Als ich an Weihnachten die beste Freundin meiner Mutter in Würzburg besuchte, die gleichzeitig auch die Patentante meines Bruders ist, hatte ich vor allem eine Intention: schnorren. Meine Mom zählt leider zu den Menschen, die regelmäßig ausmisten. All ihr geiles Zeug, das sie mal besaß, liegt jetzt bei irgendwelchen fremden Leuten rum. Also versuchte ich mein Glück mal bei jemanden, die eher zum Sammeln veranlagt ist. Mit Erfolg. Neben ziemlich schnicken Sonnenbrillen, konnte ich auch noch etwas Vintage-Kleidung abstauben. Alles aus den 80s. Doch das Beste waren die Fotos aus Angies wilden Zeiten. Irgendwo in all diesen Bildern entdeckte ich einen Teil von mir wieder. Und da kam mir die Idee, eine Fotostrecke zu machen. Etwas später dachte ich, dass es doch ganz lustig wäre, Angie zusammen mit meiner Mutter über ihre 80er zu befragen. Zwei Frauen, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Meine Mom, die immer auf der sicheren Seite schwimmt. Kein Risikomensch, stets auf ihre Gesundheit achtend und vorsichtig, dass ja die Nachbarn nichts mitbekommen. Und dann Angie, das komplette Gegenteil. Rebellisch, wild, verrückt und hat immer eine Kippe im Mund. Sobald ich mir eine Zigarette vor meiner Mutter anzünde, bekomme ich gleich einen vorwurfsvollen Blick zu spüren. Mittlerweile sind die beiden seit 38 Jahren befreundet. Ein paar kleine Überraschungen hatte jedoch auch meine Mom für mich auf Lager.
Wie war euer Lebensgefühl in den 80ern?
Angie: Freier. Es gab nicht so viele Regeln. Glaube ich zumindest.
Mama: Entspannt. Man hat sich keine Gedanken gemacht und war sorglos.
Wie wart ihr damals unterwegs?
Angie: So wie HEUTE.
Mama: Ich war zweimal verheiratet, also eher langweilig. Zwischenzeitlich verbrachte ich meine Zeit in Discos, Bars, auf Weinfesten oder im Biergarten.
Wie waren eure Freundschaften damals?
Angie: So wie HEUTE. Wenn man jung ist, sind Freundschaften oberflächlicher.
Mama: Ich denke, sie waren auch nicht groß anders als heute. Angie und ich lernten uns ’82 kennen. Man hatte aber viele oberflächliche Freundschaften.
Wie habt ihr eure Freizeit verbracht?
Angie: Kneipe, Feiern, Feiern, Feiern, Feiern, Feiern …
Mama: Disco, Biergarten oder Tee mit Freunden.
Ein prägender Moment aus deinen 80ern?
Angie: Das ganze Jahrzehnt war prägend. Besonders der Beginn meiner Karibikreisen.
Mama: Hochzeit, Geburt meiner ersten Tochter.
Wie würdet ihr die damalige Mode mit der heutigen vergleichen?
Angie: Geschmacklos. Obwohl, ich hatte eine Punk- Phase, das war in Ordnung.
Mama: Rüschen, Karottenhosen, breite Schulterpolster, Dauerwelle. Die Mode heute ist viel tragbarer.
Damals hattet ihr weder Internet, Smartphones, noch Social Media. Wie habt ihr euch beschäftigt und wie denkt ihr über heutige Generationen?
Angie: Wir haben uns getroffen und miteinander gesprochen und gefeiert von Mensch zu Mensch. Nicht wie heute, von Telefon zu Telefon. Ich halte nicht so viel von Social Media. Eigentlich halte ich gar nichts davon. Es bleibt ja nichts mehr geheim. Wenn ich früher etwas verplant war und mehrere Dates gleichzeitig hatte, konnte ich einen Massenunfall auf der Autobahn erfinden. So hatte ich immer eine Ausrede, warum ich nicht erschienen bin. Heute kann man ja alles googeln. Was für eine Kacke, ihr armen jungen Leute.
Mama: Man hat sich mit Freunden getroffen, Musik gehört oder ist ausgegangen. Heute ist vieles einfacher, aber auch oberflächlicher.
Welche Ängste hattet ihr damals?
Angie: „Hoffentlich gibt’s genug Kerle, die meinen Abend finanzieren“. Natürlich nur ein Scherz! 😉
Mama: Ich hatte keine Ängste, zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern…
Wie waren die Partys?
Angie: Exzessiv.
Mama: Lang und laut.
Wurden in den 80s viele Drogen genommen?
Angie: Ich glaube nicht so viele wie heute.
