Es war eine laue Sommernacht und ein Jahr nach meiner letzten Trennung. An einem Freitagabend war ich auf der Poolparty eines Freundes eingeladen. Ich saß vor dem Lagerfeuer, vollkommen in Gedanken versunken und starrte in die lodernde Flamme. Gerade wollte ich einen Schluck Bier nehmen, da hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme auf mich zukommen. L.

Ich kannte L schon fast fünf Jahre, aber wir hatten nie viel Kontakt zueinander. Das lag wahrscheinlich auch an seiner Alten, die mich absolut nicht leiden konnte. So war zumindest immer mein Eindruck, weil sie mich immer anglotzte, als wäre ich eine Hawaii-Pizza.

Und ihr müsst wissen, sie hasst Hawaii-Pizza.

Ich nahm das aber nie wirklich persönlich, sie konnte nämlich überhaupt keine weiblichen Wesen ab, die sich in L’s Nähe befanden. Deshalb war ich umso mehr verwundert, als er sich plötzlich zu mir ans Feuer setzte. Nach einem kurzen Small Talk wagte ich also zu fragen, wo denn seine Freundin Mrs. Hawaii abgeblieben war, da ich sie nirgends sehen konnte.

»Sie ist nicht da«, sagte er kurz und knapp und darüber war ich sehr erleichtert. Ich hatte sie mir schon vorgestellt, wie sie von hinten auf mich zukommt und mir den Kopf abreißt, weil ich zwei Wörter mit L gewechselt habe.

Aber alles cool, Kopf bleibt dran.

»Wir sind seit ein paar Monaten nicht mehr zusammen«, fügte er noch hinzu und kippte danach sein ganzes Bier auf einmal in sich hinein. Also saßen wir beide den ganzen Abend an der Feuerstelle, denn wie heißt es so schön…

Zu zweit ist man weniger allein.

Es war bereits vier Uhr morgens und der Himmel färbte sich schon leicht rosa, als wir den Heimweg antraten. Alleine waren wir schon lange nicht mehr, bei den Mengen Alkohol, die wir getrunken hatten und wie es der Zufall so wollte, sind L und ich übrig geblieben. Wir haben noch stundenlang über Gott und die Welt gequatscht.

»Warum haben wir früher nie so richtig miteinander gesprochen?«, fragte ich L als wir gemeinsam den Weg entlang stapften.

»Sie mochte dich nicht. Vielleicht weil sie es innerlich schon immer gespürt hat, dass ich dich gut finde.«

L findet mich also toll. Das musste ich mir natürlich auch eingestehen, ich fand ihn auch immer schon attraktiv. Nur hab ich mir nie wirklich mehr dabei gedacht, weil er ja seine Freundin hatte. Ich fing an nervös zu werden.

»Was zum Teufel ist los mit dir? Reiß dich zusammen, es ist doch nur L«, murmelte ich leise. Doch wir spürten beide, dass der Funke schon längst übergesprungen war.

»Kommst du noch mit auf ein Bier?«, fragte er, als wir an der Kreuzung standen, an der sich unsere Wege eigentlich trennen sollten. Und ich weiß ja nicht, wie das bei euch ist, aber dieses Bier trinken nach einer Feier ist bei uns eigentlich fast das gleiche Codewort wie Netflix und Chill. Da weiß natürlich jeder direkt Bescheid, was Sache ist. Doch irgendwie haben wir beide uns nicht viel dabei gedacht.

»Es ist nur L«, wiederholte ich immer wieder in meinen Gedanken. An diesem Abend sollte ich L jedoch näher kommen als gedacht und ihr könnt euch wahrscheinlich schon denken, was dann passiert ist.

Wir sind im Bett gelandet.

Ab dem Zeitpunkt trafen wir uns regelmäßig zum Sex und die Wochen darauf haben wir uns fast täglich gesehen, weil es sich immer irgendwie ergeben hat. Wir hatten mehrfach Sex am Tag und wir haben von Anfang an miteinander harmoniert, so als würden wir schon Jahre lang miteinander ficken. Ich habe selten einen Mann kennengelernt, der so gut mit Frauen umgehen kann wie L.

Er wusste ganz genau, was er machte.

