Die Neugierde und Unruhe, die man immer wieder als Single spürt – und natürlich auch die Lust – lassen mich wiederholt die Dating-Plattformen öffnen, auf einem Konzert flirten oder auf Partys meine Nummer rausgeben. Mit den Worten meiner Freundin Jasmin „You have to put yourself out there“, folgt man dem Drang, neue Leute kennenzulernen. Aber was bringt es? Was ist das Ziel? Und was erhofft man sich zu gewinnen? Klar, man bekommt Aufmerksamkeit, Komplimente und fühlt sich für einen kurzen Moment wie am Anfang einer Liebesschnulze. Ich brauche mehr. Mehr Tiefgang, Aufrichtigkeit, Vertrauen und vor allem Beständigkeit! 

„Willst du mit mir gehen?“, „Hey, Paul aus der 8b steht auf dich“, oder „Lass uns am Wochenende ins Kino gehen.“ Ja, so wurde man in seiner Jugend umworben. Auch ein Strauß Blumen oder ein Brief waren damals durchaus drin. Man stahl sich nachts aus dem Haus, um sich zu küssen und zack, war es die große Liebe. Irgendwie aufrichtig und echt. Und so unaufgeregt. Die Erwartungen waren noch nicht so groß, es gab keine Checklisten, die erfüllt werden mussten. Hier gab es Spiele, Wahrheit oder Pflicht, Kartensaugen oder auch Flaschendrehen. Da waren die Regeln aber immer klar und auch das Ziel des Spiels war definiert. Sich küssen, eine Frage beantworten oder sich ausziehen. Ganz easy. Und alle wussten, worum es geht.

Heute, mit 31, werde ich nicht mehr umworben. Wenn ich eine Rose will, muss ich mich beim Bachelor anmelden. Aber gespielt wird immer noch. Der Single-Markt ist hart umkämpft. Männer Mitte-Ende 30 oder Anfang 40 – in der Blüte ihres Seins (ja, so wurde mir das kommuniziert), suchen Frauen, die mit kleinem Handgepäck reisen. Die Leichtigkeit und Unverbindlichkeit versprechen. Aufgeschlossen sollen sie sein, aber nicht zu sehr klammern. Mit eigenem Geld, Leben und Freundeskreis. Warum? Sie kommen meistens aus einer markerschütternden Beziehung. Diese Beziehung war entweder die „Mit der muss es jetzt klappen, ich bin ja jetzt 30“ oder „Wir sind jetzt seit wir Mitte 20 sind zusammen, also entweder Haus und Kind oder Ciao Kakao.“ Diese Beziehungen haben etwas aus den Männern gemacht, entweder einen Ex-Mann, einen Papa oder einen Zyniker. Und im kompliziertesten Fall alles zusammen!

Diese Männer begegnen mir jetzt, der gutgläubigen Optimistin mit viel Gepäck! Oder wie es auf Tinder genannt wird: „Mit Altlasten“. Ja, ich möchte auch Freiheit und Leichtigkeit. Aber wenn es sich gut anfühlt, will ich das Zusammensein gerne wiederholen und nicht direkt wieder mit dem nächsten von vorne anfangen. Das ist mir echt zu anstrengend. Bei den meisten steht die Unverbindlichkeit auf der Stirn geschrieben. Man merkt schnell, dass es hier nur um eine Spielrunde geht. Ich persönlich finde das nicht schlimm. Ich sehe ja die rote Flagge schon von Weitem und kann mich dann für oder gegen diese Art von Zusammensein entscheiden. Doch man gibt jedes Mal ein Stück von sich, öffnet sich, schenkt Vertrauen und hört sich die verschiedensten Geschichten an. „Ich habe ein Gartenhaus aufgestellt, meine Nachbarn sind deswegen ausgeflippt.“ oder „Ich bin aktuell an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich keine Kompromisse mehr eingehen will.“ Und immer wieder auch „Du bist wirklich eine tolle Frau, du verdienst einen Mann, der dich auf Händen trägt“ (Also irgendeinen, nicht mich).

