WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von Drogenmissbrauch.

Ketamin. Das ist in erster Linie ein wirkungsvolles Betäubungsmittel, das häufig Patient:innen verabreicht wird, die unter chronischen Schmerzen leiden oder das jede:r Notarzt/Notärztin in seinem/ihrem Koffer hat. Öffentlich bekannt ist auch, dass man Ketamin als Pferdeberuhigungsmittel einsetzt. Doch Ketamin ist auch eine der beliebtesten Partydrogen. Wir wollten wissen, wie das so ist, wenn man auf Ketamin unterwegs ist. Also haben wir eine Konsumentin gefragt.

DIEVERPEILTE: Wie viel Ketamin hast du heute genommen?
Konsumentin: Viel. Nicht genug. Keine Ahnung. Was war die Frage? 

Frage wiederholt:
Schwer zu sagen. 

Eher viel oder wenig?
Mittelmäßig. Mittelprächtig. Mittelprächtig geballert würde ich sagen. 

Was machst du beruflich?
Das ist eine gute Frage, was ich beruflich mache. Frage ich mich auch oft. Ähm. Was mache ich, um mein Geld zu verdienen? Womit verdiene ich mein Geld? Ey, oh mein Gott. 

Kannst du die Frage beantworten?
Ich sitze gerade hier auf dem Sofa. Das ist so verstrickt. Die Couch wird irgendwie voll lange gerade. Also eine räumliche Wahrnehmung habe ich nicht mehr. Ah, also ich bin Marketinganalystin und Projektmanagerin. Ich bin auf jeden Fall busy und so. Buuuuuusy.

Was magst du an deinem Job?
Meine Kolleg:innen. Die sind einfach so korrekt.

Was hasst du an deinem Job?
Ich hasse es, Leuten hinterherlaufen zu müssen, um sie an Dinge zu erinnern. Ich hasse es, Leuten hinterherzulaufen, da ich mich selbst nicht erinnern kann. Weil ich alles vergesse. Und wenn ich mich nicht erinnern kann, wer erinnert sich dann? Ich muss mal kurz meine Augen schließen, sorry. Ey, die sind aufgebraucht. Sehe keine Farben mehr. Jedes Mal, wenn ich ein Wort sage, schnalze ich so mit der Zunge, dass es knackt. Es knistert in meinem Kopf.

Was hast du gestern gegessen?
Heute ist doch jetzt – Samstag ne? Heute ist der Samstag ne? Wenn du gestern sagst, meinst du Freitag oder? Arrabiata.

Wie geht es dir im Moment, kommst du noch klar?
Ich bin heftig am Fliegen, kann nicht mehr gerade aus gucken, nicht mehr konzentrieren, kann keine WhatsApp mehr lesen. Perfekt. Zittrig.

Zittrig?
Ja, es kribbelt so richtig angenehm warm. Bis unter die Fingerspitzen. Bis in die Fingerspitzen.  Dann kann ich Schattenspiele spielen (Fängt an, währenddessen mit ihren Händen zu spielen).

Um meiner Verbraucherin das Interview so angenehm wie möglich zu gestalten, haben wir beschlossen, das Setting zu wechseln. Auch die Anzahl der Personen mussten wir reduzieren, da es ihr schwer viel, sich auf mich zu konzentrieren. Ab diesem Zeitpunkt waren wir zu dritt in einem Raum. Wir gehen in das Schlafzimmer, wo sie es sich auf einer Récamiere gemütlich macht. Bevor wir den Raum wechselten, zog sie jedoch noch eine weitere Line Ketamin. Dazu hören wir ein Set von NINZE & OKAXY.

Konsumentin: Oh mein Goooooott, ich liebe das Lied. Also das Set.

Seit die Musik läuft, ist nun auch die restliche Aufmerksamkeit unserer Konsumentin erloschen. Sie fängt an, mehr von sich zu reden und beschreibt ihre Halluzinationen. Laut ihrer Aussage ist es das erste Mal, dass sie unter dem Einfluss von Ketamin Visuals hat. Außerdem fallen ihre Antworten nun deutlich klarer aus.

