Ich nähe meine Kleidung aus Stoffresten.
Es gefällt mir nicht, aber etwas anderes habe ich nicht zur Hand. Die Muster passen nicht zusammen. Wie ein bunter Vogel fühle ich mich, der sich in seinem Habitat vertan hat und nun verirrt im Regen steht. Weit und breit kein Mensch, der meine Sprache spricht. Ich suche nach neuen schönen Stoffen, die zu mir passen, aber weiß nicht wen ich fragen soll. Wie soll mein Federkleid eigentlich aussehen?
Meine Nadeln sind abgenutzt und so laufe ich suchend durch ein Straßenlabyrinth. Eine Weile halte ich der Geschwindigkeit der anderen stand, doch meine Knochen ermüden und mein Körper fällt zurück in Schritttempo. Je langsamer ich werde, desto bewusster wird mir, dass es den anderen auch an Materialien zu fehlen scheint. Ich bin umgeben von unstimmigen bunten Federkleidern und ich frage mich, ob wir ein paar Stofffetzen tauschen könnten.
Ich beobachte:
Dünne rote Fäden hängen von oben herunter und schnüren sich kaum sichtbar um ihre Gelenke. Abwechselnd straffen und lockern sie sich – steuern die getriebenen Körper wie Marionetten. Sie scheinen es nicht zu bemerken. Ich versuche die vielen Gesichter zu entziffern. »Schuld«, lese ich. Wer ist Schuld? Die Buchstaben ziehen die Stirnen in tiefe Falten, und untermalen die Augen mit dunklen Ringen.
Ein Spiegel zieht an mir vorbei. Er spuckt mich auf mich selbst zurück. Ich sehe wie die anderen aus.
Ich fühle mich überladen von den vielen bunten Kleidern. Meine Augen sind gereizt. Ich möchte reden, in Wasserfällen mein Leid ausschütten, mich über jemandem ergießen. Aber ich bin erst wenigen begegnet, deren Fass groß genug ist, um all meine Tränen aufzufangen. Alle rollen ihre Fässer tonlos an mir vorbei. Ich tue es ihnen gleich.
Ich ziehe mich zurück und frage nach dem Sinn. Ziehe den Entschluss, dass es keinen gibt. Meine Ziele sind keine Ziele, sondern Zwecke, die einem anderen Zweck dienen – nicht notwendigerweise einem höheren. Wenn also alle Menschen nur Zwecke zum Zweck erfüllen, könnten wir uns vielleicht zusammentun. Ohne Ziel gibt es keinen Gewinner, oder?
Ich beschließe ein paar von ihnen zum Tee einzuladen. Alle bringen ihre Stoffkisten und Nadeln mit. Wir tauschen Stoffreste aus, nähen gemeinsam und waschen uns die Gesichter mit kaltem Wasser ab. Die Schriftzüge sind verwischt und der Spiegel lächelt uns zu.
Unsere Kleider sind jetzt schöner. Wir sollten das wiederholen.
Foto: Paula Schür

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