Es gibt Menschen, die ihr Selbstvertrauen beim Sport finden. Es gibt Menschen, die ihr Selbstvertrauen beim Zeichnen finden. Beim Gitarre spielen. Beim Singen. Beim Tanzen. Im Unterricht. Und es gibt Menschen, die ihr Selbstvertrauen nicht finden. Nicht von alleine, nicht durch bestimmte Situationen. Im Gegenteil, meist sorgen die oben genannten Situationen eher dafür, dass das wenige vorhandene Selbstvertrauen sehr schnell wieder umkehrt und in die andere Richtung rennt.

So eine Person bin ich. Mein Selbstvertrauen und ich hatten nie eine harmonische Beziehung. Spätestens seit dem Kindergarten war mir klar, ich bin anders. Anders als viele der Kinder in meiner Gruppe. Und nicht so wie die Erzieherinnen. Anstatt in der Küche zu frühstücken, saß ich vor meinem Spind und aß Cornflakes aus der Tüte. Anstatt einfach die Apfelschnitzen, die die Erzieherinnen gerade geschnitten hatten, zu essen, wollte ich gerne die Schale auch noch ab. „Aber unter der Schale sind doch die meisten Vitamine!“. Ich habe also keine geschälten Äpfel bekommen – Äpfel habe ich dann aber trotzdem nicht gegessen. Im Nachhinein betrachtet, war diese Weigerung der Erzieherinnen zumindest für meine Vitaminwerte nicht die klügste. Die Abneigung gegen Apfelschalen hält sich übrigens bis heute.

Ich war also nicht unbedingt die Beliebteste, aber auch nie zu auffällig. Trotzdem mochte ich den Kindergarten nicht. Ich war lieber zu Hause im Garten und habe gespielt. Am liebsten alleine. Niemand, der auf die Idee gekommen wäre, sich selbst zu beißen und dann zu behaupten, ich wäre es gewesen (anders im Kindergarten – da konnte das schon mal vorkommen). Niemand, auf den ich mich zusätzlich konzentrieren musste. Ich weiß noch nicht, wofür ich dies hier schreibe, aber vielleicht gibt sich ja irgendwann ein Grund. Warum ich dies hier schreibe, hat aber sehr wohl einen Grund.

Ich war in meinem Kindergarten und wohl auch in meiner Grundschule die Einzige, die Probleme hatte, die lieber allein war, aber nicht auf dieser Welt. Es gibt so viele „Besondere Kinder“ – und das meine ich nicht wertend. Jede:r von uns ist einzigartig, – es gibt schlichtweg viel zu viele Kombinationsmöglichkeiten, als dass es Menschen mehrmals geben könnte.

Und dennoch gibt es Kinder, die mehr Probleme in dieser Welt haben als andere. Kinder, die zu Erwachsenen werden, die sich fühlen, als würden Sie diese Welt stören, die nicht in das System passen. Die sind wie der Sand im Getriebe. Die nicht in unser System von Krabbelgruppe – Kindergarten – Grundschule – weiterführende Schule passen. Die nicht mit vielen anderen zusammen lernen können. Die als verhaltensauffällig bezeichnet werden. Und sich dabei vielleicht nur benehmen wie jemand, der ein kleines bisschen weniger an unsere perfekte Welt angepasst ist. Jemand, der eben nicht fünf bis zehn Stunden ruhig in der Schule sitzen kann. Oder jemand, der nicht mit anderen spielen und umgehen möchte, sondern seine Zeit für sich braucht. Jemand, der nicht 9 to 5 arbeiten kann. Denen unser Staat doch vermeintlich so viele Möglichkeiten bietet. Denn hey – wir alle können doch grundsätzlich (fast) alles machen, was wir wollen. Vorausgesetzt, wir benehmen uns Ressourcen-schonend, was die Lehrkräfte angeht. Denn für eine Sonderbetreuung haben wir hier keine Leute, wir brauchen wenig Freizeit und tragen möglichst viel zum Wirtschaftswachstum bei. Manche Parteien hätten uns zusätzlich noch gerne mitteleuropäisch-weiß und heterosexuell.

Achja, und wir müssen ja zufrieden sein. Uns messen können mit dem Nachbarn von gegenüber, der schon wieder ein neues Auto hat, immer das breiteste Grinsen im Gesicht und zum zehnten Mal dieses Jahr in den Urlaub fliegt. Und immer die hübschesten Freundinnen mit den perfektesten Kurven im Arm hat? Denn wie wollen wir denn sonst glücklich sein? Wenn wir nicht alle zwei, drei Tage ein absolut perfektes Bild von unserem Essen posten, das nicht nach drei Stunden 10.000 Likes hat, am besten mehr. Ich meine, das mit dem Leben ist doch einfach, oder? Einfach. Einfach ist ein komisches Wort. Denn in einer Welt in der alles immer komplexer wird, in der Sachzusammenhänge immer schwerer zu erkennen sind und Menschen immer unehrlicher werden, gibt es nur noch wenig Einfaches.

Manche sagen, lieben sei einfach. Manche sagen, sobald man die richtige Person gefunden hat, würden sich keine Fragen mehr stellen. Mir stellt sich da die Frage, wie man denn bei einer stetig wachsenden Weltbevölkerung sicher sein kann, die richtige Person getroffen zu haben? Fast 9 Milliarden Menschen auf dieser Welt. 80.000.000 Menschen allein in Deutschland. Ich glaube, lieben ist nicht einfach. Ich glaube auch, leben ist nicht einfach.

Leben ist verdammt kompliziert. Und dennoch finden wir von Zeit zu Zeit Situationen und Menschen, mit denen alles einfacher wird. Mit denen die Wohnungssuche nicht mehr furchtbar und kompliziert und nervig ist, sondern ein Suchen und Finden von Raum. Raum für Ideen, für Freunde, für Gespräche in der Küche um drei Uhr nachts. Menschen, mit denen die Probleme für den Moment an Bedeutung und an Einfluss verlieren. Mit denen im Auto sitzen und Musik hören zur neuen Lieblingsbeschäftigung wird und neben denen man sein Leben verbringen will. Weil es ein bisschen einfacher ist, mit den richtigen Menschen an der Seite. Mit denen Suchen ein Finden wird, und eine Suche nach der Bedeutung des Lebens zu einer Reise durch die Gegenwart. Mit denen man nachts auf dem Balkon sitzt, leere Gläser und volle Herzen. Manchmal findet man diese Menschen, obwohl man nach etwas (jemand) anderem gesucht hat. Manchmal findet man diese Menschen, obwohl man gar nicht gesucht hat. Aber man findest diese Menschen. Und man findet sie immer zufällig. Und genauso bleibt das Leben. Eine Suche nach den schönen Zufällen. Nach den Dingen, die dafür sorgen, das Leben zusammen einfach zu leben. Auch wenn es furchtbar komplex und abgefahren und wahnsinnig ist.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

Autorin: Anne Weinberg
Illustration: @sophiecharlotte_w

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