Unfreiheit ist für mich, so viel sein zu müssen. Ich bin eine Gefangene in meinem eigenen Wunschkorsett. Klingt dramatisch, ist aber eigentlich ganz lustig…
Ich lebe in einer freien Gesellschaft, ich habe Privilegien, Wege und Dachschrägen. Ich habe schon mal versucht Tänzerin, Schwester, Malerin, Sängerin, Freundin, Gitarristin, Affäre und Hausfrau zu sein. Wenn du das hier liest, weißt du, was ich als nächstes sein möchte.
Ich bin nicht frei.
Beim Duschen stoße ich mit dem Kopf gegen eine Schräge, wenn ich fröhlich singend meine Haare shampooniere. Dabei bin ich gerade mal 1,70 Meter groß. Eigentlich zu klein und gleichzeitig zu groß. Aber die Balken an der Decke sind so ziemlich Instagram-like. Ich bin nicht frei, weil ich unbedingt ausprobieren will, wie es ist, joggen zu gehen. Ich gehe nicht joggen. Ich gehe nicht joggen, weil ich Angst habe, dass mich Menschen sehen. Menschen, die heute alle nur das Haus verlassen haben, um mich zu sehen. Menschen, die mich kennen und die wissen, dass meine Oberschenkel früher einmal nicht aneinander geklatscht sind. Menschen, die einen fragen, was man seit dem Abi so nices getrieben hat.
Sieben Jahre. Sieben verdammte Jahre.
Freiheit war für mich, wilde Wünsche zu haben. Ich hatte Wünsche und Menschen, die mir beim Erfüllen zur Seite standen. Zumindest haben sie ziemlich gut dabei ausgesehen. Beim mir helfen, anders zu sein. Als ich von der Polizei eingesammelt wurde, sind sie dann abgehauen. Jetzt ist von diesen Vor-sieben-Jahren-Menschen niemand mehr da. Niemand, der mich kennt, so wie ich bin.
Ich traue mich nicht, alleine in den Supermarkt zu gehen.
Ich finde immer einen Weg, wie man Reis und Nudeln in einer anderen Version sin todo zubereiten kann. Ich will nicht, dass sie mich anschauen. Ich versuche möglichst elegant meine EC-Karte zu zücken.
Bin ich normal?
Ich muss Paprika und Tomaten in meinen Einkaufskorb legen, damit ich so bin wie sie. Ich hasse Tomaten und jedes Mal liegen sie in meinem Kühlschrank rum und werden nass. Jede Wegwerf-Tomate ist ein Stück meiner Freiheit, die ihnen feuchtfröhlich in den Müll folgt. Aber ich habe jetzt einen Biomüll. Weil alle haben einen Biomüll. So bin ich ein Stück von ihnen. Ein Stück von den Guten, wenn ich den braunen statt den schwarzen Deckel öffne. Von denjenigen, die jetzt ihr Medizinstudium beendet haben, #nowaste produzieren oder gerade Mutter geworden sind. Diejenigen, die immer noch ihre Clique haben und fancy Grillabende und Barnächte posten. Und ich bin Vegetarierin, esse aber Käse von unglücklichen Kühen. Ich mache Yoga, um meine Mitte zu finden, aber es gibt einfach keine, sondern nur Kopfschmerzen. Ich höre drei Stunden Politik-Podcasts, von denen ich am Abend nichts mehr weiß.
Dafür habe ich kein Netflix. Ich kann auch so faul sein.
Ich will erfolgreich und begabt sein (wenigstens ganz kurz), während mein Uterus mich jeden Tag anfleht, endlich ein kleines Stupsnäschen streicheln zu können. Eine kleine bessere Version von mir. Während ich so sein will, wie wer auch immer (oder der Fötus es irgendwann werden kann), schmücke ich meinen Lebenslauf.
Es ist ein Runway. Zuschauer:innen gibt es nicht. Zumindest nicht hier – aber dort draußen. Während ich Zeugnisse sammle, ächzt auf meinem Bücherregal die Last ziemlich schlauer Bücher, die keiner sieht außer mein Staublappen und die nervtötenden Lehramtsstudent:innen aus dem nächsten Zoom-Meeting. Mein Hintergrund ist gut geschmückt.
