WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von sexualisierter Gewalt, selbstverletzendem Verhalten und Alkoholmissbrauch.   

Ich bin 23 und mitten in der Prüfungsphase, als mein Freund zu mir sagt: „Ich glaube, es ist besser, wenn wir das mit uns beenden“, er wolle keine Fernbeziehung, sollte ich in einem Jahr wegziehen und „Wenn es jetzt nicht funktioniert, dann soll es nicht sein.“ Wir waren ein Jahr zusammen und das was er nicht in der Beziehung sah, habe ich dafür doppelt und dreifach gesehen.  

Einen Monat später swipe ich mich in Berlin durch den Spätsommer. Ich war auf der Suche nach körperlicher Nähe. Nach Intimität. Nach Sex. Nach Gefühlen. Ich habe gematched, mich verabredet und gedatet. Viele Treffen waren enttäuschend und ich wusste nicht genau warum. Ich konnte das alles nicht ganz einordnen. Manchmal ist ein Date gut gelaufen, allerdings immer nur für eine Nacht.

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Toni Mon Ende März in Berlin. Alle Fotos: Jenna Dallwitz

Auf dem Rückweg eines sehr kurzen Treffens mit jemandem, der mir erzählte, wie sehr er die CDU mag, sprach mich der – von mir so betitelte – „Jogger-Typ“ an. Ich habe nicht gezögert und mich darüber gefreut. Viel zu glücklich lief ich den restlichen Weg zu meinen Freund:innen. Eine Woche später habe ich mich mit ihm getroffen. Wir haben uns gut verstanden. Er war lustig und nett und es hat einfach gevibed. Später hatten wir Sex. Es hat nicht lange gedauert, da hatte er schon das Kondom abgenommen, damit er auf mir kommen kann.  Ich war überrascht und meinte zu ihm, er solle bitte das nächste Mal vorher fragen, ob ich das auch will. Schlecht gelaunt ging ich nach Hause. Mit ihm werde ich mich nicht mehr treffen. Ich wollte doch nur mal wieder Nähe fühlen. Von jemandem gewollt werden. Doch das Sperma eines 22-Jährigen auf meinem Bauch gab mir absolut nicht das Gefühl, gewollt zu sein.

Ein paar Verabredungen später lernte ich M. kennen. M. hat mir einen Super-Like  gegeben und hatte kein Bild, auf dem ich sein Gesicht erkennen konnte, aber ich dachte mir:  „Was soll’s! Wenn es nicht funkt, dann gehe ich halt wieder.“ Als ich am verabredeten Ort ankam habe ich mir gewünscht, dass der Mann, der dort wartete, nicht Tinder-M. ist. Aber guess what? Er war es. Zunächst habe ich nur aus Höflichkeit ein Bier mit ihm getrunken, mich daraufhin aber erstaunlich gut mit ihm verstanden. Er fragte, ob wir noch eins trinken wollen und ich sagte ihm ehrlich, dass wir uns gern weiter freundschaftlich treffen können, aber das nicht mehr zwischen uns laufen wird. Er willigte ein. Wir sind durch den Friedi (Volkspark Friedrichshain) gelaufen, haben Bier getrunken, uns über das Dating-Leben ausgetauscht und viel gelacht. Verabschiedet haben wir uns mit der Idee, einen weiteren lustigen Abend zu verbringen. Auf dem Weg nach Hause, war ich zufrieden. Es war schön eine neue Person kennenzulernen und sich auch ohne sexuelle Anziehung gut zu verstehen.

Zwischendurch musste ich immer wieder an meinen Ex-Freund denken und verstehe noch immer nicht, warum er mich nicht mehr wollte. Es war doch so schön zwischen uns. Warum habe ich nicht gesehen, dass er sich nie ernsthaft auf unsere Beziehung eingelassen hat?  

Dann habe ich F. getroffen. Ihn habe ich über Bumble kennengelernt. F. fand ich attraktiv, interessant und aufregend. Nur ein paar seiner Storys, die er erzählt hat, waren komisch: Seine Therapeutin hätte so doll auf ihn gestanden, da konnte er nicht bleiben; er fühle sich wie ein laufender Dildo, alle Frauen würden immer nur mit ihm schlafen wollen, deshalb habe er keinen Sex beim ersten Date. Wirklich abgekauft habe ich ihm das nicht, aber es war mir egal.  Mir hat gefallen, dass ich ihm gefallen habe. Wenn er mich angeschaut hat, hatte ich ein Bauchkribbeln, und genau das wollte ich die ganze Zeit haben. Als ich ihn fragte, ob er noch mit zu mir kommt, hat er keine Sekunde gezögert. Auf dem Weg haben wir noch zwei Flaschen Wein gekauft. 

