Neu in eine Stadt zu kommen, heißt auch, dass man mal wieder von vorne anfangen muss. Die Orientierung ist gleich null, die coolen Spots kennt man noch nicht und wo sind verdammt noch mal all die guten Freunde, mit denen das Leben so viel mehr Spaß macht? Ich hatte Glück, meine Freundin Lorena stellte mir einige Leute in Wien vor und so dauerte es nicht lange, bis ich mir einen stabilen Freundeskreis aufbauen konnte. Die WG, in der ich regelmäßig abhänge und deren Sofa ich gerne mal als Bett missbrauche, besteht aus drei Jungs und einem Girl. Noch bevor ich Lilly überhaupt erst kennenlernte, wurde mir erzählt, dass sie Influencerin ist. Das Bild, dass ich von Menschen hatte, die mit Selbstdarstellung ihr Geld verdienen, war meist nicht gut. Wenn man die Fotos betrachtet, die Lilian Hild auf ihrem Instagram-Account postet, hat man den Eindruck, dass die Stuttgarterin nicht viel anderes macht, als Restaurants zu besuchen und in schönen Kleidern zu posieren. Die 21-Jährige finanziert sich unter anderem damit, Fomo in ihren knapp 20 Tausend Abonnenten zu erzeugen, damit die Kleider und Beauty-Produkte ihrer Sponsoren kaufen. Jährlich geben Firmen Milliarden für Influencer-Marketing aus und der Boom geht weiter.
Aussagen wie „Influencer, das ist doch gar kein Beruf“, „Influencer verdienen ihr Geld mit Nichtstun“ und „Influencer drehen ihren Followern nur Produkte an, um sich selbst zu bereichern“, kennt jeder von uns nur all zu gut. Influencer müssen vor allem eines: Kritik einstecken und eine dicke Haut besitzen.
Durch meine Freundin Lilly habe ich gelernt, wie viel Arbeit hinter einem Posting steckt und das Influencer gar nicht so bescheuert sind, wie ich dachte. Im Gegenteil, sie ist sogar ziemlich cool. Als Influencerin besitzt sie zudem einige – ziemlich nützliche – Skills, um Fake von Realität unterscheiden zu können. Sie kennt all die Marketing-Tricks, für die manche Leute erst mal ein paar Jahre studieren müssen. Eine perfekte Grundlage, um später einmal einer erfolgreichen Zukunft in die Augen schauen zu können. Ich habe mit Lilly darüber gesprochen, was wirklich hinter ihrer starken Online-Präsenz steckt.
Jo Bro! Wie wird man eigentlich zum Instagram-Star?
Mit Nudes 😉
H-A-H-A! Und jetzt mal mit etwas mehr Ernst bitte.
Ich würde mich niemals als „Star“ bezeichnen (lacht). Mit vierzehn ging ich für ein halbes Jahr nach Argentinien. Dort habe ich damit angefangen, meine Erlebnisse mit Freunden auf Instagram zu teilen. Es war der einfachste Weg alle auf einmal am Laufenden zu halten, ohne, dass ich mit jedem einzeln in Kontakt stehen musste. Was auf Reisen manchmal sehr anstrengend sein kann. Seitdem entwickelte sich alles peu a peu. Mein Freundeskreis war schon immer sehr groß, deshalb hatte ich schon von Beginn an mehr Follower, als beispielsweise einige Freunde von mir. Irgendwann kamen immer mehr dazu, dann noch mehr.
Was bedeutet das Wort „Influencer“ für dich?
In meinen Augen ist ein Influencer jemand, – egal wer – der eine gewisse Reichweite hat und aufgrund dessen eine Menge Menschen erreicht, ganz unabhängig vom Themengebiet. Jemand, der dir etwas mit auf den Weg gibt und jemand, den man persönlich als ansprechend empfindet. Ein Influencer ist für mich so viel mehr als eine Person, die einfach nur eine große Followeranzahl besitzt.
Gefällt es dir, Influencerin zu sein?
Würdest du mich denn so bezeichnen?
Ja schon oder?
Ich sehe mich selbst nicht als Influencerin. Aber wenn man es so nimmt, gibt es ein paar echt nice Sachen, wie zum Beispiel Kooperationen – die von der Anzahl deiner Follower abhängig sind. Andererseits gibt es auch unschöne Seiten in dieser Welt.
Was denn so?
Das fängt mit dem Stempel an, der einem dadurch aufgedrückt wird: „Du bist ja Influencerin“. Dann gibt es da noch Fragen wie „Woher hast du all deine Follower?“. So was ist wirklich nervig. Ich glaube, wenn man mich kennt, merkt man recht schnell, dass mir Instagram nicht so wichtig ist.