»Du musst unbedingt mehr lesen. Früher hast du vier Bücher in einer Woche gelesen.«
Früher war halt Freiheit. Also nicht in echt, aber das Spiel war schön. 25 Jahre und mein Kopf ist immer noch kein rundes Hilfsmittel, in dem die Gedanken kreisen, sondern ein Pingpong-Spiel, mit Wein statt Bier. Jedes Mal wenn ein kluger Gedanke sich losreißt, um aus der Bahn zu schießen, schlägt er mir ins Gesicht.
Es ist ein immer wiederkehrendes, nett gemeintes Streicheln: »Lass gut sein.«
Wenigstens hat es einmal kurz gefunkelt. Ich sammle die Glitzer-Bälle in der Restmülltonne, die jetzt wesentlich leerer ist als früher. Wenn sie voll ist, weiß ich, dass es Zeit ist. Dann bringe ich den Müll einfach runter. My daily dose of sunshine. Freiheit ist, nicht mehr das zu sein, was ich sein möchte. Ich denke, das möchten die anderen. Also die, die eigentlich gar nicht mehr da sind. Ich möchte sein, was ich nicht kann.
Vermisst mich jemand?
Und während ich vom Sein und Wein spreche – wohl das Beste was ich kann – erinnert mich eine Push-Benachrichtigung daran, offene Word-Dokumente zu schließen:
Lebenslauf_01 – Lebenslauf_Endversion – Lebenslauf_Freiheit.
Fürs achte Jahr. Fürs achte Jahr, in dem ein Looping auf den nächsten folgt, Bälle ins Gesicht schlagen und Tomaten vergammeln. Wein landet bei mir nach der halben Flasche im Abfluss. Ich könnte ja Alkoholikerin werden und außerdem kann ich nach zwei Gläsern Wein kein Yoga mehr machen, obwohl ich den Sport-BH schon anhabe. Wenn wir schon über Tomaten und Sport reden: Sollte ich mir jemals beim Dönermann um die Ecke einen vegetarischen Döner mit richtig echtem Kuhmilchkäse holen, dann ohne Tomaten.
Weil ich es kann. Weil ich frei entscheiden kann. Also entscheide ich mich gegen den Veggi-Döner. Der alte Mann, der an der Glasscheibe vorbei geht, würde denken, dass junge Frauen nicht mal mehr kochen können. Die 1,80 Meter große Nike-Taschen-Besitzerin würde von meinem Doppelkinn Albträume kriegen und die Gruppe von Jugendlichen am Tisch in der Ecke würde mich bemitleiden, dass ich mit 25 Jahren alleine bin. Mitleid dafür, dass ich so frei bin, mir alleine einen Döner kaufen zu können.
Nein danke. So viel Freiheit ist mir dann auch zu viel.
Ich bleibe bei meinen Nudeln mit Reis in meiner Freiheit von Schrägen.
Lebenslauf_Endversion1.0.
Autorin: Alina Franke
Illustration: Hanna Vortmüller
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

Jetzt DIEVERPEILTE supporten und mit dieser geilen Autorin anstoßen!
Folgt uns auf Facebook, Instagram und Spotify.
Autor:innen
DIEVERPEILTE ist eine Redaktion von Journalist:innen und Nichtjournalist:innen, die bei uns oder als Gastautor:innen arbeiten. Alle eint, dass sie guten jungen Journalismus machen wollen. Wenn du uns einen Text anbieten willst: info@dieverpeilte.de
Wahre Worte! Ich kann mit 10 Jahren mehr auf den Schultern leider nicht sagen, dass es besser wird, aber man lernt immer mehr es zu akzeptieren. D.h. tatsächlich auch, dass das Gefühl glücklich zu sein immer seltener wird…
Schöner Artikel! Ich würde gerne mehr von Ihnen lesen. VG vom U. Meer