WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von sexualisierter Gewalt.
Eine Frau hängt gefesselt von der Decke, im Keller werden Menschen ausgepeitscht. Wer zu Fetischpartys geht, ist in solchen Dingen scheinbar offener. Das dachte ich bei meinem ersten Besuch im „KitKat-Club“ und davon gehen wohl auch alle anderen Partygäst:innen aus. Was aber, wenn du im Fetischclub nicht angegrabscht werden willst und Mann dein Nein einfach überhört?
Ich gehe zu Fetischpartys. Ich trage Dessous, darüber einen Rock und dazu meine Doc Martens. Manchmal auch weniger. Die Menschen um mich herum tanzen zu harten Techno-Beats. Sie flirten, knutschen, haben Sex. Selten nur zu zweit. Der „KitKat-Club“ ist ein Fetisch- und Techno-Club in Berlin. Köpenicker- Ecke Brückenstraße. Sechs Minuten fußläufig von der Jannowitzbrücke. Dresscode: Fetisch, Lack und Leder, Uniform, kinky, stylish, Glitzer und Glamour, Kostüm und elegante Abendmode und bloß keine weißen Schuhe. Ein Mainfloor und mehrere kleinere. Eine Sauna, ein Pool und im Keller mehrere Arztliegen, auf denen sich Menschen auspeitschen lassen können. Sie stöhnen und ich sehe mich an ihrer Ekstase satt.

Fetischclubs richten sich an Menschen, die sich für Fetischmode, Bondage, Dominanz und Unterwerfung und/ oder Sadismus und Masochismus (BDSM) interessieren. Als ich im November 2021 zum ersten Mal ins „KitKat“ ging, ließ sich eine Frau fesseln, – so hing sie für mehrere Minuten über einem Podest, auf dem ich kurz zuvor noch mit meiner guten Freundin hemmungslos tanzte. An dem Abend sah ich Menschen zu, wie sie hedonistisch feierten und wusste: Das will ich auch. Nicht das Auspeitschen, nicht die Orgien zu Kontrabass-Klängen, aber schon die Freiheit, all das tun zu können, wenn ich es wollen würde.
Stichwort Freiheit – die hört dort auf, wo die Grenzen des Gegenübers anfangen. Auf der Website des Clubs heißt es: „Wer nicht Herr:in seiner Lage ist und damit als Kommunikationspartner:in ausscheidet (besoffen, verpeilt, Übergriffe à la Antatschen etc.) wird gnadenlos verabschiedet.“ Es gelten also die Spielregeln statt Ignoranz und ausschließlich selbstbezogenes Verhalten, Kommunikation und Konsens. Soweit so gut, nur gibt es im „KitKat“ scheinbar keine Strukturen, die dieses Awareness-Konzept durchsetzen. Awareness-Personal, an das ich mich bei sexuellen Übergriffen wenden könnte, habe ich dort nie ausmachen können. Eine Freundin aus meinem Bekanntenkreis bestätigt meine Wahrnehmung und fügt hinzu, sie könne sich vorstellen, dass viele weiblich gelesene Personen in speziell diesem Club Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen gemacht haben. Sie selbst habe einmal einen Mann wegtreten müssen, der sich anschließen wollte, als sie Sex mit jemand anderem hatte. Eine Bekannte ihrerseits wurde im „KitKat“ vergewaltigt, die Täter entkamen und es wurde Anklage gegen unbekannt gestellt. Und auch ich habe so meine Erfahrungen gemacht.
Bei meinem ersten Clubbesuch lief bei mir nichts. Aber das war mir auch nicht so wichtig. Ich wollte selbstbestimmt feiern gehen, mit so viel Kleidung am Leib, wie ich es für nötig erachtete. Ich fühlte mich schön in meinem Dessous, nippte an meinem Wasser und hielt Ausschau nach meiner guten Freundin, die mit einem fremden Mann rumknutschte. Ob er noch zurechnungsfähig war, konnte ich im Neonlicht schwer einschätzen. Weder ich noch sie hatten die Absicht, bei unserem ersten Besuch in einem Fetischclub intim mit anderen Menschen zu werden. Und als er sie immer fordernder küsste, lief ich auf sie zu und fragte sie, ob wir wieder tanzen wollen. Sie nickte und wir gingen ihm den restlichen Abend aus dem Weg.