Auf der Suche nach Nähe, Bestätigung und Leidenschaft bleibt viel auf der Strecke. Diese Abgestumpftheit bei den Themen Liebe und Romantik ist traurig. Man sucht doch trotzdem nach etwas Besonderem. Und man möchte für eine Person, mit der man intim wird, etwas Besonderes sein. Meine Freundin Jasmin machte sich in solchen Momenten immer Mut mit dem Gedanken „Du nimmst dein Glück selbst in die Hand“. Leider wurde auch ihr nach einiger Zeit auf dem Dating-Markt bewusst, dass man schnell von hohen Ansprüchen wie einer Deep Connection beim ersten Gespräch zu der ernüchternden Realität kommt und die Ansprüche auf „Looking for somebody fuckable, who is not too annoying – und kein Serienkiller“.

Du bist also mit geringen Erwartungen unterwegs und dann passiert es: Du triffst diesen Typen, den du wirklich toll findest. Deep Talk, Leichtigkeit, Lachen, warmer Sommertag, tanzen und eine wunderschöne Nacht. Alles in dir schreit: „Die rosarote Brille auf und ab Richtung Sonnenuntergang!“ Da gibt es nur ein Problem. Dein Gepäck lässt sich nicht so einfach im Kofferraum verstauen. Du bräuchtest dafür eher einen Reboarder und einen Thule Dachgepäckträger. Dazu haben dich die Jahre auch misstrauisch gemacht, dir die Gutgläubigkeit ausgetrieben und den Optimismus gedämpft. Also lässt du die rosarote Brille im Etui und schaltest einen Gang zurück. Cool bleiben und erst mal das Dating-ABC aus dem Regal holen. Wie war das noch mal? A wie… B wie… S… wie Spielchen? Bei eurem zweiten Treffen verkündet der scheinbare Glücksgriff, dass er Bindungsängste hat, sich selbst stark hinterfragt und irgendwie überhaupt nicht weiß, was er will. Aber weil er dir so gut gefällt und du auch schon fleißig am Luftschlösschen bauen bist, ignorierst du die roten Flaggen und gehst emotional all in. Hier machst du deinen ersten falschen Zug, denn du gibst ihm eine Freikarte, ab jetzt gibt er den Takt vor, denn er hat ja von Anfang an gesagt, wie er ist. Und du hast ihn einfach schummeln lassen. Und für dich heißt es jetzt: Gehe nicht über Los, falle direkt ins Gefühlschaos!

Das größte Problem an dem ganzen Spiel ist, dass Männer scheinbar andere Spielregeln haben als Frauen. Oder sie spielen einfach ein ganz anderes Spiel. So kommt es, dass man eine wunderschöne Zeit miteinander hat, man sich gegenseitig Dinge anvertraut, sich verletzlich macht, aber leider keine Ahnung hat, wohin die Reise geht. Und so beginnt man den Tanz um die Fragen, „Was empfindest du für mich?“, „Wo führt das hin“, „Was ist das“? Und das Wichtigste: „Was will man selbst überhaupt?” Hier wird es schwierig, denn als Frau besprichst du dich mit deinen Freundinnen. Das ist manchmal hilfreich, aber auch unglaublich kompliziert. Die Meinungen deiner Freundinnen mit einzubeziehen, kann alles auf den Kopf stellen und am Ende bist du der festen Überzeugung, dass du überhaupt keine Überzeugungen mehr hast! „Ich glaube, der ist einfach gestresst und meldet sich am Wochenende bei dir.”, „Neee, den kannst du dir abschminken, der steht einfach nicht auf dich.” Die eine meint, der will sich nicht binden. Die Andere rät, da musst du dranbleiben!

Wenn ich meinen männlichen Freundeskreis frage, was Männer meinen, wenn sie auf deinen ausführlichen Text „ok“ schreiben. Kommt oft die Antwort „Naja, er meint halt ok!” Das ist natürlich immer im Kontext zu bewerten, aber Frauen sind in der Lage, ein Einfaches „ok“ in Kombination mit einem „Bin heute ziemlich im Stress“ in einer Weise zu deuten, die professionelle Verhaltensforscher:innen und Profiler:innen in den Schatten stellen. Es wird analysiert, interpretiert und diskutiert.