Mama: Es wurde viel gekifft.
Welche?
Angie: Gras und Koks.
Mama: Gras.
Verrückteste Drogenerfahrung?
Angie: Wahrscheinlich vergessen.
Mama: Gibt es keine.
Welche Musik habt ihr gefeiert und wie?
Angie: Zu Beginn der 80er die neue Deutsche Welle. Alle wollten aussehen wie Nena , Falco, Madonna, Bon Jovi, Depeche Mode, oder Police.
Mama: Madonna, Prince, Falco oder Michael Jackson.
Lieblingsplatte?
Angie: Keine oder alle, kann ich heute nicht mehr sagen.
Mama: „Purple Rain“ von Prince.
Hattet ihr Lieblingsschuppen?
Angie: Natürlich! Zu meinen zählen Airport, Rockpalast, Paramount und Nachtwächter.
Mama: Paramount und Mambo Chambo.
Wie war das Dating im Vergleich zu heute?
Angie: Man hat sich auf Partys oder in Kneipen kennengelernt. Wie ihr das heute macht, ist mir ein Rätsel.
Mama: Es gab kein Online-Dating, also hat mich sich einfach auf Weinfesten oder im Biergarten angesprochen.
Hat es damals jemanden interessiert, wenn man viele Männer hatte?
Angie: NATÜRLICH! Auch damals waren Frauen Flittchen
Mama: Meine Eltern. Die mussten aber nicht alles wissen.
Wildestes Sexabenteuer?
Angie: Auweia, da sag ich mal lieber nichts.
Mama: 1 Mann, 2 Frauen. 🙂
Was lief so im Fernsehen?
Angie: Fernsehen? Dafür hatte ich in dem Jahrzehnt echt keine Zeit. Aber ich glaube, auch damals kam um 20 Uhr die Tagesschau (lacht).
Mama: Schwarzwaldklinik, Disco und verschiedene Shows zur Unterhaltung.
Wie viele Kanäle gab es?
Angie: Keine Ahnung. So drei bis vier.
Mama: Es gab drei Kanäle. Das Kabelfernsehen kam erst später.
Welche Medien waren für euch interessant?
Angie: Meine wöchentliche Lektüre waren Stern und Spiegel.
Mama: TV und Radio.
Musiksendungen, die man so gefeiert hat?
Angie: Live aus der Grugahalle in Essen.
Mama: ZDF Hitparade, Disco.
Wart ihr politisch interessiert oder engagiert?
Angie: Ich war auf einigen Demos, wie beispielsweise „Bafög für alle“, „Atomkraft? Nein Danke“, „Rettet den Amazonas!“ usw.
Mama: Damals nicht.
Welchen Blick hattet ihr damals auf die Zukunft?
Angie: Die Zukunft war irgendwann, das Hier und Jetzt war wichtig. Zumindest für mich und so ist es auch jetzt noch!
Mama: Nicht so kritisch wie heute.
Ist Reisen heute einfacher im Vergleich zu damals durch FlixBus und Co?
Angie: Ach Quatsch. Auch damals ist man schon mit Interrail durch Europa oder per Anhalter dahin, wo man hin wollte. Und dann gab es auch noch die Mitfahrzentrale.
Mama: Es gab auch damals schon Busunternehmen, Bahn, Flieger oder ein Auto.
In den 80ern hat sich vieles regional abgespielt. Es war einfach überschaubarer und nicht so international wie heute. Wie siehst du das?
Angie: Stimmt, aber da ich es nur so kannte, war es auch okay so.
Mama: Ja, vielleicht ist das so. Aber das war mir nicht bewusst.
Angie, du warst in den 80ern oft in Köln unterwegs, warum?
Ein Freund studierte in Köln und durch ihn kamen noch einige dazu.
Inwiefern hat sich Würzburg von Köln unterschieden?
Ach durch alles! Die offenen, lebenslustigen Kölner gegen die engstirnigen, bigotten Würzburger. Da war mir manchmal die Welt hier zu klein.
Gibt es etwas, das ihr bereut?
Angie: NEIN!
Mama: Was ich bereue? Da gibt es sicher etwas, das verrate ich aber nicht! 😉
Ein Zitat, dass euch in Erinnerung geblieben ist?
Angie: „Betrunken fährst du besser als nüchtern“
Mama: „Brot für die Welt, Kuchen für mich! Gemeinsam sind wir unausstehlich.“
Leider hat es meine Mom verbummelt, Fotos von sich von meinem Großvater mitzunehmen. Sie dachte, es reicht, wenn sie die Bilder mit ihrem Handy abfotografiert … Daher gibt es nur dieses eine Bild von ihr und Angie.
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.