… CLIMATE JUSTICE! Ein Erlebnisbericht einer Fridays for Future-Fahrraddemo

Wir sind in einer exemplarischen Stadt – Kiel. Am 25. September 2020. Ein Tag, an dem die junge Klimaschutzbewegung zum globalen Klimastreik aufruft. Für die Fridays for Future Demonstrant*innen – kurz und keck „Fridays“ genannt – ist es der sechste solcher Tage, in diesem Jahr der zweite. Der erste war geplant für den 24. April, der in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie digitalisiert wurde. Aktivist*innen und Supporter*innen konnten über #netzstreikfürsklima Bilder von ihren selbsterstellten Postern hochladen und preisgeben, was sie sonst noch zu sagen hatten.

Der zweite globale Klimastreik sollte nun wieder analog stattfinden. Mit Abstand und Maske. Und auf Fahrrädern. Ab 14 Uhr füllt sich der Marktplatz mit Menschen, die aus allen möglichen Ecken der Stadt kommen. Dadurch, dass alle ihre Fahrräder dabeihaben, wirkt es noch voller als bei den Demos des letzten Jahres. Die Menschen, die die Masse bilden, sind junge und alte, Schüler*innen und Student*innen, hippe Familien mit Kindern in Anhängern und Lastenrädern, ein paar kleine Stöpsel in neongelben Westen auf winzigen bunten Fahrrädern, Omis und Opis, die ihre E-Bikes mit aussagekräftigen Postern behängt haben. Die Masse ist bunt: sogenannte Hippies und Ökos neben Nike-Rucksäcken und Addidas-Schuhen, der BUND-Naturschützer neben Punks, Regenbogenflaggen, Greenpeace-Flaggen, Seebrücke-Flaggen. Alle machen mit, denn es geht alle etwas an.

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Foto: Chichi aus Prinzip

IN DEN STARTLÖCHERN

Ich stehe mit einer Freundin auf dem Platz, relativ weit entfernt von den Lautsprechern, durch die die Reden von unterschiedlichen Akteur*innen schallen. Um uns herum murmeln Stimmen. Wir verstehen kein Wort. Weder der Redner*innen noch des Gemurmels. Dann Aufruhr: wirres Klingeln, Klimpern, Läuten, Schellen. Wir machen mit. Wofür? Wissen wir nicht. Aber bestimmt was Gutes, denn die erste Rednerin hat ihre Rede beendet. Wir lernen: Klingeln ersetzt den Applaus. Alles klar, originell! Dann hallt die bekannte Stimme Freddy Mercury’s zu uns hinüber „Biiiicycle, biiicycle, biiicycle, I want to ride my biiicycle“.

Anschließend wird der Ablauf erklärt. Super kompliziert mit unterschiedlichen Blöcken, die sich dann irgendwann wieder alle irgendwo treffen. Zu ermüdend hier ins Detail zu gehen. Der erste Fahrrad-Protest-Block zieht los, während die Seebrücke eine Rede hält, von der wir doch ein paar Fetzen mitbekommen. Es wird auf den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration aufmerksam gemacht. Klingt logisch: Der globale Süden werde jetzt schon durch den globalen Norden ausgebeutet und mit Umweltschäden zurückgelassen. Ändert sich nichts, haben Menschen einfach irgendwann keinen Bock und auch schlicht keine Möglichkeit mehr, in ihren Ländern zu wohnen, und machen sich auf gen Norden. Verständlich und eine logische Konsequenz, doch leider sind Geflüchtete, die an den europäischen Außengrenzen feststecken, schon jetzt nichts Wert in der Welt der Politik. Der Redner ruft die abschließenden Worte „What do we want?“. Die Menge brüllt zurück: „CLIMATE JUSTICE!“. „When do we want it?”. „NOW!”. Und er füge noch hinzu: “Where do we want it? – Globally!”. Danke und Tschüss, wildes Klingeln, Klatschen, Jubeln.

Dann wieder Musik: “Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Wir reihen uns in diesem Zuge in den als nächstes startenden Block ein. Wie bei Mario-Card stehen wir aufgereiht bereit zum Gas geben und warten auf den Schuss! Der bleibt zwar aus, aber als sich die Polizei in der Pole- Position in Bewegung setzt, wissen alle: jetzt geht’s los.

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Foto: Chichi aus Prinzip

RADELN FÜR’S KLIMA

Ein etwas wirr wirkender Typ transportiert in seinem grünen Lastenrad einen riesigen Lautsprecher, aus dem weiterhin Musik tönt und durch den er zwischendurch Dinge brüllt, die die Menge anheizen sollen. Weil ich schon bei ein paar anderen Demos dabei war, muss ich sagen, dieser Part klappt diesmal eher schlecht als recht. Auf den Vordermensch achten, Lenken, in die Pedalen treten, Klingeln (!) – die ganze Zeit wird geklingelt, sodass mein Daumen schon nach dem ersten Kilometer wehtut – scheint die meisten schon ausreichend zu fordern. Und dann ist da noch die Maske, durch die das Zurück-Brüllen eh gedämpft wäre. Aber Maske absetzen ist nicht, denn damit würden falsche Signale gesendet werden (#querdenken711 und so…). Das haben die Fridays ausdrücklich angekündigt und es halten sich alle daran.

