Mein Arschloch brennt. Mir ist wirklich schlecht. Die Kraft, die ich mit Scheißen verschwendet hatte, fehlte mir jetzt – aber ich muss trotzdem. Ich springe auf und drehe mich in einer perfekt koordinierten Bewegung, sodass jetzt mein Kopf über der Kloschüssel hängt. Da bemerke ich die rote Farbe in meiner Scheiße. Nur ein roter Streifen auf der braunen Wurst: Ich habe also kein Blut geschissen.

Eigentlich mag ich den Akt des Übergebens. Eine willenlose Hingabe an die Grenzen des Körpers. Alles spannt; ganz gegen den Geist, um sich nun aller Last zu entledigen. Von den Zehen bis in die Bauchmuskeln hinauf ist es eine einzige tierische Anspannung. Dann der Rachen, der sich geekelt und doch folgerichtig dieser notwendigen Unterwerfung fügt.

Das Speien verlangt mir alles, was ich noch an Kraftreserven hatte ab. Ich stehe auf, nachdem ich fertig bin; nach mittlerweile drei starken Auswürfen, und spüre es bereits; die Energie wird nun im Magen konzentriert. Ich merke, wie meine Gliedmaßen immer schwächer werden. Alle bewusstseinseinschränkenden Substanzen sind mit einem Mal draußen. Bei der Vorstellung, dass alles, was ich gerade ausgekotzt habe, noch hätte verdaut werden müssen, danke ich jeder Zelle, die diesen Vorgang eingeleitet hat. Die Übelkeit zwingt meinen Kopf erneut zur Schüssel, doch es kommt nichts mehr. Die Gewissheit des Endstadiums dieses Rausches ist also offiziell. Der Premierminister – mein Magen – hat es somit dem Präsidenten – dem Gehirn – schriftlich übermittelt: Wir müssen die Proteste der leichtsinnigen Bürger – der Lust – zerschlagen, um als ganzer Staat zu überleben (wirklich überleben)! Zumindest bis zu den Wahlen oder bis zum nächsten Rausch.

Mit einem Schlag bin ich nüchtern, als hätte mir jemand mit übergangslos den Kopf mit klarem Verstand gefüllt, den ganzen Nebel aus der Birne geschlagen. Im Bad wasche ich mir den angesäuerten Vodkageschmack aus dem Mund. Ich bemühe mich, so aufrecht wie nur möglich zu gehen, und wische mir, so gut ich kann, die Tränen aus den Augen – nach dem Kotzen sieht man aus, als hätte man geweint und das möchte ich verhindern.

Ich öffne die Tür ins Wohnzimmer und nehme wieder Platz, dabei setze ich mir ein Lächeln auf. Kurz blicke ich mit meinem mechanischen Grinsen fragend durch die Runde – nur innerlich, denn mein Gesicht ist eingespannt. Vielleicht haben sie mich kotzen gehört? Nein, bestimmt nicht.

Danach nehme ich mir gemächlich ein Bier aus dem Kühlschrank. Jetzt brauche ich Elektrolyte. Aber das Bier ist bitter und deftig. Ich trinke es trotzdem, denn ich darf jetzt keine Schwäche zeigen, dafür bin ich zu weit gekommen! Man merkt mir tatsächlich nichts an, doch Existieren ist plötzlich wie ein Boot bei Unwetter auf offener See zu manövrieren. Mein Körper ist mir so fern. Ich kontrolliere die Bewegungen, doch das Wetter – der Magen und alles, was dazugehört – schlägt große Wellen über mein Boot. Beinahe wäre es gekentert. Ich war kurz vorm Aufgeben.

Wieso wehre ich mich? Es hat ja doch keinen Sinn. Die Leute lachen, beinahe hätte ich den Umstand nicht mitbekommen. Mein Blick filtert die Mimik und Gestik. Mein Blick ist klar und scharf. Ich wehre mich nicht mehr und treibe dahin. Hinter den dunkelgrauen Wolken rufe ich Gott und einen Blitz, um das ganze Theater zu beenden, doch widerrufe diesen Wunsch gleich wieder. Man muss aufpassen, was man sich wünscht. Manchmal gehen sie in Erfüllung. Also verschwende keinen Wunsch. Besonders nicht mit einer jähen Laune.

Ich wurde etwas gefragt. Ich sage „keine Ahnung“ und lache. Die anderen lachen mit. Gute Antwort. Ich versuche, an was Schönes zu denken, damit mein Lächeln natürlich scheint. Aber auch die anderen haben ihr echtes Lächeln verloren. Von innen heraus zwingt sie das Koks starr zu grinsen, zieht ihnen zwangsweise die Mundwinkel nach oben. Einfache Mathematik, diese Chemie. Das Bier wird erträglicher. Der Rachen ist wund.

Ich habe meine Lektion wieder einmal gelernt. Möge sie mir diesmal mehr als zwei Wochen eine Lehre sein.

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