigs übergriffigen Kommentaren ausgeliefert bin, ist diese Schlacht wohl nicht zu Ende geschlagen. Bis Gleichberechtigung innerhalb der Szene erreicht ist, werde ich wohl noch lange an vorderster Front stehen und diejenigen supporten, die sich für mehr Vielfalt innerhalb der Szene einsetzen. Wenn nur eine musikbegeisterte Frau mich auf einem Event auflegen hört und sich denkt: „Das will ich auch machen!“, dann ist das schon mal ein Sieg. Und wenn der Typ neben ihr darauf verzichtet, mir meine Kunst nach meinem Auftritt zu mansplainen, ist der Triumph noch größer.
Letztendlich sollte die Bühne ein Ort sein, an dem es völlig egal ist, ob die Person, die gerade auflegt, männlich oder weiblich aussieht und wo stattdessen die Musik, die Performance und das Gefühl entscheiden, ob du ein:e gute:r DJ bist und nicht, wer wen ein paar Übergänge hat machen lassen. Wäre das nicht ein Traum?
Autorin: Luna Wüst
Illustration: Johanna Richter

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