Du klopfst an meiner Tür und ohne dass ich antworte oder dich hereinbitte, trittst du ein. Du kommst herein, als wäre es dein Haus. Als würde die Welt dir gehören und mit ausgebreiteten Armen auf dich zugehen. Du willst mich umarmen, aber ich bin nicht diejenige, die mit ausgebreiteten Armen auf dich zukommt. Meine Arme sind vor der Brust verschränkt. Trotzdem findest du einen Weg und setzt sich auf mein Sofa. Hass ist eines der Gefühle, die am tiefsten gehen. Und genau diesen Hass empfinde ich, wenn ich dich in meinem Wohnzimmer sitzen sehe. Du zündest eine Zigarette an, obwohl ich in einem Nichtraucherhaushalt lebe. Du siehst den Rotwein auf dem Tisch, greifst nach ihm, verfehlst, verschüttest. Jetzt ist die weiße Tischdecke rot. Ich habe sie gestern gekauft. Ich hasse rot.

„Hast du mich vermisst?“, fragst du mich. „Nein“. Insgeheim weißt du, dass es so ist, doch mein Blick ist so hasserfüllt, wie das „Nein“, dass aus meinem Mund kommst. Ich bin nicht gut im Nein-Sagen und scheinbar ist mein „Nein“ eher ein „Jain“. Du hörst ein „Ja“. „Sehr herzlich“, sagst du. Doch ich kann das Herz nicht sehen. Ich sehe Schmerz. Ich spüre mehr Hass, als Liebe, wenn ich deine Stimme höre, die mir immer wieder sagt, dass ich ohne dich verloren wäre. In den schlimmsten Lebensphasen seist du da gewesen, hättest mich begleitet und mir den Schmerz genommen. Du hättest mich wieder etwas spüren lassen. Doch all das ist eine Lüge! Was ist daran gut, wenn du sichtbare Narben hinterlässt? „Schmerz genommen“. Wie paradox. Narben sind das Ergebnis von Schmerz. Das, was übrig bleibt. Die Rotweinflecken. Der Zigarettengestank.

Ich dachte, Freundschaft basiert auf Gegenseitigkeit! Doch unsere „Freundschaft“ ist geprägt von der Absenz der Gemeinsamkeiten! Unsere „Freundschaft“ ist so gut wie nicht existent! Du magst rot, ich weiß. Deine Lunge ist schwarz, meine nicht tot. Und ich möchte, dass das so bleibt. Ich möchte, dass du aus meinem Haus, ja sogar aus meinem Leben verschwindest. Ich möchte, dass du gehst, ohne dich umzudrehen, oder noch einmal mit offenen Armen auf mich zu zugehen. Du weißt, wo die Haustür ist. Also bahn dir deinen Weg durch die Unordnung, vergiss die Rotweinflasche nicht, und verschwinde für immer mit dem Licht, das du nie mitgebracht hast.

Gefühle sind stärker, als der Verstand und genau diese Gefühle sagen mir jetzt, dass ich dich nicht mehr brauche. Deine Anwesenheit raubt mir den Sauerstoff, den ich zum Atmen brauche. Ich werde dich nicht vermissen. Aber die Narben bleiben.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTENorina TondarSpenden Illustration 1 100 sw 1

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