Laut meinem Freund Hendrik ist ein „Ich habe super viel um die Ohren“ ein klares „Er ist nicht wirklich into it“. Er meint, dass sich Männer, wenn ihnen eine Frau wirklich gefällt, auf den Kopf stellen würden, um sie zu sehen. Und auch im größten Stress eine Nachricht schicken oder anrufen. Als er mir das sagte, war ich erst mal super ernüchtert. Aber! Irgendwie will man trotzdem die Ausnahme sein. Man will wissen, wieso er nicht schreibt. Wieso schreibt er dann doch wieder? Wieso hänge ich da emotional so drin? Und Hendrik nur: „Shit, du hängst ja voll am Haken!” Und ich so: „Nee, ich will es doch nur wissen!“

Man hat Angst, alles kaputt zu machen, zu viel zu wollen. Man will den emotional angeknacksten Mann auch nicht komplett verschrecken. Ja, diese Männer Mitte-Ende 30 sind sehr schreckhaft und lassen sich nicht gerne festnageln. Nageln ja, festnageln nein! Es gibt natürlich einige Spielzüge, um den vermeintlichen Gegenspieler zu verwirren, wie zum Beispiel: Mach dich rar, werd’ zum Star! Sei unverbindlich und gib die Coole. Kläglich oder wirksam?

Meine Freundin Judith ist da schon einen Schritt weiter. Sie hat das sehr wirksame „Ich kann das so nicht mehr“ angewandt. Im besten Fall will er dann sogar etwas definieren. Auch „Also stört es dich nicht, wenn ich andere Männer date“ ist oft ein guter Einstieg in die Kommunikation über seine Gefühle für dich. Viel besser als „Hör auf, andere Frauen zu treffen und nimm dir Zeit für mich“. Natürlich können solche Züge auch komplett nach hinten losgehen und man muss zurück zum Startfeld. Meiner Meinung nach ist einer der wichtigsten Gründe für einen Mann in einem exklusiven Verhältnis zu leben, der Fakt, kein Kondom benutzen zu müssen. Ich bin mittlerweile selbst etwas zynisch geworden. Die Spiele laufen und man ist eine Figur auf dem Weg zum ganz persönlichen Ziel. Auch wenn man gar nicht spielen will.

Das Problem liegt vielleicht schon am Kennenlernen: Man swiped, man matched, man gewinnt oder verliert. Schon hier ist es eine Art Spiel – schnell und so viele Gewinnchancen. So, als würde man im Casino am Automaten spielen, immer mehr und mehr, schneller und schneller. Doch der Hauptgewinn ist es am Schluss fast nie. Und es kostet so unglaublich viel. Vergebliche Liebesmühen oder doch der Weg zum Jackpot? Wahrscheinlich muss man einfach anfangen, seine Spielregeln zu teilen und ehrlich zu sich selbst sein. Dann kann man beim nächsten Game vielleicht in einem Team spielen anstatt gegeneinander.

Autorin: Yana Molina
Illustration: Teresa Vollmuth

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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2 Comments on “Dating Game – ein kläglicher Versuch, die Regeln zu verstehen”

  1. sonst gefallen mir eure texte gut – diesen hier finde ich total binär und heteronormativ „männer sind“ und „frauen sind“ ist doch irgendwie unnötig. Vielleicht häufiger klar formulieren, dass das alles sehr individuelle erfahrungen sind, denn dieses „wir frauen reden mit unseren Freundinnen“ und Männer lockt man so und so aus der Reserve finde ich ziemlich von gestern.

    1. Hi Jana, ich verstehe deinen Kommentar nicht so ganz. Bei diesen ganzen Geschichten ist doch klar deutlich, dass es sich um individuelle Ansichten handelt. Sonst wäre es ja ein wissenschaftlicher Text mit Belegen etc 🙂 So etwas muss ja nicht als Disclaimer gesagt werden am Anfang, man kann es deutlich zwischen den Zeilen lesen. GaLiGrü

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