Ich war in der ersten Zeit hin und hergerissen zwischen Was mache ich da eigentlich? und Mach das, worauf du Bock hast!. Die Anziehung, die wir zueinander hatten, war so stark, dass wir uns nicht dagegen wehren konnten. Dennoch war ziemlich schnell klar, dass wir absolut null zusammenpassten. Da wir beide keine Beziehung wollten, schien Freundschaft Plus auf den ersten Blick die ideale Lösung zu sein. Wir dachten uns, wenn man schon als Freunde gut miteinander auskommt und wir uns gegenseitig attraktiv finden…

Warum sollten wir nicht auch miteinander vögeln?

Eine gute Freundschaft mit einem gewissen Bonus. Dieser Bonus besteht darin, richtig guten Sex miteinander zu genießen – ohne verliebt zu sein. Von Beginn an setzten wir klare Regeln fest. Wer sich in jemand anderes verliebt, gibt Bescheid, denn das würde alle Voraussetzungen ändern. Wir glaubten fest daran, dass es so gut funktionieren würde und wollten uns noch besser kennenlernen, um zu sehen, wo das alles hinführt.

Dabei ist die Frage aufgekommen: Was wäre, wenn wir jetzt jemand anderen kennenlernen würden?

Unsere Antwort war ähnlich: Ich würde mich unglaublich für dich freuen!

Ich glaubte, solange beide wissen, was sie wollen und worauf sie sich einlassen, ist alles okay. Anfangs war alles noch relativ locker. Die Basis bestand nicht mehr nur aus Sex und körperlicher Nähe, sondern eben auch aus der Freundschaft, die wir zueinander aufgebaut haben. Wir verstanden uns besser als je zuvor, hatten unsere eigenen Insider und Geheimnisse.

Ich fühlte mich wirklich sehr wohl bei ihm und hatte das Gefühl, mich nicht verstellen zu müssen. Unsere Beziehung war immer sehr respektvoll und jegliches Schamgefühl voreinander konnten wir komplett ablegen. Manchmal saßen wir mit einer Flasche Wein auf dem Balkon, guckten in den Nachthimmel und philosophierten über das Leben. Wir lachten so viel miteinander, dass ich so starke Bauchschmerzen hatte wie noch nie zuvor.

Ich genoss diese Zeit sehr. Bei ihm konnte ich mich nach einem langen, anstrengenden Tag fallen lassen und das ernste Leben, auch wenn es nur für ein paar Stunden war, völlig vergessen. Er war die Schulter, an die ich mich lehnen konnte, er gab mir diesen ganz besonderen Halt. Wir haben immer offen kommuniziert. Das war keine Affäre am Rande.

Wir verstanden uns wirklich richtig gut.

Wir kochten auch mal nur zusammen und verbrachten einen Abend – ohne miteinander zu schlafen. Aber lief es dann so einfach wie erhofft? Natürlich nicht.

Es gab einen Moment, da begann alles aus dem Ruder zu laufen. Also festhalten.

Es war Sonntagabend und ich stolperte die Stufen zu L’s Wohnung hinauf. Das Wochenende hatte seine Spuren hinterlassen und riesengroße Augenringe gruben sich durch mein Gesicht. Doch genauso groß wie meine Augenringe war auch mein Verlangen nach L und nach der Pizza, die ich für uns beide geholt hatte.

Wer kennt sie nicht? Diese Sonntage, an denen man nur im Bett liegt und durchgehend fressen und vögeln könnte.

»Schade, dass das beides nicht gleichzeitig funktioniert«, dachte ich mir, als ich den Schlüssel zu seiner Wohnung in meiner Tasche suchte. Als ich durch die Tür kam, lag L bereits zockend mit seinem Headset auf den Kopf auf der Wohnzimmercouch. Ich pflanzte mich neben ihn und begann schon mal mit dem Essen. Er war augenscheinlich überhaupt nicht beeindruckt von der Pizza und schenke mir keine weitere Beachtung, außer einem Kopfnicken, was wohl so viel heißen sollte wie: »Ah, du auch hier.«

Mein erster Gedanke war: »Na, auch egal. Bleibt mehr für mich.« Doch bald wurde mir klar, wo der Schuh wirklich drückte. Ohne Vorwarnung sagte L wie aus der Pistole geschossen:

»WO WARST DU EIGENTLICH DAS GANZE WOCHENENDE? DU HAST DICH NICHT EINMAL GEMELDET!« Ich verstand die Frage nicht. Hat er das jetzt ernst gemeint?

