Wenn der Name Julienne Dessagne aka Fantastic Twins fällt, denke ich an diesen einen Abend im Kompakt Pop Up Store in Amsterdam. Zusammen mit meinen FAZE-Kollegen besuchte ich im Oktober 2018 erstmals die Amsterdam Dance Events. Hätte geil werden können. Schade nur, dass die alten Herrschaften die langweiligsten Partys von allen rausgesucht hatten. Ich meine, zu den ADE gibt es in ganz Amsterdam Partys und Konferenzen. Man trifft Geschäftspartner, Künstler, ach, einfach alle möglichen Leute, die was mit der Musikindustrie am Hut haben. Naja, jedenfalls fiel unsere Abendgestaltung manchmal etwas mau aus – zumindest für mich. Doch da gab es diesen einen Abend im Pop Up Store, an dem ich Julienne Dessagne kennenlernte. Neben einer schönen Auswahl an Platten, die aus dem Plattenladen in Köln stammten, konnte man gegen Abend im Keller für zwei Stunden einen DJ-Showcase und freie Getränke genießen. Ganz klein und fein. Und dort unten, ganz intim mit etwa 50 anderen Menschen, hatte ich das einmalige Erlebnis, ihrer kraftvollen Stimme lauschen zu können. 

2017 startete sie mit ihrem mittlerweile gar nicht mehr so neuem Pseudonym „Fantastic Twins“ durch. Ihre zuletzt erschiene EP „Unwanted Guest“, die auf Garzen Records erschien, betont ihre Vorliebe für psychodelischen Techno und Avant-Elektronik auf ein Neues. Die ausgebildete Pianistin greift bei ihren Auftritten auf diverse Synths, Effektgeräusche und ihren Drumcomputer zurück. Nebenbei spielt sie verschiedenste Melodien und erzeugt eigens kreierte Geräusche in Bereichen des Post-Punk, Synth-Wave, Techno, House und mehr.

Wenig später trafen wir uns erneut in Köln und was soll ich sagen, es war schön! Darum gibt es jetzt ein bisschen mehr, von der zauberhaften Julienne.

Hey Julienne, sag mal, wie hat das angefangen mit Fantastic Twins?
Angefangen hatte alles im Jahr 2013, nachdem mich die Pachanga Boys gebeten hatten, einige Vocals für ihr Album aufzunehmen. Die Art und Weise, wie sie meinen Gesang in ihre Songs eingearbeitet haben, klang so, als würde zwei Mädchen miteinander reden. Und so wurde mein Soloprojekt „The Twins“ geboren, worunter ich einige EPs und Remixe veröffentlichte. 2017, mit dem Release meiner EO „The New You“, entschied ich mich, das Projekt in „Fantastic Twins“ zu verwandeln. “Fantastisch” wie in der Fantasie – imaginär, unwirklich.

Was bedeutet der Name für dich?
Neben den grundlegenden Fakten glaube ich, dass die Verwendung dieses Charakters mir dabei hilft, einen Ausgangspunkt in meinem kreativen Prozess zu finden. Ich stelle mir das Leben dieser Zwillinge vor und baue mit der Musik Geschichten darüber auf. Das führt mich zu Gegensätzen und seltsamen Assoziationen: Gegensätze müssen in meiner Musik so koexistieren, wie man auch seinen Zwilling im wirklichen Leben nicht loswerden kann. Und letztendlich ist es auch ein Weg für mich, Distanz zu dem, was ich als Künstlerin bin, zu halten. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Musikindustrie heutzutage sehr stark auf individuelle Profile fokussiert ist, ist das alles sehr egoistisch und narzisstisch. Bei meinen Auftritten stelle ich mir gerne vor, dass ich in meine persönliche Fantasiewelt eintauche. Ich lasse die Zwillinge raus und spielen, es bin nicht wirklich ich, den die Zuschauer sehen. Wenn ich Erfolg habe und etwas Gutes tue, muss ich die Anerkennung mit den Zwillingen teilen, wenn ich scheitere, kann ich es auch ihnen verübeln. Oder vielleicht bin ich nur ein bisschen schizophren (lacht).

