Als Fotograf reist Timo Knorr durch ganz Deutschland. Er fährt zu Besetzungen, fotografiert Gemeinschaften oder macht Soli-Projekte für Künstler:innen ohne Budget. Er fotografiert, weil er Menschen, die die Welt aktivistisch verbessern möchten, unterstützen will. Er fotografiert, weil er das Erzählen mancher Geschichten und Perspektiven für unerlässlich hält. Fotografien machen das Unsichtbare sichtbar. Und er fotografiert, weil er sich Veränderung wünscht.
Ein Anliegen, das er schon vor langer Zeit zu spüren begann, betrifft das Beschreiben seiner Depressionen. 2012 zieht Timo für ein Praktikum nach Köln. Er ist 19, als er bei seinen Eltern auszieht und die depressiven Verstimmungen beginnen. „Ich war so viele Tage im Jahr nicht in der Lage mich oder mein Umfeld zu spüren, dass ich alleine kaum noch klar kam“, erzählt er. Fünf weitere Jahre hielt der heute 29-Jährige so durch. Dann stellte er fest: „Ich brauche Hilfe“. Er beginnt eine erste Therapie. Die Diagnose: Dysthymie. Drei Jahre später wurden dann Depressionen, eine Angst- und Panikstörung diagnostiziert.
Depressive Störungen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Schätzungsweise 16 bis 20 von 100 Menschen erkranken irgendwann in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, ältere Menschen öfter als junge. Trotzdem bleiben psychische Erkrankungen ein Tabu. Eine Umfrage des Bundesarbeitsministeriums zeigt, dass nur die Hälfte der Menschen ihren Freund:innen von einer Diagnose erzählen würde. Auf der Arbeit würden höchstens 20 Prozent darüber sprechen, und auch nur mit ausgewählten Personen.
Als ich Timo frage, ob es ihm gut tue, über die Depressionen zu sprechen, antwortet er: „Hat es, ja“. Heute mache er dies aber nur noch selten und auch nur dann, wenn ihn jemand danach fragt. „Mittlerweile habe ich gelernt, wie ich mich von emotionalem Ballast lösen kann oder ich lasse ihn bei der Therapie“. Zwar sei dieser Zustand nicht immer gegeben und oftmals auch nicht so erfolgreich, wie er es sich wünsche, doch dafür habe er sich ein kleines Netzwerk aufgebaut, dass ihm Halt gibt, wenn es ihm schlecht geht. Auf Social Media beobachtet Timo, dass sich immer mehr Betroffene trauen, offen über ihre Krankheit zu reden – und mehr Akzeptanz für das Äußern von Bedürfnissen einfordern. „Der Austausch mit Betroffenen lässt es zu, dass ich mich nicht mehr für meine Stimmungsschwankungen oder andere Symptome rechtfertigen muss“, erzählt er. Dadurch fühle er sich weniger alleine. „Es ist viel normaler geworden, einen Termin abzusagen, weil ich aufgrund meiner depressiven Phasen keine Kapazitäten dafür habe“.
Aber wie beschreibt man etwas, das man nicht sehen kann? Das ist eine Frage, die den Hamburger viele Jahre beschäftigte. Und dann kam der zweite Corona-Lockdown. Timo beginnt, sich während seiner depressiven Phasen zu fotografieren. „Das Selbstporträt war zunächst ein Versuch, später ein gutes Mittel, um mich in den Fokus zu nehmen und nicht nur mit symbolischen Bildern zu arbeiten“, sagt er. Das Ergebnis: „Good Vibes Only“. Eine Fotoserie, die die psychische Erkrankung aus der Unsichtbarkeit holen soll – um gewisse Gedanken aus dem System zu bekommen und auch anderen das Gefühl des Alleinseins zu nehmen.












Anmerkung der Redaktion: Geht es dir über Wochen hinweg psychisch schlecht? Die Telefonseelsorge ist eine erste Anlaufstelle (0800 111 01 11). Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kannst du Psychotherapeut:innen in deiner Nähe finden oder per Telefon (116 117) einen Termin vereinbaren lassen.
Weitere Arbeiten von Timo findest du auf seiner Homepage. Du kannst ihm auch auf Instagram folgen.

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.