Konsumentin: Die Decke sieht aus wie ein Ventilator. Wie ein Kreis aus Lichtern, die sich drehen und tanzen. Wie Autos, die im Kreis fahren. Die Ästhetik hat mich sehr befriedigt. Sehr nice. Fühle mich gerade, als gäbe es kein Morgen. Keine Ahnung, wie viel Uhr wir haben, ist ja auch egal.

Und die Musik?
Boa. Alter. Hört ihr das selber? Ey, das ist Ketapop. Das ist das Genre 2019. Ich hör ganz stumpf die Geräusche von den Autos (Die Wohnung befindet sich im Erdgeschoss, direkt neben der Hauptstraße). Ich starr an die Nähte der weißen Decke, die Tapeten sind dunkler als der Rest. Und das sieht aus wie ein Haar. Wie eine Leiter. Da wurde nicht richtig geklebt und da auch nicht. Wie ein Schatten. Kann dir nicht sagen, ob es Schatten sind oder schlechte Tapeten. Auf jeden Fall eine Raufasertapete und die einzelnen Raufastermoleküle tanzen. Wie die Milchstraße.

Was hörst du, wenn du dich auf die Musik konzentrierst?
Braucht lange zum Antworten. 

Ich höre eine Melodie, die nie endet. Ich schaue nur an die Decke und die Schatten der Autos bewegen sich wie Fächer, die im Kreis rotieren. Die Decke kommt immer näher, umso länger man die anguckt, ich kann mir auf einmal alles vorstellen, was ich möchte. Habe mir ein Dachgeschosszimmer vorgestellt, und die Decke ist einfach tiefer geworden wie bei einer kleinen Dachgeschosswohnung.

Da es ihr schwerfällt, sich auf die Musik zu konzentrieren, stelle ich weitere Fragen.

Wann ist man deiner Meinung nach erwachsen?
Ich denke… (lange Pause, seufzt) unfassbar schwierige Frage erst mal. Man braucht auf jeden Fall die nötige Reife, um das Leben zu verstehen. Um zu erkennen, dass man nicht alles wissen kann und sich doch bemühen sollte, so viel zu wissen, wie man kann.

Hast du diese Reife?
Ich habe die Reife und auch das Selbstbewusstsein. Und ich denke, ich könnte gerade überall sein, wo ich möchte, aber ich habe keine Ziele. Ich müsste mir mal meine Ziele klar machen und wissen, was ich mit meinem Leben anfangen will.

Was würdest du am liebsten mit deinem Leben anfangen?
(Lange Pause). Ich wiederhole die Frage. 

Ganz ehrlich, ich würde mein Liebesleben gerne so lange wie möglich gesund halten. Ich bin ja sehr faul. Effizienz. Faulheit mit Intelligenz.

Ist von der Box abgelenkt. Die Musik ist ausgegangen. Sie steht auf, um die Lautsprecher wieder anzuschließen. Hat den Faden verloren. Tanzt durch den Raum. 

Konsumentin fängt von sich an, über Ketamin zu reden:
Für mich ist Keta voll nice. Habe nicht das Gefühl, dass ich meine Gedanken kontrollieren kann. Ich bestehe nur noch aus Gedanken. Meine 65 Kilogramm sind von mir abgefallen. Bestehe nur noch aus Gehirn, meiner Hülle, meiner Haut, Klamotten und so.

