Ich bin schon immer sehr ehrgeizig. Mit fünf Jahren wollte ich unbedingt lesen lernen, rechnete besser als jetzt und war allgemein immer das junge Mädchen, das so begabt ist. In der Grundschule setzte sich das Muster fort. Ich hatte nie Probleme in der Schule, ging gerne hin und lernte wie verrückt. Meine Eltern haben mich nie dazu gedrängt. Ich wollte es einfach immer allen beweisen. Zeigen, wie talentiert ich doch bin. Als wäre das nicht schon genug Stress für ein Kind, fing ich mit Eiskunstlaufen als Leistungssport an. Ich war schon damals sehr groß und nicht unbedingt die grazilste Person, weswegen ich auf dem Eis nie die Beste sein konnte. Anstatt einfach zu akzeptieren, dass es völlig normal ist, nicht alles zu können, redete ich mir ein, dass ich mehr üben muss, um besser zu werden. Den ersten Höhepunkt oder eher Tiefpunkt erreichte ich mit 14 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon länger mit Magenproblemen zu kämpfen und wurde mal wieder ins Krankenhaus eingewiesen. Die Diagnose: chronische Magenschleimhautentzündung, die durch Belastung reaktiviert wird – fantastisch.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als meine Mama mich fragte, ob ich zu eine:r Psycholog:in gehen möchte. „Ich bin doch nicht verrückt, Mama!”, antworte ich. Damit fängt das ganze Problem an. Die Jahre vergehen und ich versuche diese Gedanken und den Stress, den ich mir selbst mache, zu unterdrücken. Es verläuft mehr oder weniger erfolgreich. Ich arbeite mich zwar nicht mehr zu Tode, aber der Leistungsdruck wird damit nur in meinen Kopf verschoben. Ich rede mir ein, dass ich faul bin, mehr machen müsse, dass so eh nichts aus mir wird und ich einfach versagen werde. Egal, welche Erfolge ich verzeichnen konnte, ich sah sie nie als solche an. Ob ich nach Hilfe suchte? Nein, ich muss nur mehr machen, dann wird schon alles besser werden. Jedenfalls dachte ich das.

Seit Jahren sage ich nun schon, dass ich mir vermutlich professionelle Hilfe suchen sollte, weil ich es alleine nicht schaffe. Trotzdem dauert es bis zu diesem Jahr, bis ich diesen Schritt gehe. 2020 war wohl für viele ein aufschlussreiches Jahr. Egal ob positiv oder negativ. Ich merkte, dass meine Verhaltensmuster nicht mehr meiner eigentlichen Persönlichkeit entsprechen. Versteckte mich, versuchte es allen Recht zu machen und dachte nicht genug zu sein: „Die hassen mich doch eh alle”. Auch wenn das Jahr suboptimal startete, brachte es mich dazu, endlich den Schritt zur Therapie zu wagen. Als ich im Frühjahr zu meiner Hausärztin ging, nahm ich den Mut zusammen, um über meine Probleme zu reden.

Ein möglicher Weg zur Therapie geht über Hausärzte:innen. Da bekommt man eine Überweisung zur Erstsprechstunde, welche verpflichtend ist. Allerdings gab mir meine Hausärztin das Gefühl, dass ich nicht ernstgenommen werde, weswegen die Thematik schnell wieder vom Tisch war. Dachte ich. Psychische Probleme lösen sich nicht von alleine. Sie werden oft nur schlimmer. Im Verlauf des Jahres wurde es so ernst wie noch nie zuvor. Die Gefühle und Gedanken, welche ich zunächst unterdrücken konnte, fraßen mich von innen auf. Wie oft wünschte ich mir, meinen Kopf und dieses Gedanken-Karussell für ein paar Minuten abstellen zu können.

Dann erfahre ich von der 116117. Das ist eine Patient:innenservice-Hotline und App für Ärzte:innen alle Art und für die Terminvergabe. Ich gebe meine Daten an, bekomme einen Überweisungscode und kann einen Termin für eine psychotherapeutisch Erstsprechstunde machen. So nah bin ich der Therapie noch nie. Nach der Sitzung habe ich das Gefühl, dass eine unbeschreibliche Last von mir gefallen ist. Ich bin zwar verwirrt, aber auch erleichtert. Leider war es nicht möglich, die Behandlung bei ihm fortzuführen. Zu überfüllt. So wie überall. Nach mehreren Anrufen bekomme ich dann einen Termin am anderen Ende Berlins. Nach einer 1-stündigen Bahnfahrt erfahre ich, dass ich falsch vermittelt wurde und dort auch keinen Platz bekomme. Ein paar Nervenzusammenbrüche später bekomme ich glücklicherweise einen weiteren Termin bei einem neuen Therapeuten. 

Wenn dieses Mal alles gut geht, startet im Januar meine Psychotherapie. Es war ein steiniger Weg bis jetzt. Was für mich steinig ist, fühlt sich für viele andere wie eine Besteigung des Mount Everest an. Es ist für mich schon extrem auslaugend und ermüdend, aber ich weiß auch, dass es Menschen gibt, denen all das noch schwerer fällt. Die Hürden sind viel zu hoch – und die Therapeut:innen viel zu überlastet. Aber wenn du das Gefühl hast, dass du das Chaos in deinem Kopf und deine Probleme nicht alleine lösen kannst, dann ist es kein Zeichen von Schwäche, wenn du dir professionelle Hilfe suchst! Es ist ein Akt der Stärke, da du dich traust, darüber zu reden und daran zu arbeiten!

Wie bereits gesagt, gibt es die Möglichkeit über Hausärzt:innen. Diese können dir dann eine Überweisung aushändigen. Wenn du dich nicht traust, darüber zu reden, oder Probleme hast zu Ärzt:innen zu gehen, dann kannst du bei der 116117 anrufen oder die App herunterladen, um einen Termin zu buchen. Wenn du akut Hilfe brauchst, gibt es folgende Nummern, an welche du dich wenden kannst:

Telefonseelsorge: 0800 / 111 0 111; 0800 / 111 0 222; 116 123
per Chat online.telefonseelsorge.de

Halte durch!

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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Seit 2020 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Kommunikationswissenschaften studiert und machte 2022 ihren Master in Journalismus. Themenschwerpunkte sind Gesellschaftspolitik, Mental Health und Musik.

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