Der typische Rassist trägt eine Glatze, ist Alkoholiker, hat eine Hakenkreuz-Tätowierung, liest „Mein Kampf“ vor dem Schlafengehen, schlägt grundlos auf Menschen mit Migrationshintergrund ein und lässt sich von Mama das Frühstück machen. Falsch! Das sind RassistInnen, wie wir sie aus den Filmen kennen. Nichts davon trifft auf mich zu und trotzdem werde ich den Gedanken nicht los, dass auch ich rassistische Ansichten verinnerliche. Aus diesem Grund möchte ich mir an dieser Stelle ganz bewusst eine Frage stellen: Bin ich eine Rassistin?
Nur weil ich Diskriminierung nicht immer bemerke, heißt das nicht, dass sie nicht da ist. Wie schnell ein Mensch zum Opfer oder auch zum Täter werden kann, möchte ich dir anhand eines Beispiels aus meiner Schulzeit zeigen.
Als ich meine beste Freundin Vanessa kennenlernte, war ich 17. Wir gingen zusammen in dieselbe Klasse einer Fachoberschule. Ich erinnere mich noch, als wäre es erst letzte Woche gewesen. Wir hatten gerade Pause, ich saß mit meinen Schulfreundinnen am Tisch, nebenbei lief eine Unterhaltung über Kosmetikprodukte, die eine ungeklärte Frage in den Raum warf: Wo kaufen Schwarze Menschen eigentlich ihr Make-up? Wir, zum Großteil weiße Mädchen, konnten uns zu diesem Zeitpunkt nur schwer vorstellen, dass man einen dunklen Farbton wie diesen in einem stinknormalen Drogeriegeschäft kaufen könnte.
In diesem Moment läuft Vanessa an uns vorbei, die einzige Person of Color in unserer Klasse, mit der ich zuvor noch nie ein Wort gesprochen hatte. „Hey Vanessa, wo kaufst du eigentlich dein Make-up?“, rufe ich sie zu uns. Damals wusste ich nicht, wie herablassend mein Verhalten war – vielleicht war es mir aber auch egal. Vanessa nahm die Situation jedenfalls cool auf: „Im Müller, wieso?“. Später, als wir schon Freunde waren, erzählte sie mir, wie bescheuert sie meine Frage fand.
Rassismus ordnet unser Denken und Zusammenleben. Als weiße Frau kann ich mich damit beschäftigen, muss es aber nicht – weil es mich nicht betrifft. Mit meinem blonden Haar und den blauen Augen gehöre ich zum Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, was mir das Privileg gibt, mich zugehörig fühlen zu können, was mich wiederum stärkt. Obwohl ich weiß, dass es nicht so ist, gehe ich davon aus, dass es anderen Menschen genauso geht.
Ich bin also nicht unzufrieden, demnach verspüre ich auch nicht den Drang, Rassismus bekämpfen zu wollen. Hiermit möchte ich keinesfalls behaupten, dass ich mich für Leidtragende rassistischer Vorfälle nicht einsetze. Nein, ich will damit sagen, dass ich nur handeln kann, wenn ich mich mit Diskriminierung aktiv auseinandersetze. Um Zeugin rassistischen Verhaltens zu werden, brauche ich zuallererst eine Sensibilität für das Thema und das Bewusstsein darüber, wie mein Verhalten auf andere wirkt. Ich möchte also herausfinden, was man unter Alltagsrassismus versteht und was ich an meinem Auftreten ändern kann, um nicht zu der Täterin zu werden, die ich manchmal bin. Welchen Einfluss hat rassistisches Denken also auf das eigene und auf das Leben anderer?
Lange Zeit war mir nicht klar, dass ich Menschen in eine Ecke dränge, wenn ich sie nach ihrer Herkunft frage. Ich meine, es interessiert mich eben. Und ich habe doch auch kein Problem, etwas über meine Wurzeln preiszugeben? Was ist also so schlimm daran?
„Ah, du bist deutsch. Aber wo kommst du denn wirklich her? Und was ist mit deinen Eltern bzw. Großeltern? Interessiert mich nur.“
Neulich habe ich bei der Zeit bei einem Quiz zum Thema Rassismus mitgemacht. Frage 8 brachte mich aus dem Konzept: „Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben?“. Die Rassistin in mir würde behaupten, dass ich viele Leute mit einem Background wie diesen kenne. Aber wie viele davon zählen zu meinem engen Kreis? Ehrliche Antwort: Zwei. Vanessa und mein Ex-Freund Sei – er ist zur Hälfte Japaner und mein nächstes Täter-Opfer-Beispiel.
Wie unpassend ich mich in meiner damaligen Beziehung verhalten habe, wird mir besonders mit dem Verfassen dieses Artikels bewusst. Früher machte ich Witze über die Herkunft meines Freundes, unterstützte Stigmatisierung, indem ich ihn damit aufzog, dass er, der Japaner weniger Alkohol verträgt als ich, die Deutsche. Zusätzlich gab ich ihm den unwürdigen Spitznamen „Japsi“ mit der Auffassung, dass das niedlich klingen würde.
Heute weiß ich, wie respektlos mein Verhalten war. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir Menschen uns erst ändern können, wenn wir darüber Bescheid wissen, wie unser Verhalten auf andere wirkt. Vanessa, Sei und viele andere Menschen aus meinem Umfeld mit Migrationshintergrund vermittelten mir unterbewusst mit ihrer lässigen Art, dass es in Ordnung ist, sie so zu behandeln, wie ich es tat. Immerhin sind wir ja Freunde. Ich erinnere mich an viele Situationen, die ich mit Vanessa hatte, in denen ich ihr herablassende Spitznamen gab wie Schokomaus oder gar das N-Wort, womit ich sie „nur“ triggern wollte. Was vielleicht nicht böse gemeint war, sagt jedoch viel über mein jüngeres Ich aus. Vanessa, die sich über meine Äußerungen ärgerte und mir mehrfach zu verstehen gab, dass es nicht okay ist, brachte mich nicht davon ab, weiterzumachen.
Wie ich fragst du dich nun vermutlich auch, was sie hätte anders machen können. Es geht jedoch nicht darum, was Vanessa und die vielen anderen Menschen, die unter Diskriminierung leiden, an ihrem Verhalten ändern können, um sich letztendlich frei zu fühlen. Es geht darum, was wir Täter anders machen müssen! Charles Reade würde dir dazu vermutlich den folgenden Tipp geben:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Taten. Achte auf deine Taten, denn sie werden zu Gewohnheiten. Deine Gewohnheiten bilden deinen Charakter und dein Charakter bestimmt dein Schicksal.“
Ich habe lange überlegt, ob ich Gedanken wie diese aussprechen sollte. Hätte ich es nicht getan, würde die Rassistin in mir vermutlich noch eine Weile länger bleiben, ohne zu wissen, dass sie überhaupt da ist. Zu behaupten, dass das Leben aller Menschen gleichsam bedroht ist, ist falsch.
Früher hätte ich zu mir selbst gesagt: Beruhig dich mal, alles halb so wild. Heute tut es mir leid, dass ich meine Freund*innen so respektlos behandelt habe, und weiß, dass meine Ignoranz ein Teil meines unreflektierten Privilegs ist. Aber zumindest meine heutige Erkenntnis ist eindeutig. Ich möchte mein Verhalten ändern, denn ich will kein Teil einer solchen Gesellschaft sein, die sich an dem Leid anderer stärkt. Die Rassistin in mir wird nicht von heute auf morgen verschwinden, dafür bedarf es Zeit und die nehme ich mir.
Illustration: osaydon
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.
2 Comments on “Die Rassistin in mir”