Laut dem Hilfetelefon, einem Angebot des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, wird unter sexualisierter Gewalt „jegliche Form von Gewalt verstanden, die sich in sexuellen Übergriffen ausdrückt.“ Unter sexuellen Übergriffen verstehe ich jede Handlung in einem sexuell aufgeladenen Kontext, die von einer Partei nicht gewollt ist – auch und vor allem „Übergriffe á la Antatschen“. In einem Fetischclub wie dem „KitKat“ kann so etwas schnell passieren, weil die Menschen hier hedonistischer feiern als in anderen Techno-Clubs. Weil du von anderen noch wesentlich eher als potenzielle Sexualpartnerin (miss-)gelesen wirst. Weil du nicht viel trägst und weil du deshalb offen für Sex sein musst, wenn du dich dafür entschieden hast, gerade hier feiern zu gehen. Dieser Erwartungshaltung, mit der ich mich auch in meinem Freund:innenkreis konfrontiert sehe, wenn ich davon erzähle, dass ich gern Fetischpartys besuche, entspreche ich nicht, wenn ich ins „KitKat“ gehe. Sexualisierte Gewalt habe ich womöglich gerade wegen dieser mir entgegengebrachten Erwartungen erlebt. Weil andere davon ausgingen, dass es „schon okay“ wäre, wenn sie mich anfassen würden, weil: Was würde ich sonst in einem Fetischclub wollen?
Valide Zahlen, wie oft es in Berliner Clubs zu sexualisierter Gewalt kommt, lägen der Polizei Berlin leider nicht vor, so Pressesprecher Stefan Petersen-Schümann. Die Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin erfasste 2021 6650 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Aktuelle Zahlen gibt es bis zum Redaktionsschluss nur für den Bund. Die Dunkelziffer an sexuellen Übergriffen dürfte aber deutlich höher sein. Nur ein Prozent aller Sexualdelikte wurde 2020 zur Anzeige gebracht, wie in der Dunkelfeldstudie des Bundeskriminalamtes „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ aufgedeckt wurde. Auch ich habe geschwiegen. Weil ich diese Situationen nicht als das erkannt habe, was sie wirklich waren: sexuelle Übergriffe. Als ich im April 2022 wieder einmal im „KitKat“ war, wurde ich mehrfach von Menschen beim Tanzen gegen meinen Willen an bestimmten Körperstellen berührt. Ich hatte nicht viel an und den einen Mann habe ich geküsst. Doch weder das eine noch das andere gab ihm das Recht darauf, meine Brüste anzufassen und mit den Händen immer weiter abwärts zu gleiten. Ich schüttelte den Kopf und sagte, dass ich von ihm nicht angefasst werden möchte. Er tat so, als würde er wegen des Lärms nichts hören. Unter dem Vorwand, mir etwas zu trinken zu holen, flüchtete ich zur Bar. Später am Abend signalisierte ich einem anderen Mann mit meinem Blick anscheinend, dass er mich auch auf der Tanzfläche bedrängen soll. Der Mann, offensichtlich betrunken, ließ erst von mir ab, als meine Freund:innen einen Kreis um mich gebildet hatten.

Spätestens nach dieser Begegnung habe ich mich nackter gefühlt, als ich mir lieb war – und als ich tatsächlich war. In meinem Save-Space war ich plötzlich nicht sicher. Wo ich vor Stunden noch in der Anonymität aller Besucher:innen des Fetischclubs untertauchte, war ein ausgelassenes Tanzen in Dessous und Doc Martens nun nicht mehr möglich. Ich sah in jedem Mann einen Menschen, der mir bei einem falschen Blick zu nahe kommen könnte. Also heftete ich meine Augen auf den Boden und wir blieben nicht mehr lange. Und selbst als wir uns den Weg durch die feiernden Massen zum Ausgang bahnten, hielt ich nach allen Seiten Ausschau – aus Angst vor einem weiteren Übergriff. Dass ich heute in Bezug auf diese Vorfälle von sexualisierter Gewalt spreche, fühlt sich noch immer falsch an. Als würde ich die Sache unnötig dramatisieren. Ein Freund meinte vor Kurzem zu mir, dass es doch kein Wunder sei, dass mir solche Übergriffe in dem Schuppen passiert seien. Als wäre ich selbst schuld. Wahrscheinlich neige ich auch wegen solcher Kommentare eher dazu, das falsche Verhalten anderer zu dulden.