Wir radeln also in einem der sechs Blöcke mit insgesamt 6000 Menschen durch die Stadt. Und schon nach fünf Minuten merke ich: Wir stören! Hinter uns, rechts und links in den Seitenstraßen stauen sich die Autos. Manche haben ihre Fenster geöffnet, sind wahrscheinlich auch genervt, doch lächeln und winken uns zu – wir klingeln wild zurück. Andere haben ihre Fenster geschlossen, starren nach vorne, sind am Handy, sind gestresst und richtig doll genervt. Ob bei denen ein Bewusstsein für den Umweltschutz einsetzt? Ich glaube, viele werden sich in Kürze trotzdem einen neuen SUV zulegen…

Nach einer Weile stehen auch wir im Stau, doch sind dabei entspannt: Zeit für eine Trinkpause. Wartezeitvertreibend trällert ein Alt-68er (just guessing) ein Anti- Kohlekraft-Song durch das Mikro des Typen mit dem grünen Lastenrad. „Wir wollen leben, wir wollen Freude, wir wollen Zukunft mit grüner Energie“. Klatschen im Takt, Schunkeln – es wird ein Lebensgefühl geweckt, dass ich von den Dorffeten meiner Jugend kenne. Hach, ist das schön!

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Foto: Chichi aus Prinzip

BUNDESSTRASSEN-EROBERUG

Irgendwann kommt die Durchsage, dass nun alle sechs Blöcke vereint seien und es gleich weiter gehe. Wir müssen nur noch warten bis die Polizei die Schnellstraße für uns abgesperrt hat! Das find ich toll, mit dem Fahrrad auf die Schnellstraße – a once- in-a-lifetime-experience (für mich in dem Moment zumindest). Um mal unter anderen Leuten zu sein, pese ich ein Stück an der Kolonne vorbei. In der Nähe eines Gefährts mit Solarpanel-Lautsprecher-Fahrradanhänger-Konstrukt passe ich mich der Geschwindigkeit wieder an. Szenenwechsel: Aus der Box dröhnen feinste Techno- Bässe. Da bin ich wieder bei dem Lebensgefühl meines jetzigen Ichs angekommen.

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Foto: Chichi aus Prinzip

Wir radeln weiter und verlassen die Bundesstraße an einer Ausfahrt, um sie bei der entsprechenden Auffahrt wieder in die Gegenrichtung zu befahren. Jetzt wird mir die Massigkeit der Masse bewusst. Nicht enden wollend kommen mir meine Mitstreiter*innen entgegen. Wobei mir auch noch mal die Heterogenität der Gruppe bewusst wird. Ich bin ganz euphorisiert und freue mich über diese Erfahrung. Ein Blick auf die Uhr lässt mich allerdings den Zug bei der nächsten Gelegenheit verlassen. Zweieinhalb Stunden dauerte meine Radtour. Ich hatte nicht damit gerechnet und hatte noch einen Termin. Bei meiner Rückreise durch die Innenstadt fielen mir aber dafür weitere Rückstaus auf. Ich weiß, dass einige Menschen der Wissenschaft in puncto Klimawandel nicht glauben wollen. So weiß ich auch, dass der/die ein oder andere Autofahrer*in den Kollegen der Familie, den Freund*innen berichten wird, wie ätzend diese Ökos wären und sich aufregen wird, dass die Jugendlichen doch nur Schule schwänzen wollten.

Doch weiß ich auch, dass so oder so ein Diskurs stattfinden wird. Das Thema schläft nicht ein. Es bekommt seine Aufmerksamkeit und Politiker*innen müssen sich damit beschäftigen. Laut den Berichten der Bewegung waren am 25. September 2020 über 200.000 Menschen in Deutschland in über 450 Städten auf der Straße – trotz Corona. Weltweit gab es den Berichten zufolge 3.211 Aktionen.

Mein Fazit der Demo: Es macht Spaß! So eine große Menge an so vielen unterschiedlichen Menschen und Personengruppen vereint auf den Straßen zu sehen und zu wissen, dass alle einen bewussten Umgang mit unserer Erde und all ihren Ressourcen anstreben, verursacht Glückgefühle. Endorphine und Serotonine halten uns bekanntlich gesund! Eine „Fridays for Future“-Demo wird daher von mir und bestimmt von allen Ärzten empfohlen. Die nächste Demo kommt bestimmt, also alle hin da!

fridaysforfuture.de

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One Comment on “Fridays for Future: Wir klingeln für mehr Klimaschutz”

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