Ich war 27 und Musikredakteurin, als ich in Düsseldorf ein Magazin mit dem Titel „DIEVERPEILTE“ gründete. Mit meiner Reihe Das Magazin möchte ich meinen Leser:innen einen ehrlichen Blick hinter die Kulissen gewähren.

Es war wahnsinnig aufregend. Moe und ich saßen auf dem Sofa in meiner WG-Küche. Wir hatten uns getroffen, um mir den Traum von einer eigenen Homepage zu erfüllen. Denn mein Wunsch, Journalistin zu werden, erwies sich ohne Studienabschluss als nicht so leicht umsetzbar. Also beschloss ich gleich einen Schritt weiterzugehen und ein Magazin zu gründen. Moe war gerade dabei, die Domain anzulegen, als er mich nach dem Namen fragte. Ich hatte mich noch nicht entschieden und meinte zu ihm, dass mir so etwas vorschwebte wie „verpeilt“ oder „dieverpeilte“, wobei „dieverpeilte“ besser wäre. Das ist quasi mein Spitzname. Also zumindest bei meinen ehemaligen Arbeitgeber:innen. Die meisten meiner Freund:innen und auch meine Mutter fanden den Vorschlag scheiße, es würde so negativ klingen. Moe und ich beschlossen erst mal, dass wir es ausprobieren. Er tippte „dieverpeilte“ in die Leiste, in die man die Wunschdomain eingeben kann und klickte auf Vorschau. „Das ist es!“, sagte ich zu ihm und mir war direkt klar, dass das der richtige Name für mein Magazin war. Moe fand ihn auch super! Aufgeregt rauchte ich eine Zigarette nach der anderen, nahm einen Schluck Bier und schaute ungeduldig zu Moe rüber, bis er schließlich sagte: »Fertig, du bist online«. 

OH MEIN GOTT, dachte ich, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, ich habe jetzt ein Online Magazin!!!!! 

Noch am selben Abend – im November 2019 – veröffentlichte ich den ersten Artikel. Es war eine Auflistung meiner Lieblingssongs. Und wie das so ist, schickte ich den Link zu meiner neugegründeten Zeitschrift an alle, die ich kannte. Auf den Straßen machte ich dasselbe. Ich erzählte allen davon, die ich traf und lud sie auch dazu ein, ihre Texte oder Bilder bei mir zu veröffentlichen. So kam ich zu meinen ersten Gastbeiträgen. Einige wollten den Begriff „Magazin“ jedoch nicht so recht annehmen und betitelten mein Baby als Blog. Sind die bescheuert, oder was? Das Belächeln meines Optimismus nervte mich. „Kein Blog! Ein Online Magazin, das ist wichtig!“, antwortete ich daraufhin. Für mich war es seit der ersten Stunde ein richtiges Magazin. Alle Ideen, sie waren von Anfang an da. Ich begriff, dass für mich ein neues Leben anfing.

Zweieinhalb Jahre später.

»Linda!!«
»Wenn ich noch einmal von dir lesen muss, dass du Sätze zu fremden Texten dazu dichtest, schicke ich dich in den Urlaub!«
»Ich meine das todernst und das ist jetzt das letzte Mal, dass ich dir das sage! Dein Job ist es, den Texten den letzten Feinschliff zu geben und nicht die Texte aus deiner Sicht hochwertiger zu gestalten!«