Beide Männer haben meine Grenzen nicht respektieren wollen. Ich hätte mich gern an das Club-Personal hinter der Bar gewandt, aber das wurde mir beim Einlass in den Club nicht als Option mitgeteilt, sodass ich mir dieser Möglichkeit nicht bewusst war. Gleichzeitig ging ich nicht davon aus, dass im Club Awareness-Mitarbeiter:innen unterwegs sein würden. Dieses Konzept lernte ich erst Monate später auf einem Sommerfest an meiner Universität kennen. Dort liefen geschulte Studierende in Warnwesten durch den Seminarraum, den die Fachschaft zu einer Tanzfläche umfunktioniert hatte.
Im Rahmen dieser Recherche habe ich mich an den Club gewandt. Die Betreiberin antwortete mir innerhalb von wenigen Tagen auf meine Anfrage. Kirsten Krüger möchte das Geschehene nicht relativieren, was passiert sei, ginge „natürlich gar nicht“. Aber: „In jedem Raum ist ein Security-Mitarbeiter, der auch als solcher erkennbar ist und an den sich jede:r jederzeit wenden kann“, sagt Krüger in ihrer Stellungnahme. Außerdem seien zwei Mitarbeiter in allen Räumen unterwegs, um zu schauen, ob alles in Ordnung sei. Ich war bislang dreimal im „KitKat“-Club feiern – von den Präventionsmaßnahmen, die der Club generell gegen sexuelle Belästigung unternimmt, erfahre ich erst während der Recherche. Menschen in Warnwesten habe ich dort noch nie gesehen. Weiterhin schreibt Krüger, dass jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter, ob an der Bar oder als Runner:in, jederzeit ansprechbar sei. Wie das in anderen Clubs ist, wisse sie nicht. „Bei uns ist das seit 29 Jahren Usus“, sagt sie und hält dieses Wissen auch für selbstverständlich. In einer späteren Mail räumte Krüger dann ein, dass neue Gäst:innen wohl nicht immer davon ausgehen würden.
Um weiterzubilden und innerhalb der Clublandschaft für Awareness zu sensibilisieren, hat sich Ende 2019 die Awareness Akademie gegründet. Sie unterstützt die Entwicklung diskriminierungssensibler Strukturen und begleitet Clubs dabei, vielfältige Räume selbst zu gestalten. „Angefangen hat alles 2017 mit Arbeitskreisen zu Awareness und Diversität innerhalb der Clubcommission. Damals drängten Themen wie der Umgang an den Clubtüren, aber auch sexualisierte Übergriffe gesellschaftlich sehr. Heute sind sie nicht weniger relevant, eher im Gegenteil“, sagt Katharin Ahrend, leitende Person der Akademie. Jede siebte (!) Frau hat im Laufe ihres Lebens strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt erlebt. Das sagt eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus 2014. Aktuelle Zahlen gibt es nicht.
Dass sexuelle Übergriffe auch bei einem Clubbesuch zur Tagesordnung gehören, lässt viele Berliner Betreiber:innen umdenken. Im „Mensch Meier“, einem Berliner Techno-Club an der Landsberger Allee, bekommt jede Person vor dem Besuch eine Einweisung zu Verhaltensweisen in unangenehmen Situationen. Wir mussten die eigene Wasserflasche nicht am Eingang abgeben und hätten so den eigenen Alkoholpegel kostenfrei wieder senken können, hätte sich eine:r von uns übernommen. Auch von der Partydroge GHB (auch bekannt als „Liquid Ecstacy“), die beruhigen, aber auch sexuell anregen kann, hat sich der Club distanziert. Das Bewusstsein, dass das drängende Themen sind, ist in der Berliner Partyszene generell gestiegen. Das sagt auch Ahrend. „Das Spektrum an Clubs, die unsere Angebote wahrnehmen, wird immer größer – wo uns früher eher Veranstaltende aus der linken Szene gebucht haben, sind heute – von groß bis klein, von etabliert bis neu eröffnet – viele Clubs daran interessiert.“ Welche Clubs sich an die Akademie wenden und deren Angebote wahrnehmen und welche eben nicht, dazu will Katharin Ahrend keine Auskunft geben. Die Akademie verpflichte sich zur Verschwiegenheit.