Das erste Mal macht sie sich über ihre Antworten Gedanken. Hat Angst, wie sie sich fühlen wird, wenn sie das Interview lesen wird. Will danach wahrscheinlich erneut Drogen nehmen. Steht auf, um eine weitere Nase zu nehmen. Muss um 15 Uhr arbeiten, es ist 10:50 Uhr. Als sie zurückkommt, setzt sie sich wieder hin. Zündet sich eine Zigarette an. Das Hören der gespielten Musik macht sie glücklich. Sie konzentriert sich nur noch auf den Sound und bittet uns, lauter zu machen. Sie beklagt sich über das grelle Licht und schließt die Augen. Steht erneut auf, weil sie die Musik aus dem Nebenraum hört, was sie als störend empfindet. Macht die Musik lauter. Tanzt erneut durch den Raum. Setzt sich wieder hin. 

Wann hast du das letzte Mal geduscht?
(Überlegt lange). Kurz nachdem ich gestern aus Versehen Ketamin mit Kokain verwechselt habe.

Wann war das?
Ich denke Freitag.

Du denkst Freitag, welcher Tag ist heute?
Samstag.

An welchem Ort wärst du jetzt am liebsten?
Ich wiederhole die Frage.

Warum? (Stöhnt vor Anstrengung). Warte, lass mich noch mal nachdenken. (Redet wieder über die Musik. Beschreibt die Melodie). Klingt, als ob jemand ein Haus baut. Irgendwo am Strand. (Wackelt mit den Füßen und raucht eine Zigarette).

Ich wiederhole die Frage erneut. 

Darauf gibt es so viele Antworten. Aber eigentlich auch keine. Da, wo ich jetzt gerade bin, möchte ich auch bleiben. Es ist perfekt. Man kann seine eigene Musik hören. Sich mit seinen besten Leuten unterhalten (Hört erneut der Musik zu).

Wann hast du das letzte Mal geträumt?
Weiss ich nicht. Aber ich glaube letzte Nacht. Aber habs wieder vergessen. Aber ich träume eigentlich jede Nacht. Immer irgendeine kranke Scheiße. Ich werde immer verfolgt oder umgebracht. Es ist immer wie ein Actionfilm oder Thriller. Aber das hat nix mit Drogen zu tun. Das habe ich schon immer. Habe auch total realistische Träume. Wirklich mit Menschen und Gebäuden, die ich kenne (Tanzt mit den Händen im Liegen).

Was magst du an Keta?
Ich wiederhole die Frage.

Ich mag, dass… (Pause) Keta mich von meinem physischen Zustand löst. Psyche und Physis gehen getrennte Wege. Der Körper wird taub, man spürt ihn nur noch leicht wie eine Feder.

Und weiter?
Oh mein Gott.

Jemand macht die Tür auf, um nachzusehen, was wir machen. Meine Interviewpartnerin schaut auf, bleibt aber weiter ruhig liegen. 

Frage erneut gestellt.
Das ist das, was ich an Ketamin mag.

Was denn?
Ketamin ist keine Droge, die einen halluzinieren lässt. Keine out-of-body experience. Der Körper wird freigemacht von jedem Ballast. Meine Handbewegung ist genauso leicht wie Ein- und Ausatmen (Macht Atemübungen).

Wie oft hast du schon Ketamin genommen?
Lass mal ausholen und sagen 9 Mal. 10 Mal. Keine Ahnung. Ich glaube 10 Mal.

Hast du es jemals bereut?
Ja, ich habe mir schon oft gedacht, hätte jetzt nicht sein müssen, weil ich davon nichts gemerkt habe. Weil ich immer sehr vorsichtig damit bin.

Ab diesem Zeitpunkt ist das Interview vorbei. Meine Interviewpartnerin ist müde und ihr fehlt die Kraft, um weitere Fragen beantworten zu können.

Foto: Jens Peters

*Du brauchst Hilfe? Der Drogennotdienst ist eine überregionale Suchtberatungsstelle für drogenkonsumierende Jugendliche und Erwachsene sowie Angehörige und Multiplikatoren, hat an 365 Tagen im Jahr geöffnet und ist 24h unter der Drogenhotline 030/19237 zu erreichen. Die Beratung erfolgt mit und ohne Termin, auch in Krisensituationen.

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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