Der Schreihals da oben, das bin ich. Wir hatten für das Lektorat eine Abmachung: Die Sprache darf verändert werden, der Inhalt nicht. Wenn ich also bei meinem üblichen Check bemerke, dass an der eigentlichen Message rumgemacht wurde, hat das ernsthafte Konsequenzen. Linda ist unsere Lektorin und einer der treuesten und genialsten Menschen, die ich kenne. Kurz hatte ich Angst vor ihr. Nach meinem Ausraster hat sie sich im Gruppenchat über mich aufgeregt, weil mein Umgangston unhöflich war, ich vermute, sie fühlte sich nicht wertgeschätzt von mir. Hinzu kommen meine Gefühlsausbrüche, da macht sie dicht – das hat sie mir jedenfalls danach gesagt, dass sie „diese emotionale Sache“ nicht mitmacht. Und sie hatte recht damit. Es war nicht fair von mir, ihr meine Kritik in diesem Ton zu übermitteln. Manchmal hilft es mir, Abstand zu nehmen, wenn ich merke, dass mich etwas aufwühlt, um dann im Anschluss mit einem klaren Kopf noch einmal darüber zu sprechen, was mich stört. Reflexion ist etwas, das mich die Arbeit mit der Redaktion lehrte. Ich denke an meinen damaligen Chefredakteur, seine Rechthaberei machte mich wütend, er wusste einfach alles immer besser. Aber musste er mir das ständig unter die Nase reiben?

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Alle Illustrationen: Teresa Vollmuth

Damals wünschte ich mir, dass er sensibler mit mir umgehen würde, wenn ich zum Beispiel einen Fehler machte oder das Handbuch mal wieder nicht gelesen hatte. Er sagte mir mal, dass die Fragen, die ich für das Interview mit einem Künstler fertiggestellt hatte, „Mädchen-Fragen“ seien. Ich verstehe bis heute nicht, was er damit meinte. Als er mir das sagte, hatte er ein breites Lächeln aufgesetzt, als ob er mir gerade einen genialen Witz erzählt hätte. Ich bin sicher, er meinte es nicht so gemein, wie es bei mir ankam. Doch damals fühlte ich mich von ihm nicht ernst genommen. Mein Chef war da anders. Auch seine Worte trafen mich manchmal ziemlich hart, doch bei ihm hatte ich das Gefühl, dass er sich besser in meine Lage hineinversetzen konnte. In die Situation einer jungen, naiven Redakteurin, die eben noch lernt und beim Trotzigsein auf Verständnis hofft. Er war auch noch geduldig, als er mir zum zehnten Mal erklärte, dass ich ihm meine Texte erst zuschicken sollte, wenn diese auch fertig seien, da er, wie ich heute aus eigener Erfahrung sehr gut weiß, keine Zeit dafür hatte, den Tag mit Fragen beantworten oder Korrekturlesen zu verschwenden. An manchen Tagen, wenn wir zusammen im Büro saßen und er gut gelaunt war, holte er seinen alten Plattenkoffer raus und wir verbrachten Stunden damit, Acid House aus den 80ern zu hören. Obendrauf erzählten mir die beiden Geschichten aus ihren jungen Jahren, als sie selbst noch Partys veranstalteten. Mir wird heute noch warm ums Herz, wenn ich daran denke. Jedenfalls habe ich mir geschworen, niemals in die Fußstapfen meines damaligen Chefredakteurs zu treten. Nun stecke ich bis zu den Knien in der Scheiße.

Wie konnte es dazu kommen?

2018, wenige Wochen vor meinem 26. Geburtstag, machte ich ein Praktikum bei einem Musikmagazin. Das Faze. Für mich war damals ein Traum in Erfüllung gegangen. Während ich mir die Nächte in Techno-Clubs um die Ohren schlug, sammelte ich tagsüber bei den eben beschriebenen Herrschaften meine ersten Erfahrungen als Redakteurin. Ich weiß noch, wie ich meinen ersten Artikel im Print veröffentlichte. Eine Zusammenfassung über die DJ Awards aus dem Jahr 2018. Der Beitrag hatte eigentlich keinen besonderen Wert für mich, aber es war die erste Veröffentlichung mit meinem Namen darauf. Ich werde nie den Moment vergessen, als der Paket-Zusteller die Sendung mit den neuen Magazinen brachte – das war meist zum Ende des Monats – und ich eines der Pakete mit meiner Ausgabe aufriss. Es war ein verdammt gutes Gefühl, das Heft in den Händen zu halten, das mich Stolz fühlen lies.