Worüber Ahrend Auskunft gibt: Die Workshops der Akademie sind recht schnell voll. Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl der Opfer, die sich aus der Not heraus an sie wenden: „Obwohl wir in erster Linie nur mit Veranstaltenden arbeiten, wenden sich immer wieder Opfer von Diskriminierung sowie Übergriffen an uns. Jene leiten wir dann an Hilfseinrichtungen weiter“, sagt die leitende Person der Awareness-Akademie. Es fehle eine generelle Anlaufstelle für Grenzüberschreitungen und diese zu sein, das könne die Clubkommission nicht leisten.

Im „KitKat“ will Kirsten Krüger nach dem Mailwechsel „in Zukunft ein Plakat mit diesen Informationen im Eingangsbereich aushängen“. Ob ich mit diesem einen Plakat an der Wand wieder in Dessous und Doc Martens dort feiern werde, weiß ich heute noch nicht. Aber ich bin mir sicher: Ein Plakat wird nicht reichen, um gegen sexualisierte Gewalt in Fetischclubs vorzugehen. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass die Spielregeln allen Partygäst:innen bekannt sind. Zumal die meisten Leute dort alkoholisiert oder bereits unter Drogeneinfluss ankommen. Das Wissen darüber, dass jede:r Mitarbeiter:in Ansprechperson sein kann, sollte nicht für selbstverständlich gehalten werden.
Viel eher, als dass sie späteren Opfern sagen, an wen sie sich nach sexuellen Übergriffen wenden müssen, sollten Menschen speziell in diesen Räumen vom Club-Personal für die Grenzen anderer sensibilisiert werden. Denn dass ich damals nichts gesagt habe, lag einerseits daran, dass mich niemand empowered hat, mich auch bei „milderen“ Übergriffen an das Personal zu wenden, egal wie eingespannt sie gerade in ihrer Tätigkeit sind. Andererseits habe ich auch geschwiegen, weil es da diesen Druck gab, im Fetischclub offener sein zu müssen. Der Druck, sexuell aktiv sein zu müssen. „Ich muss einen Scheiß“, hat meine gute Freundin gesagt, als wir zum ersten Mal ins „KitKat“ wollten und wegen ihrer weißen Schuhe fast nicht reingekommen wären. Am Eingang stand damals Kirsten Krüger. Sie selbst steht nach eigenen Angaben oft am Einlass und weise explizit darauf hin, an wen sich Menschen wenden könnten, vor allem wenn sie ihr extrem jung vorkämen beziehungsweise ganz alleine zum Feiern gekommen seien. Vielleicht hätte sie damals auch besser daran getan, uns das Awareness-Konzept des Clubs zu erklären, als sich über die weißen Schuhe meiner Freundin zu echauffieren.
Sicherlich ist das „KitKat“ eine Institution, die für andere Menschen bislang immer ein Save-Space war. Und auch ein Ort, an dem sie ihre Sexualität ausleben können, ohne dafür angefeindet zu werden. Das „KitKat“ sollte aber auch ein Save-Space für jene sein, die nur bedingt intim mit anderen Menschen werden möchten.
AUTORIN: ELLA STRÜBBE, FOTOS: MARIE KONRAD
Anmerkung der Redaktion: Dies ist ein Erfahrungsbericht und gilt mitnichten für alle Fetischclubs. Es geht hier um eine persönliche Perspektive, nicht um Pauschalisierung.

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Ich stelle nichts von dem Erfahrungsbericht in Frage. Möchte nur anmerken, dass ein sehr bekannter Veranstalter in der kinky Szene auf seiner Website schreibt: „Konsens ist key! Wir fahren eine 0-Grapscher*innen Toleranz. Wer andere ungefragt anfasst, fliegt ohne Vorwarnung raus.“ Auch dies kann ich ohne Überprüfung nicht in Frage stellen. Somit gehe ich erstmal davon aus, dass wenn ich einen Vorfall dem Personal melde, dass ein*e Grapscher*in ohne wenn und aber die Location sofort verlassen muss. Desweiteren wurde mir bislang aus meinem Freundes- oder Bekanntenkreis noch kein Übergriff berichtet, was selbstverständlich nicht repräsentativ ist.