Noch 17 kleine Pillen. Noch 17 Tabletten und meine Aknenormin-Therapie ist vorbei. Vor ungefähr zehn Monaten schluckte ich die erste rote Kapsel, die mein Gesicht verändern sollte – und seitdem hat sich einiges getan. Mein letztes Update war, dass ich fast keine Nebenwirkungen habe. Ach, wie leicht es damals noch war. Das Einzige, was mich wirklich belastete, waren meine trockenen Lippen. Als sich die laue Sommerluft langsam in eisige Kälte verwandelte, meinten es auch die Tabletten nicht mehr so gut mit mir. Rissige Mundwinkel, brennende Augenlider und trockene Hautstellen waren nur die Spitze des Eisbergs.
Im Herbst letzten Jahres verschlimmerten sich meine Nebenwirkungen. Das Zusammenspiel der trockenen Heizungsluft, des kühlen Winds und der Tabletten ließ mein ganzes Gesicht austrocknen. Wenn ich aß, musste ich aufpassen, dass meine Lippen nicht noch weiter einreißen würden als sowieso schon. Täglich musste ich meine Augenlider mit Öl pflegen, weil sie rissig waren und brannten. Als wäre das nicht schon nervig (und schmerzhaft) genug, bekam ich an den zufälligsten Stellen am ganzen Körper extrem trockene Haut. Dadurch bekam ich wesentlich schneller Wunden sowie kleine Schnitte. Vor allem meine Hand sehen seitdem durchgehend malträtiert aus. Das daran anknüpfende Problem: diese Wunden heilen schlechter ab! Heißt also im Endeffekt, dass ich viele kleine Wunden am Körper habe, die dann zu vielen Narben werden und länger sichtbar sind als normalerweise. Top!
So viel zu den physischen Veränderungen. Bei meiner Psyche war das alles schwieriger zu erkennen. Zu Beginn der Behandlung habe ich keinerlei Veränderungen festgestellt und lange Zeit war ich weiterhin der Ansicht, dass sich nichts bei mir verändert hatte. Rückwirkend betrachtet, beeinflussten mich die kleinen Kapseln allerdings doch mehr, als ich es in dem Moment sehen konnte – und wollte. Seit ich im Mai 2020 mit der Aknenormin-Therapie angefangen habe, veränderte sich meine emotionale Stabilität. Ich habe stärkere Stimmungsschwankungen, komme teilweise schwieriger aus dem Bett und bin eher schlecht als gut gelaunt. Allerdings startete ich mit dem Medikament nur kurze Zeit, nachdem das Coronavirus auch in Deutschland ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens wurde, weswegen ich nicht zu 100 Prozent sicher sein kann, dass diese Nebenwirkungen von den Tabletten kommen. Sie stehen allerdings als mögliche – und häufige – Veränderungen auf dem Beipackzettel.
In 17 Tagen ist es soweit und ich muss diese kleinen Dinger nicht mehr schlucken. Worauf ich mich am meisten freue? Ich darf mich endlich wieder tätowieren lassen und kann mir meine Beine epilieren, ohne befürchten zu müssen, dass meine Haut aufreißt. Wenn ich mal einen Labello zu Hause vergesse, muss ich nicht mehr panisch darüber nachdenken, ob ich mir sicherheitshalber noch einen kaufen soll oder ob ich es drei Stunden ohne schaffe. Vielleicht wird meine Laune auch besser und stabiler.
Würde ich es trotzdem noch mal machen?
JA! Definitiv. Da muss ich nicht mal eine Sekunde drüber nachdenken. Meine Haut sah noch nie so gut aus. Das Einzige, was mich daran erinnert, dass Akne lange Zeit meine Begleiterin war, sind die blass-roten Narben in meinem Gesicht, aber damit komme ich klar. Allgemein fühle ich mich selbstbewusster als davor. Wenn ich das Haus verlasse, auch wenn es nur zum Müll rausbringen ist, verschwende ich keine Zeit mehr vorm Spiegel, um zu schauen, ob man meine Akne sieht. Wie oft fragte ich meinen Freund, ob „man die Pickel da schlimm sieht oder ob es noch geht“. Wie oft glaubte ich ihm nicht, wenn er mir sagte, dass es nicht auffällig ist. Meine Akne kontrollierte meine Gedanken. Es drehte sich fast alles um sie. Die Blicke anderer Menschen deutete ich sofort als Anstarren meiner Haut. Als angewidertes Anstarren.
Es wäre schön gewesen, wenn ich auch ohne das Medikament verstanden hätte, dass meine Akne mich nicht definiert. Wenn ich auch ohne die Pillen und mit meinen Hautunreinheiten realisiert hätte, dass ich schön bin. Das konnte ich aber nicht.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE / Bild: Anne

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Autor:innen
Seit 2020 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Kommunikationswissenschaften studiert und machte 2022 ihren Master in Journalismus. Themenschwerpunkte sind Gesellschaftspolitik, Mental Health und Musik.