Wie kommt eine Pianistin zur elektronischen Musik?
Als Kind hatte ich eine Weile Klavierunterricht, aber die meisten Techniken habe ich leider vergessen … In den frühen 2000er Jahren fing ich an, mich mit Tanzmusik und der Clubszene zu beschäftigen, als ich nach Glasgow zog. Dort entdecke ich Optimo Espacio, die legendäre Nacht von Keith McIvor und Jonnie Wilkes – bekannt als Optimo DJs –, die damals jeden Sonntag stattfand. Eine sehr inspirierende und musikalische Erfahrung, die definitiv noch heute meine Wahrnehmung von Musik beeinflusst. Aber ich würde sagen, ich wurde eher von Clubs und Partys inspiriert, als von einem bestimmten Künstler. Das ist es, worum es am Ende geht, nichts anderes ist so wichtig.

Du stammst aus Saint-Etienne und hast auch in Lyon studiert, wie stark hat dich die elektronische Musikszene dort beeinflusst? 
Als ich noch in Frankreich lebte, war die Clubszene wirklich sehr schlecht, sodass ich nicht sagen kann, dass sie einen Einfluss auf mich hatte. Nuits Sonores in Lyon standen am Anfang, das war ein erster Schritt in eine massive Veränderung. Heute gibt es in Frankreich unzählige gute Clubs, Festivals und Raves. Saint-Etienne hatte sich immer mehr auf Rockbands konzentriert. Aber seit ein paar Jahren bringt das Festival Positive Education die Stadt mit einigen atemberaubenden Formationen auf die Landkarte. Ich glaube wirklich, dass Saint-Etienne geeignet ist, eine starke Verbindung zur “elektronischen” Musik zu haben. Die Stadt ist bekannt für ihre industrielle Vergangenheit, ähnlich wie Glasgow, und es gibt einige erstaunliche – und aus historischer Sicht bedeutsame – Orte, an denen diese Art von Klang zu hören ist. Es freut mich sehr, dass das Festival „Positive Education“ bereits zu einer wichtigen internationalen Referenz geworden ist. Und das ist erst der Anfang.

Mittlerweile lebst du in Berlin. Welche Einflüsse hat die Stadt auf deine Musik?
Keinen besonderen Einfluss. Jedoch ist es mir durch die Stadt möglich, von meiner Musik zu leben, anstatt unter dem finanziellen Druck, den ich während meines vorherigen Aufenthalts in London erlebte, zerquetscht zu werden. Ich fühle mich sehr frei hier in Berlin. Aber klanglich hat die Stadt keinen Einfluss auf meine Musik, ich verstehe die Idee des “Berliner Sounds” überhaupt nicht.

Gibt es denn Orte, die dich inspirieren? 
Ich habe eine besondere Vorliebe für Mexiko. Vor allem wegen der Verbindung zu meinem guten Freund Rebolledo, der mich dazu brachte, dort erstaunliche Dinge und Orte zu entdecken. Aber auch, weil ich das Land faszinierend finde und die Menschen dort unglaublich herzlich und freundlich sind. Es ist immer eine Freude, dort zu spielen.

Würdest du dich als Workaholic beschreiben oder lässt du die Dinge auch gerne mal langsam angehen?
Ich bin der totale Workaholic – obwohl ich sehr langsam produziere, verbringe ich den größten Teil meines Lebens in meinem Studio oder arbeite an verschiedenen anderen Projekten wie neuem Labelmaterial usw. Ich weiß, dass es eine echte Sucht ist und es fällt mir sehr schwer, mich zu entspannen, nichts zu tun oder auch nur ein wenig loszulassen. Menschen in meinem Umfeld würden bestätigen, dass es nicht immer einfach ist, mit mir zu leben.

 

photo by Teteshka Photo

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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