„Als ich dich das erste Mal gesehen hab, fand ich dich richtig komisch. Ich habe mich mit meiner Freundin voll über dich lustig gemacht. Aber ich habe ihr jetzt gesagt, dass du eigentlich voll cool bist.“
Die Person lacht, als sie mir das sagt. Ich lache höflich mit. Klar, kein Problem, richtig witzig, nehm’ ich voll locker. Also, so würde ich mir das wünschen. Aber so witzig finde ich es gar nicht und locker nehme ich es auch nicht. In meinem Kopf ist wieder das Gedankenkarussell angesprungen und dreht sich wie wild im Kreis. Wieso fanden sie mich komisch? Ich habe doch gar nichts gemacht. Nur diese Geschichte da auf der Bühne vorgelesen, wie alle anderen auch. Ich war einfach ganz normal, wie immer. Wieso denn komisch? Oh Gott, sie haben über mich gelacht? Was sie wohl gesagt haben? Bestimmt was über meine Haare. Oder meine Klamotten. Oder meine Art zu sprechen. Was hat sie gesagt? Dass sie mich eigentlich voll cool findet? Ja nice, danke. Das tröstet mich sowas von gar nicht.
Man muss erwähnen, dass sich diese Konversation samt Gedankenkarussell ereignete, als ich ungefähr zwölf Jahre alt war und es mein erklärtes Ziel war, auf gar keinen Fall komisch rüberzukommen. ‚Komisch‘, also anders als die anderen zu sein, war meine Angst und etwas, dass ich auf jeden Fall vermeiden wollte. Gelungen ist es mir aber nicht. Dafür hatte ich zu wuselige Haare, aber sie zu glätten fand ich blöd, zu viel selbstgemachte Perlenketten, diese kleine rundliche Brille, habe Musik aus aller Welt statt Radiohits gehört und habe mich auch – trotz des Wunsches, so zu sein wie alle – konstant geweigert so zu werden wie alle.
Ich hatte vergleichsweise viele Freund:innen, aber ich war so unsicher, wie man es nur sein kann. Was andere über mich dachten, hatte einen hohen Stellenwert, egal ob ich diese anderen mochte oder nicht. Es gibt Menschen, die lässt es kalt, wenn andere ihnen einen kleinen Witz über ihr Aussehen reindrücken, weil sie es als Witz verstehen. Und es gibt Menschen, die trifft jede kleinste Beleidigung direkt ins Herz. Da hakt sie sich fest und geht jahrelang nicht mehr raus. So ein Mensch war ich. Es ist ein bisschen so, als hätten die kleinen Beleidigungen so kleine fiese Häkchen, mit denen sie in dir haften bleiben. Und die vielen Komplimente haben eine aalglatte Oberfläche, die rutschen nur so durch und sind bald wieder weg aus dem Gedächtnis.
Und es waren kleine Beleidigungen, ich wurde nicht gemobbt, nicht schikaniert. Es waren diese kleinen Dinge, die Menschen einfach sagen, weil sie sie gerade gedacht haben und du dir nicht sicher bist, ob du jetzt beleidigt sein darfst oder nicht. Ob es als Beleidigung gemeint war oder nicht. Oder ob das einfach nur ein Witz war und du gerade komplett überreagierst. Die kleinen Beleidigungen kamen oft von Freund:innen. Von Freund:innen, die vielleicht so in sich geruht haben, dass sie vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen sind, ich könnte mich von ihren Äußerungen angegriffen fühlen. Aber ich war unsicher, ich fand mich nicht schön und deswegen hat mich alles angegriffen, was ankam. Jede kleine Spitze, die mir gereicht wurde, habe ich genommen und sie in mein Herz gesteckt.
Zum Beispiel, dass eine Klassenkameradin in der siebten Klasse fragte: „Wisst ihr wen ich schön finde?“ Und dann alle anwesenden Mädchen aufzählte – außer mich. Und mich dann noch fragte: „Weißt du, wen ich nicht aufgezählt habe?“ Natürlich wusste ich es, was für eine Frage. Sie sagte noch: „Spaß!“ am Ende, aber wie sagt man so schön, in jedem Spaß steckt ein Funken Wahrheit und ich war mir sehr sicher, dass sie es ernster gemeint hatte, als sie zugeben wollte. Heute weiß ich, dass Schönheit Geschmackssache ist. Dass es tausend wichtigere Dinge als Schönheit gibt. Dass es vollkommen irrelevant ist, ob meine Mitschülerin mich schön findet oder nicht. Aber damals wusste ich das nicht. Damals war ich zwölf und (norm-)schön zu sein war absolut relevant und wichtig für mich.
Also was sagt man, wenn das von einer Person kommt, mit der du dich gut verstehst? Bei der du zu 100 Prozent weißt, dass sie das nicht böse meint. Dass sie einfach manchmal unreflektierte Dinge sagt. Dass ihr nicht bewusst war, dass ich mir diesen Satz merken werde, bis ich 22 bin. Dass er auch mit 22 noch ein bisschen wehtut. Was sagt man da?
Oder die Bekannte, die mir diesen Ratschlag gab: „Wenn ich so dünne Beine hätte wie du, würde ich kein Kleid anziehen. Warum ziehst du nicht ‘ne Hose an?“ Ich trug natürlich ein Kleid, während sie mir das sagte. Weil ich das Kleid schön fand und nicht auf den Gedanken kam, meine überdurchschnittlich dünnen Beine könnten mich Kleid-unwürdig machen. Auch sie meinte es nicht böse. Aber auch ihren Satz weiß ich noch.