True. Aber macht es dir eigentlich was aus, dass du mit deinen Posts eine materialistische Weltsicht förderst?
Fix! Die Sachen die ich feiere, teile ich auch gerne. Ich poste einfach jeden Tag so viel Trash. Da wäre zb. mein daily Vinoglas mit dem Slogan „Schmeckt schon wieder“. Teilweise fragen mich die Leute, ob ich schon Alkoholikerin bin. Aber no joke! Ich poste einfach das, was ich möchte und wofür ich stehe. Wenn man ständig am Überlegen ist, was denn nun „okay“ ist und was nicht, dann ist Instagram wahrscheinlich nicht der richtige Ort.
Ist es dir unangenehm, andere damit zu nerven, damit sie Fotos von dir machen?
Nö, mein Mitbewohner ist eigentlich Starfotograf. Am Ende des Tages sehe ich IG als eine Einnahmequelle. Weißt du eigentlich, wie viel Shit ich umsonst bekomme? Das ist so geil! Teilweise ist da aber auch so viel Trash dabei, das einfach nur im Internet geil aussieht. Und spätestens dann, wenn ich das Päckchen auspacke, weiß ich, dass das Zeug nur auf Insta gut aussieht. Da ist nichts dabei, was ich im echten Leben anziehen würde. Auf Fotos gerne, auf der Straße nicht so.
Und wer fotografiert dich noch?
Meine Mama wurde schon recht früh von mir eingeschult. Wenn sie Bilder von mir macht, sitzt meistens schon das Zweite. Außerdem wissen meine Leute, dass ich auf Insta unterwegs bin. Von daher war das noch nie ein Problem. Fotos schießen geht bei mir immer ziemlich schnell, zudem bin ich nicht besonders wählerisch – ich habe meine drei Posen drauf, fertig!
Posierst du im Alltag auch so seltsam wie auf deinen Bildern?
Try me 🙂 !
Für welche Inhalte schämst du dich heute?
Vielleicht die Drunk-Stories, die ich am nächsten Morgen noch schnell lösche.
Macht es dir Spaß, so viel von deinem Leben preiszugeben?
Ich denke eigentlich nicht so viel darüber nach. Und du so?
Same! Fuckt es dich ab, dass dich die Leute mit Nachrichten bombardieren?
Mal so mal so! Ich schreibe total gerne mit Leuten, die wissen wollen, woher ich bestimmte Kleidungsstücke herhabe. Aber auch mit Menschen, die sich für meinen Studiengang, Wien oder meine Buchempfehlungen interessieren. Typen, die mir obszöne Nachrichten schicken dann eher weniger.
Für welche Dinge musst du kein Geld ausgeben?
Ganz generell nehme ich nur Kooperationen an, die zu mir und meinem Account passen. Das heißt, alles in die Bereiche Fashion, Kleidung oder Make-up fällt. Für diese Dinge muss ich, sollte eine Kooperation zustande kommen, kein Geld ausgeben. Zu meinen Favoriten zählt Essengehen. Es gibt nichts, was mir mehr Spaß am „Influencersein“ macht, als mit Restaurants zu kooperieren und zusammen mit meinen Freunden neue, coole Hotspots auszuchecken.
Wie läuft Essen gehen dann ab?
In den meisten Fällen kontaktieren mich die Lokale direkt über die Instagram-Direkt-Nachricht und fragen, ob ich Lust habe, zusammen mit einer Begleitung bei ihnen vorbeizuschauen. Zudem gibt es noch eine App, die dir einen Deal aufgrund deiner Follower-Anzahl vorschlägt, wo du dann für eine bestimmte Summe essen gehen kannst.
Und was musst du dafür machen?
Im Gegenzug erwarten die Betreiber ein Storyposting mit einer Dauer von 15 Sekunden und die Markierung des Lokals. Ich gehe also ganz normal essen und bestelle das, worauf ich Lust habe. Am Ende zeige ich den Code vor, den ich von der App bekommen habe und kann somit für einen gewissen Betrag kostenlos essen. Wenn die Restaurants mich direkt einladen, werde ich bei meiner Ankunft an einen für mich reservierten Tisch gebracht, an dem jemand vor Ort ist, der dann schon Bescheid weiß, dass ich „Influencerin“ bin und nichts zahlen muss. Natürlich freut es mich auch, wenn am Ende alle zufrieden sind, da ich mir sehr viel Mühe dabei gebe, die Locations gut zu präsentieren.
Haben dich die Leute in deinem Umfeld anders behandelt, als deine Followerzahl gestiegen ist?
