Ein warmer Sommertag. Ich war vierzehn und gerade in der sechsten Klasse angekommen. Mein junger Körper noch weit entfernt von „klassischen“ weiblichen Merkmalen. Die Winterklamotten lagen verbannt in der hintersten Ecke meines Kleiderschrankes. Vor ihnen stapelten sich enge und weite Oberteile in allen Farben. Ich griff nach meinem liebsten dunkelblauen engen T-Shirt und dem weißen Bustier.

Ein Bustier? Für welche Brüste frage ich mich heute. Nicht, dass sie jetzt viel größer wären, aber mit 14 war da nahezu Flachland. Ein kleiner Hügel vielleicht.

Es dauerte nicht lang, da wollte ich auch schon meinen ersten BH haben. Warum? Weil alle meine Freundinnen einen trugen. Nicht nur das. Sie hatten sogar eine hübsche Auswahl und unter ihren anliegenden Oberteilen zeichneten sich gleichmäßige rund-geformte Brüste ab. Perfekt, irgendwie. Und so erwachsen. Ich schleppte meine Oma in den nächsten C&A, allerdings hoch in die Kinderabteilung. Die richtigen BHs waren dann doch eine Nummer zu groß. Oben fand ich zwei Paar – gemustert und sogar wattiert. Ein zufriedenes Grinsen. Mein Top hatte nun die gleichen schönen Rundungen. Ich fühlte mich jetzt als richtige Jugendliche. Ein Ausbruch aus der Kindheit, rein ins Erwachsenwerden.

Den Sinn eines BHs hatte ich nie hinterfragt. Aber ich denke, dass es vor allem darum ging dazuzugehören. Wer sich als (junge) weiblich gelesene Person mit freien Brüsten und sichtbaren Nippeln zeigt, hat Angst auf Ablehnung oder dumme Kommentare zu stoßen. Besonders innerhalb seiner Peergroup. Dazu kommt das ständige Gefühl des Angestarrt-Werdens. Als würde mir jede:r auf die Brüste schauen.

Es ist als bedeutet Frausein, einen BH tragen zu müssen. Eine Formalia des Patriarchats, damit man geordnet aussieht. Zum Beispiel auf der Arbeit, um nicht versehentlich mit durchschimmernden Nippeln abzulenken. Die weibliche Brust wird sexualisiert. In vielen Fällen wird sie lediglich als Objekt von Begierde und Anzüglichkeit deklariert. Nicht etwa als natürlicher Teil des Körpers, wie die Brust bei männlich gelesenen Personen. Apropos, warum heißt es Brust und nicht Brüste? Gibt es nicht auch Männer* die Brüste haben? Hat nicht jeder „richtige“ Mann auch Brüste?

Was an diesem Teil des Körpers das biologisch weibliche Geschlecht vom Männlichen unterscheidet, sind doch hauptsächlich Drüsenkörper, Fett- und Bindegewebe und folglich die Größe. Und hierbei bewege ich mich noch in der längst überholten Ansicht des Zwei-Geschlechter-Tums.

Was ist denn nun der wirkliche Sinn des BH-Tragens, also körperlich? Die Geister spalten sich. Manche Studien belegen, dass es gesünder sei, keinen BH zu tragen, um die natürliche Brustmuskulatur zu erhalten und sogenannte Hängebrüste vorzubeugen. Wieder andere besagen das Gegenteil. „Hängebrüste“ ist übrigens ein ziemlich hässliches Wort für ein natürliches Phänomen. Denn Größe, Straffheit und Nippel sind an jedem Körper anders – bedingt durch Gene, Alter, Lebensstil, Schwangerschaft oder Krankheiten.

Ein BH kann Brüste stützen und den Rücken entlasten. Er kann Brüste voller wirken lassen oder kaschieren. Beim Sport kann er stabilisieren und Schmerzen vorbeugen. Er kann aber auch einfach hübsch sein und mein Selbstbewusstsein stärken. Ich kann einen BH auch ganz für mich tragen, wenn ich das möchte. Wer sagt, dass ich es für andere tun muss?

Was ein BH jedenfalls nicht sein sollte, ist ein Schutzschild. Ein Versteckmittel für den eigenen Körper aus Angst vor dem Patriarchat, Bodyshaming oder sexualisierter Gewalt.

Jeder Mensch sollte für sich selbst entscheiden, wie er die eigenen Brüste durchs Leben trägt und ich wünsche mir, dass diese Form der Selbstbestimmtheit und der offene Umgang mit Körpern normalisiert wird.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE .

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