»Wir hatten uns verabredet, weißt du das nicht mehr? Oder hattest du doch was Besseres vor und hast nicht mal Zeit mir Bescheid zu geben?!«

Ja, genau… Da war ja was! Wir hatten uns tatsächlich verabredet, aber das hatte ich wohl zwischen den ganzen Drinks am Wochenende vergessen. Kann passieren. Immerhin bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig. Also sagte ich ihm, dass er mal runterkommen soll. Aber das war wohl nicht unbedingt das, was er hören wollte, und so kam es, wie es kommen musste.

Wir hatten einen Streit. Ein richtiger Beziehungsstreit – nur ohne Beziehung.

Wo war ich da nur hineingeraten?! Mir wurde es zu bunt und ich verließ fluchtartig die Wohnung. Da saß ich also wieder alleine mit meiner Pizza im Auto und auf dem Heimweg gingen mir tausend Dinge durch den Kopf.

Was war da eigentlich gerade passiert?

Ich verstand die Welt nicht mehr. Es sollte doch einfacher sein. Der Sonntagssex war also gestrichen und zuhause angekommen stopfte ich mir dann die Pizza alleine rein. Dafür brauchte ich L ja zum Glück nicht.

Die Bombe war also geplatzt und am selben Abend bekam ich von L noch eine fünf Minuten lange Sprachnachricht, die alles ändern sollte.

Er hatte sich verliebt.

Zwischen Kuscheln und inniger Zweisamkeit sind bei ihm wohl doch romantische Gefühle entstanden, die er sich nicht wirklich eingestehen wollte. Sich Aufrichtigkeit vorzunehmen schützt also nicht vor allen Problemen. Ich konnte seine Gefühle nicht erwidern und so ist genau das eingetreten, wovor wir am meisten Angst hatten. Die Angst davor, den anderen zu verletzen oder selbst verletzt zu werden.

Ich hoffte nur, dass das kleine Abenteuer einfach so lange wie möglich anhält, während er sich tief im Innersten wünschte, dass sich daraus eine richtige Beziehung entwickelt. Und dafür war ich definitiv nicht bereit! Er bat mich, dass wir eine Weile keinen Kontakt mehr haben, damit er seine Gefühle und Gedanken wieder in eine neutrale Bahn lenken konnte.

Also erst mal Funkstille.

Es war leider komplizierter als gedacht, denn die Anziehung zueinander machte uns einen Strich durch die Rechnung und immer wieder landeten wir im Bett. Doch es war jetzt anders. Ich fühlte mich nicht mehr so richtig wohl dabei, hatte ständig die Befürchtung, dass alles wieder eskalieren würde und dass ich ihn nur noch mehr verletzen könnte.

Irgendwann musste ich einen Schlussstrich ziehen und das ein für alle Mal.

Manchmal fühlen wir uns einfach zu einem Menschen hingezogen, auch wenn diese Person niemals für eine Beziehung infrage kommen würde.

Aber es ist doch so: Entweder ich liebe oder ich liebe nicht! Gefühle sind eben nicht planbar oder regelbar. Die Erwartungen an unsere Freundschaft Plus war zu unterschiedlich, um einfach damit weiterzumachen. Wir konnten das Problem nicht mehr ignorieren, sobald es ausgesprochen war.

Wie jede zwischenmenschliche Beziehung ist auch Freundschaft Plus nicht immer so unkompliziert, wie es sich die meisten vorstellen.

Unsere Affäre lief fast ein ganzes Jahr. Ab und zu haben wir immer noch Sex miteinander, aber wir sehen uns jetzt viel seltener und haben nach unseren Treffen kaum noch Kontakt. Die eigentliche Freundschaft ist aber erhalten geblieben, worüber ich sehr dankbar bin.

Für mich war diese Erfahrung mit L eine richtige Bereicherung. Eine sexuelle Beziehung unter Freunden kann eine Weile die feste Beziehung ersetzen und ist in Zeiten von Corona eine Möglichkeit für Singles, trotzdem Sex zu haben und zu kuscheln. Dazu gehört aber ein verantwortungsvoller Umgang mit der Situation und gegenseitiger Respekt.

Wer also die Nestwärme einer festen Partnerschaft sucht, sollte lieber die Finger davon lassen.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

Autorin: Natascha Renner
Illustration: Marius Malarius

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