Die Leute, mit denen ich davor schon befreundet war keineswegs. Wenn ich neue Leute kennenlerne, habe ich meistens das Gefühl, dass sie sich anders verhalten. Da gibt es z. B. die, die es total cool finden und das auch ehrlich meinen. Dann gibt es noch diejenigen, die mich plötzlich belächeln, weil ich ja „Influencerin“ bin. Und dann gibt es noch die, die ganz plötzlich „Best Friends“ mit mir sein möchten und mich in all ihren Stories markieren.
Wie fühlst du dich dabei?
Ich finde so was immer schade. Nicht nur, weil ich dabei direkt als „Influencerin“ abgestempelt werde und sie nur aus diesem Grund mit mir abhängen wollen, sondern auch, weil solche Menschen eigentlich gar kein Interesse an mir und meiner Person haben. In meinen Augen sind das keine Freunde. In der Vergangenheit machte ich wirklich schlechte Erfahrungen damit. Ich ließ mich auf Freundschaften ein, so blöd wie das vielleicht auch klingen mag, am Ende fühlte ich mich einfach nur ausgenutzt. Ob es nun darum ging, mehr Follower zu erhalten oder aus einem anderen Grund war. Daraus zieht man dann seine Konsequenzen und wird wählerisch, mit wem man seine Zeit verbringen möchte.
Wer war der nervigste Abonnent, den du getroffen hast?
Hin und wieder sind mal ein paar dabei, die mich regelmäßig anschreiben und auch direkt eine Antwort von mir fordern. Oder einmal kommentierte einer mein Foto damit, dass meine Augenbrauen wie Autoreifen aussähen. Da dachte ich mir nur „Digga, kommst du eigentlich noch klar auf dein Leben?“.
Was für Nachrichten bekommst du noch so?
„Du bist hässlich“ – „deine Augenbrauen sehen scheiße aus“ – „Was hast du da im Gesicht“ – „Ist das ein Muttermal oder Nutella?“. Als ich noch jünger war, habe ich mir das sehr zu Herzen genommen. Mittlerweile kann ich das ganz gut trennen. Durch Instagram habe ich ein dickes Fell bekommen.
Macht dich dein Instagram-Account manchmal depressiv?
Ich würde es nicht depressiv nennen, aber es gibt Tage, an denen ich überhaupt keine Lust habe, mich online zu präsentieren. Da mache ich dann auch keine Storys oder Posts auf meinem Feed. Leider ist es dann oft auch so, dass ich gerade an solch „depressiven“ Tagen etwas für meine Kooperationen hochladen muss. Da ist es dann ganz nützlich, wenn man Stories schon mal vorbereitet, sodass man sich damit nicht mehr beschäftigen muss.
Woher kommen diese Tage, an denen du keine Insta-Lust verspürst?
Das kann ich dir nicht genau sagen. Ich weiß nur, dass es mir an manchen Tagen keine Freude bereitet. Manchmal sitzen die Fotos nicht, oder ich sehe, wie andere im Urlaub sind und ich gerade an meiner Bachelorarbeit sitze. Da vergeht mir dann einfach die Lust, mein Leben zu präsentieren. Oder ich bin einfach unterwegs und komme gar nicht erst dazu. Dann kommen oft so Fragen wie: „Hast du am Wochenende nichts gemacht?“, nur, weil ich einmal nichts gepostet habe. Ich, für meinen Teil, habe das akzeptiert und möchte mir da keinen Druck machen. Wenn ich keine Lust habe, dann habe ich eben keine Lust.
Und was machst du außer Selbstdarstellung?
Ich studiere Publizistik und Kommunikationswissenschaft im sechsten Semester, somit bin ich nun auch endlich im letzten angelangt. Vor drei Jahren zog ich aus Stuttgart weg, um in Wien zu studieren, und ich glaube, das war die beste Entscheidung, die ich bis jetzt getroffen habe. Im Oktober werde ich nach Barcelona ziehen und dort meinen Master in „Fashion Communication, Brand Management und Event Planning“machen.
Und sonst?
Ich lese super gerne, schnell und viel – am liebsten in der Sonne im Park. Meistens Romane, mittlerweile auch Thriller und Krimis. Ansonsten gehe ich noch ab und an ins Gym, wenn ich meine Familie besuche auch mal ganz gerne Golfen. Am liebsten gehe ich Kaffeetrinken und verbringe meine Zeit draußen an der Donau mit meinen Freunden. Mich trifft man immer mit guter Laune. Oft auch mit einem Spritzer, denn dazu kann ich leider nie Nein sagen, egal wie viel Uhr es gerade ist (lacht).
Letzte Frage: Schon mal Leute angebettelt, damit sie dir folgen?
Digga, ich schwöre mindestens 15-mal am Tag.
Schau doch mal bei Lilly vorbei, wenn du wissen willst, um welche Uhrzeit du dich nicht mehr dafür schämen musst, Vino zu öffnen:
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.