Ich habe getrunken. Viel. Wie bei jedem meiner Dates. Später haben wir uns geküsst und ausgezogen. Als er über mir war, ist er einfach ohne Kondom in mich eingedrungen. Ich war überrascht, wollte das nicht und wusste nicht, was ich tun sollte. Ganz perplex meinte ich nur: „…Kondom.“ Er hat weitergemacht, als ob er mich nicht gehört hätte – bis ich nochmal gepresst „Kondom“ gesagt habe. Dann war er ganz überrascht, er wisse nicht was über ihn gekommen sei. Er hätte keine Kondome dabei, meinte er, um dann klarzustellen: „Blöd, dass deine nicht latexfrei sind.“ Ich lag überfordert da, war wütend und kurz darauf dachte ich mir: “Fuck it, is jetzt eh zu spät!“ Dann habe ich – ohne Kondom – weiter mit ihm geschlafen. Am nächsten Morgen ist er panisch weg und meinte, es sei wegen seines Jobs. Es hat den ganzen Tag gedauert, bis ich verstanden habe, was das für ein Typ war und was passiert ist. Abends habe ich ihm geschrieben, dass sein Verhalten nicht okay war und dass ich ihn nicht noch einmal treffen will. Nachdem er sich übermäßig entschuldigte, aber merkte, dass ich kein Interesse mehr habe, hat er mich blockiert.  

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Die Tage danach war ich traurig. Ich verstand nicht ganz, was los war. Diese Männer wollen mich, aber ich will sie nicht. Neue Dates gingen nicht mehr. Die Vorstellung von Sex mit mir nicht vertrauten Männern war nicht mehr schön. Also legte ich eine Dating-Pause ein: Tinder, OkCupid, Bumble und Feeld wurden deinstalliert. Ich wollte mich auf mich konzentrieren und mehr Zeit mit meinen tollen Freund:innen verbringen.

Kurz darauf meldet sich Tinder-M., also verabrede ich mich mit ihm. Das ist okay, denn es ist nur freundschaftlich. Als wir uns treffen und beim zweiten Bier sind, wächst meine Lust, mich zu betrinken. Ich erzähle Tinder-M. von F., davon, wie ich jetzt die nächsten Dates abgesagt habe, keinen Sex mehr will und wie übergriffig doch so viele Typen sind.  Mittlerweile sind wir beim vierten Bier auf leeren Magen. Wir holen uns Pommes und laufen zur East-Side-Gallery. Es ist Dienstagabend, 1 Uhr. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie wir in meinem Bett miteinander schlafen. Ich habe da tatsächlich gerade Sex mit Tinder-M.. Zu Tinder-M. fühle ich mich ungefähr so hingezogen wie zu meinem Bruder. Aber ich mache mit. „Jetzt ist es ja eh schon zu spät“, denke ich mir. So einen langen Filmriss habe ich nicht das erste Mal. Später frage ich ihn, wie es dazu gekommen ist. Er erzählt, dass er mich an der East-Side-Gallery gefragt hat, ob er mich küssen darf und dass ich ihm dreißig Minuten später einen geblasen habe. “Das klingt nach mir”, sinniere ich und schäme mich. Am nächsten Morgen geht er. Nach satten zwei Stunden Schlaf und immer noch betrunken, schleppe ich mich zu der Schulung meines Nebenjobs. Ich fühle mich, als würde ich nur aus Scham und Alkohol bestehen. In der S-Bahn fange ich an zu weinen. Ich wollte unbedingt Kontrolle bekommen und habe selbst den letzten Rest davon gänzlich verloren.

Auf der Suche nach Gefühlen habe ich mich in eine Spirale der Selbstzerstörung begeben. Ich habe zwar keine Schuld daran, wie sich diese Männer mir gegenüber verhalten haben. Aber ich war mir selbst total egal. Ich habe lange gedacht, mein Ex-Freund hat mit mir Schluss gemacht, weil ich nicht gut genug für ihn war. Ich habe so verzweifelt nach irgendeinem Fremden gesucht, der mich will, dass ich dafür zu viel in Kauf genommen habe. Mir ging es immer schlechter, mein Selbstwert fiel einfach in sich zusammen und ich habe mir selbst nur noch mehr weh getan, ohne es zu merken.

Im Herbst habe ich dann versucht, mein Selbst lieben zu lernen. Ich habe versucht, ausschließlich Dinge zu machen, die mich gut fühlen lassen. Mich mit Menschen zu umgeben, die mir guttun. Ich habe nur Alkohol getrunken, wenn ich mich mit mir und meiner Umgebung sicher gefühlt habe. Ich habe gelernt, dass ich nichts für die Bindungsängste meines Ex-Freundes kann und dass ich viel mehr bin, als ich immer dachte. Mittlerweile habe ich mir wieder Tinder und OkCupid runtergeladen, versuche red flags schneller zu erkennen, trinke bei Dates nur wenig und bemühe mich um eine Art „gesundes Dating“, was sich genauso schräg anfühlt, wie es sich anhört.

Autorin: Toni Mon

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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