Mein damaliger Chef und auch mein Chefredakteur sagten immer, ich sei engagiert und das stimmte. In meiner Freizeit ging ich in Plattenläden und bot unser Heft zum Verkauf an. Ich wollte, dass das Magazin einen besseren Ruf erhielt, als es damals hatte und dachte, dass wir dort die richtige Zielgruppe erreichen würden. Gleichzeitig wollte ich mein Revier als Redakteurin in der Männerdomäne, die nun mal das Aushängeschild der Musikbranche zeichnet, markieren. Und es funktionierte, ich baute mir ein kleines Netzwerk auf.

2019, ein Jahr später. Ich hatte die beiden endlich weichgeklopft und erhielt die Zusage für meine erste Kolumne. Ich nannte sie „Faze Trip“. Das klang cool. Mein Chef war so großzügig und gab mir – nach langem Betteln – sechs Seiten dafür. Darin schrieb ich über deutsche Städte und die Ursprünge der elektronischen Musik. Es war mein erstes eigenes Projekt und ich wollte es gut machen. Für den ersten Teil recherchierte ich in Köln. Ich traf junge und alte Technohasen, Clubbesitzer:innen, sowie Inhaber von Musiklabels und hörte gespannt zu, was diese Leute zu erzählen hatten. Damals nahm ich meine Interviews noch nicht auf, sondern tippte im Gespräch mit. Ich erinnere mich noch genau an den verdutzten Gesichtsausdruck von Tobias Thomas, als ich auf seine Frage, ob ich das Gespräch nicht lieber aufzeichnen wolle, mit einem „Ne, ich höre meine Stimme nicht so gerne“ antwortete. Er behielt Recht, der Text enthielt im Anschluss so viele Fehler, dass er mir eine E-Mail mit der korrigierten Version (es war fast alles rot markiert) schickte. Das war mir so peinlich, dass ich danach mit dem Aufzeichnen begann. Professioneller wurde es in München, wo ich den zweiten Teil meiner Reihe machte. Für die Recherche hatte ich ein Wochenende eingeplant, an dem ich in drei verschiedene Clubs und ein Open-Air besuchte. Zusätzlich führte ich wieder Interviews. Das war echt anstrengend. Diesmal war ich jedoch nicht allein, ich hatte eine Freundin mit dabei und einen befreundeten Fotografen, der wiederum seine Freundin im Schlepptau hatte. Sie blieb mir im Kopf, weil sie mich mal gezeichnet hat. Es war die erste Illustration, die für mein Magazin entworfen wurde und sie ziert bis heute unser Logo.

Das Projekt war toll. Aber nachdem ich erfuhr, wie viel Arbeit dahinter steckte, verfluchte ich den Tag, als ich es ins Leben rief. Doch Julian, der damals die Chefredaktion kurzfristig übernommen hatte, war geduldig und half mir: „Ist schon ganz gut, aber zu lang, du musst auf 24.000 Zeichen inklusive Leerzeichen runter. Danach schaue ich noch mal drüber“, antwortete er auf meine E-Mail, nachdem ich ihm meinen Text zugeschickt hatte – verdammte Scheiße! Es ging damit weiter, dass wir die kommenden Tage einen regen E-Mail-Verkehr führten und es hörte damit auf, dass ich verzweifelt in meinem Bett saß, den Laptop auf dem Schoss und meine Liebe zu Buchstaben verteufelte.

Nachdem mir Julian noch dreimal erklärt hatte, dass er das Kürzen für mich nicht übernehmen könne, weil es nicht seine Aufgabe sei und er noch andere Dinge zu tun habe, da es nicht sein Text sei, begriff ich endlich, dass ich lernen muss, eigenständig zu arbeiten. Interessante Entwicklung, oder? Schreiben ist für mich das Schönste überhaupt. Aber diese Reihe, an der ich insgesamt drei Monate arbeitete, fickte meinen Kopf. Doch abgesehen von dem Stress, den ich beim Schreiben hatte, hatte ich viel Spaß damit. Als die Kolumne dann im Juli 2019 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, war die Plackerei vergessen und ich sprang vor Freude auf und ab.

Wie gründet man eine Redaktion? Und wie sind die Einstellungschancen im Journalismus? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich im nächsten Teil von Das Magazin.

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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