Oder der Typ, auf den meine Freundin in der neunten Klasse scharf war und der zu mir und einer anderen Freundin sagte, als wir ihn gerade zur Begrüßung umarmen wollten: „Nein. ich umarme nur schöne Frauen.“ Auch er schickte ein lachendes „Spaß!“ hinterher und umarmte uns. Ich sagte nichts, meine Freundin sagte nichts. Vielleicht haben wir sogar mitgelacht. Im Nachhinein hätte ich ihm lieber ins Gesicht gespuckt.
Seit der Schulzeit ist mir das nicht mehr passiert. Vielleicht, weil ich mich mehr angepasst habe. Vielleicht, weil es mir weniger wichtig ist, was man über mich denkt. Vielleicht habe ich aber auch einfach Glück gehabt. Es war nie Mobbing, es war nie richtig bewusst gemein, es waren einfach Leute aus meinem Umfeld, die Dinge gesagt haben, die ich bis heute noch weiß. Vermutlich ist ihnen auch gar nicht mehr bewusst, was sie da gesagt haben. Aber ich weiß es noch. Es ist eine komische Vorstellung, dass ich so lange an unüberlegt dahingesagten Sätzen knabbere, von deren Existenz die Sprecher:innen der Sätze vermutlich gar nichts mehr wissen. So, wie Worte von mir bestimmt auch in den Köpfen anderer Menschen umherschwirren, an die ich mich nicht mehr erinnere, oder die ich nicht als beleidigend empfunden habe, als ich sie gesagt habe. Die jemand anderes aber heute noch weiß. Denn daran glaube ich schon, wir alle sind nicht frei davon. Man weiß eben nicht, was einen Menschen angreift. Welche Vorgeschichte er hat.
Ich habe oft überlegt, wie ich in Zukunft mit solchen Äußerungen umgehen möchte, wenn sie mir ins Gesicht geworfen werden. Weglachen ist keine Option mehr für mich, denn so wird sich nie etwas ändern, so wird man nie hinterfragen, was man in die Welt schreit.
Eine Interaktion habe ich mir in dieser Hinsicht deutlich gemerkt, weil sie mich beeindruckt hat. Und diesmal war ich auf der anderen Seite. Ich saß mit einer Arbeitskollegin zusammen und habe einen Witz gemacht. Für mich war es wirklich nur ein Witz. Ich wollte sie in keinster Weise beleidigen. Für sie war es absolut kein Witz und darauf hätte ich eigentlich auch vorher kommen können, hätte ich ein bisschen mehr nachgedacht, bevor ich gesagt habe, was ich gesagt habe. Dass sie es als Beleidigung empfunden hat, habe ich aber erst verstanden, als sie mir sagte: „Weißt du, dass du Menschen mit solchen Worten echt weh tun kannst?“ Es war ehrlich, es war unangenehm und ich war erstmal beleidigt. Ich wusste insgeheim schon, dass sie Recht hatte, aber ich wollte mich verteidigen. Klarstellen, dass es doch wohl offensichtlich ein Witz gewesen war. Ich war kurz eingeschnappt, habe meinen Stolz aber heruntergeschluckt und mich entschuldigt. Und ich hoffe, dass sie meinen Satz zusammen mit dieser Entschuldigung auch wieder vergessen konnte. Aber vielleicht konnte sie das auch nicht. Und es tut weh, mir vorzustellen, dass sie vielleicht ab und zu daran denkt und wieder neu verletzt ist.
Mich jedenfalls hat es geprägt, so unangenehm es im ersten Moment auch war outgecalled zu werden. Ich passe mehr auf, was ich sage. Ich versuche, nicht unreflektiert dumme Witze zu machen, die beleidigend sein könnten. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt. Denn im Endeffekt weiß man nie, welche Bemerkungen tief einschlagen und welche nicht mal richtig gehört werden, weil sie so bedeutungslos sind.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die jetzt sowas denken wie: „Was für ein Rumgeheule, sowas passiert halt, man braucht eine dicke Haut in dieser Welt.“ Und da ist was dran, das Leben ist nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen. Aber viele Menschen haben diese dicke Haut nicht, auch wenn sie vielleicht so aussehen. Und vielleicht muss das Leben auch nicht immer hart sein. Vielleicht können wir alle uns bemühen, ein bisschen achtsamer zu sein in der Art, wie wir miteinander umgehen. Dabei dürfen wir eben auch ein bisschen unhöflicher, ein bisschen mehr Spielverderber:in und ein bisschen direkter sein, wenn etwas gesagt wird, was uns verletzt. Weil man das ansprechen darf. Auch wenn man weiß, es ist nicht böse gemeint. Auch wenn es Freund:innen sind, von denen die Bemerkungen kommen. Sonst wird sich nie etwas ändern. Und kleine Beleidigungen tun nun mal weh. Auch wenn sie gar nicht als Beleidigung gemeint waren und auch wenn sie klein sind.
Ich habe außerdem bemerkt, wie gut es tut, mir Komplimente aufzuschreiben, die ich bekomme. Weil man erst dann ein Gefühl dafür bekommt, dass die Komplimente mehr sind, als die kleinen Beleidigungen. Denn das Tückische ist, dass man die Komplimente schneller vergisst. Aber sie sind da und können ebenfalls klein sein. Worte wie „Schöne Ohrringe hast du!“ – zum Beispiel. Aber im Gegensatz zu den kleinen Beleidigungen tun sie nicht weh, sondern machen einen zumindest für einen kurzen Moment ein bisschen glücklich. Und das kann man doch immer gut gebrauchen.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Autorin: Katharina
Illustration: Ida-Erika

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