Ich spaziere durch das verregnete Hamburg und genieße die frische, kühle, nasse Luft. Ich genieße das Alleinsein, das Alleine-durch-das-nasse-Hamburg-laufen. Zu zweit wäre es vielleicht genauso schön, wenn ich mit jemandem liefe, der dieses Hamburg genauso zu schätzen wisse, wie ich (obwohl ich jedes Hamburg zu schätzen weiß). Ich bin Single. Eine Schublade. Für die meisten eine traurige Schublade. Ich bin kein großer Fan von Schubladen. Ich meine, was sollen sie einem sagen? Auch wenn sich die Menschen mehrere Schubladen ausgedacht haben, gibt es doch eigentlich nur zwei: geschafft und nicht geschafft. Die Single-Schublade ist meistens die Nicht-geschafft-Schublade.
In den 1990er-Jahren war Hamburg Single-Hauptstadt Nummer eins. Auch heute noch hält sich Hamburg weit vorne im Ranking der Single-Hauptstädte (auch, wenn München und Hamburg sich da einen ziemlichen Kampf liefern). Ich war vor ein paar Tagen im hamburgischen Museum. Dort haben sie in dem Bereich „Hamburg des 20. Jahrhunderts“ eine Single-Wohnung aus den 1990ern nachgebaut und es wurde erklärt, dass es damals viele topverdienende Alleinstehende gab, die sich die leer stehenden und teuren Gewerbeflächen in zentraler Lage gemietet hatten.
Ich fand den Gedanken einer riesigen Fläche über den Dächern von Hamburg mit Dachterrasse (oder nur Dach) wunderschön. Wenn ich ehrlich bin, war das schon immer mein Traum. Ich glaube, ich fühle mich in meiner Single-Schublade oder in meiner Nicht-geschafft-Schublade sehr wohl. Es gibt viele tolle Dinge, die einen erwarten, wenn man alleine ist. Es gibt bestimmt auch tolle Dinge zu zweit, aber um ehrlich zu sein nicht für mich. Ich war natürlich nicht immer und durchgehend alleine, ich hatte Beziehungen: sehr leidenschaftliche, sehr leidenschaftslose, sehr ruhige oder auch sehr laute. Und so unterschiedlich sie auch waren, hatten sie doch alle immer eins gemeinsam: Es hat sich nie richtig angefühlt.
Und nun, seit zwei Jahren, gibt es kein Drama und kein Gefühlschaos mehr. Ich habe Space – Zeit und Raum, um mich um mich zu kümmern und das finde ich schön. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man nur auf sich achten muss und für sich sein darf. Ja, es ist auch einsam, aber meine Beziehungen waren es noch mehr. Natürlich bin ich mit meinem Dasein keine Ausnahme mehr oder eine Rebellin gegen heteronormative, monogame Beziehungsmodelle. Eigentlich bin ich wie alle, denn niemand möchte mehr so wirklich mit jemandem „richtig“ zusammen sein. Und das bringt mich zurück zu meinem ersten Satz: „… wenn ich mit jemandem liefe, der dieses Hamburg genauso zu schätzen wisse wie ich“.
Da fängt es nämlich meistens schon an. Ich bin ein sehr positiver Mensch und bin schnell von Menschen und Dingen begeistert. Ein verregneter Tag hält mich nur selten davon ab, die Stadt und den Tag trotzdem zu genießen. Was für mich also sehr, sehr schwer ist, ist Negativität. Letztens hatte ich ein Date, mit dem ich durch die Paul-Roosen-Straße gelaufen bin, einer der schönsten Straßen auf St. Pauli: wunderschöne Cafés, Läden, Restaurants und die Häuser sehen aus wie gemalt. Die ganze Straße sieht ein bisschen aus wie gemalt. Ich bin also mit meinem Date durch die Gegend gegangen und habe von meinen Eindrücken geschwärmt.
Und? Nichts! Einfach nichts. Er erzählte mir dann von seinem „scheiß“ Freitag und wie bescheuert alle bei der Arbeit seien, bla bla. Also: Du findest die Straße nicht schön, alles klar. Du siehst aber nur das Negative und regst dich die ganze Zeit nur über alles auf und versuchst noch nicht mal das Schöne zu sehen? Dann musst du leider wieder verschwinden. Denn: Ich und mein Wohlsein sind mir wichtiger als mit einer Person Zeit zu verbringen, die mir meinen Funk stiehlt.
Das heißt nicht, dass ich immer alles wunderschön und toll finde (das Date fand ich zum Beispiel gar nicht toll, obwohl das Konzert, auf dem wir vorher waren, sehr toll war und dafür hat sich das schlechte Date auf jeden Fall gelohnt), aber wenn man dann etwas scheiße findet, dann bitte zusammen so richtig scheiße. So wie ein befreundetes Paar von mir.
Beim Geburtsvorbereitungskurs sollten sie zum Ende der Stunde für zehn Minuten jeden Satz mit „Bis zur Geburt wünsche ich mir …“ beginnen. Beide fanden das so bescheuert, dass sie zehn Minuten nur lachen mussten: That’s love to me.
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass die Personen, die in einer glücklichen Beziehung sind, nicht das Gefühl haben, dass der*die Partner:in ihnen ihren Funk stiehlt – das ist nämlich das, was mein Date getan hat: Er hat mir meinen Funk gestohlen, meinen Spirit, mein Glücksgefühl im Bauch, in der Brust, in meinem ganzen Körper. Leider habe ich mir oft meinen Funk stehlen lassen und deshalb bin ich jetzt sehr vorsichtig mit meinem Funk.
Mein Funk entfaltet sich halt erst so richtig, wenn ich das tun kann, was mich so richtig glücklich macht: Durch meine Stadt spazieren, der Duft von nassem Laub, der Anblick unkonventioneller Streetart, Wasser, mit meinem lieben und witzigen Freund telefonieren, mit meiner liebsten Freundin schöne Dinge unternehmen und lachen, richtig schlechte Weihnachtsfilme mit meinem Sohn gucken und dann auch einfach mal chillen.
Und das Schönste daran ist: Ich kann es total alleine genießen oder mit jemandem, der es genauso zu schätzen weiß wie ich.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.
Foto: Anna Hobbiebrunken

Jetzt DIEVERPEILTE supporten und mit dieser geilen Autorin anstoßen!
Folgt Anna auf Instagram und uns auf Facebook, Instagram und Spotify.
Autor:innen
War bis Juli 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Geisteswissenschaften mit Fokus auf Indien an der Universität Hamburg studiert. Themenschwerpunkte sind Gesellschaftspolitik und feministische Themen.