Nadine Gründler, 47, ist Angestellte im Rechnungswesen. Als Ichthyose-Betroffene möchte sie dazu beitragen, dass seltene Krankheiten sichtbarer werden: „Denn ich wünsche mir eine Welt, in der Menschen mit Andersartigkeit akzeptiert und integriert werden. Ich wünsche mir, dass mir andere Menschen respektvoll und freundlich begegnen.“ Sie hat ihren ganz eigenen Weg gefunden, mit ihrer Krankheit umzugehen. Doch damit Menschen wie sie ein unbeschwertes Leben führen können, braucht es mehr Forschung zu seltenen Erkrankungen, findet sie.

„Ich habe eine kongenitale Harlekin Ichthyose. Deswegen habe ich kaum Augenbrauen, wie Harlekin, die Puppen. Die Wimpern sind kaum zu sehen, es sind nur ein paar wenige. Bei mir fing es an, als ich drei Monate alt war, um einem Pickel herum auf dem Bauch. Meine Mama war sich sicher, dass da etwas nicht stimmt. Das ging dann alles schnell. Ich wurde immer röter und dann haben wir die Diagnose, dass ich Ichthyose habe, bekommen. Ich bin jetzt 46 und damals war es noch nicht so bekannt, was Ichthyose bedeutet. Die Forschung, vor allem für Kleinkinder, ist mittlerweile viel weiter.

Jede:r behandelt und pflegt seine Ichthyose anders. Manche baden tagtäglich zweimal, was auch empfohlen wird, aber ich mache das nicht. Dadurch ist es leider auch eine der Hautkrankheiten, die am meisten Wasser verbraucht. Ich nehme täglich ein Ölbad und creme mich anschließend am ganzen Körper sehr großzügig mit Paraffin-Vaseline ein, um alles schön geschmeidig zu halten.

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Wir brauchen diesen fettenden Schutz der Creme sowie die Feuchtigkeit und Hitze des Wassers. Bei mir ist die komplette Haut betroffen. Meine Haut produziert ganz viele Schuppen und auch sehr viel Hornhaut. Deswegen schrubben sich viele auch intensiv, teilweise mit Bimssteinen, ab. Ich kann das nicht, weil meine Haut einfach zu dünn ist, das blutet dann sehr schnell. Deswegen lasse ich die Schuppen lieber drauf, bis sie von allein abfallen. Anhand der Hautschuppen kann man genau sehen, wo ich gewesen bin. Es kommt aber auch immer darauf an, welche Tageszeit es ist. Je später am Tag, umso trockener und schuppiger wird meine Haut. Wenn ich in der Badewanne bin, dann schrubbe ich meine Haut ganz leicht mit einem Waschlappen ab. Eine positive Nebenwirkung ist, dass wir keine Falten bekommen können.

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Die Epidermis (Oberhaut) erneuert sich etwa alle vier Wochen. Sie besteht aus mehreren Schichten. In der untersten Schicht (Basal­schicht) entstehen die hornbilden­den Zellen, die durch die anderen Schichten nach oben wandern. Auf ihrem Weg verhornen sie und sterben dann ab. Die oberste Schicht der Epidermis (Hornzell­schicht) besteht aus sehr dünnen Schichten flacher toter Zellen. Sie dient als Barriere zur Umwelt und verhindert den Wasserverlust über die Haut. Bei Menschen mit Ichthy­ose ist dieser natürliche Vorgang gestört. Das führt dazu, dass sich die Haut verhornt, entzündet und stark schuppt. Die Harlekin Ichthyose ist die schwerste angebo­rene Verhornungsstörung.

Die Haut wird mit den Jahren etwas heller, aber die Schuppen bleiben: Als Kind war ich noch knallrot, heute habe ich auch hellere Stellen. Früher wurde ich von meiner Mama gepflegt. Ich war auch im Internat, und da wurde die Pflege sehr strenggenommen und ich durfte vieles nicht, z. B. durfte ich mich nicht überall hinsetzen, weil ich dort, wo ich mich hingesetzt habe, meistens einen Fettfleck hinterlassen habe. Früher habe ich geraucht und Alkohol getrunken. Seit ich meinen Mann kenne, habe ich das alles sein gelassen, was meiner Haut natürlich gutgetan hat. Aber man ist auch mal jung und möchte ein bisschen leben.

An den Augen ist es sehr stark zu sehen und im Gesicht. Und eben auch am ganzen restlichen Körper. Ich produziere so viel Haut, damit könnte man auch eine Firma gründen. Wir haben schon mal überlegt, wie viel Geld man mit so einer Menge an Haut wohl verdienen könnte. Früher, als ich jünger war, habe ich an Studien teilgenommen und die Haut für Forschungszwecke gesammelt. Die Hautschuppen wurden dann in einer Klinik auseinandergenommen und untersucht.

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Rhagaden sind schmale, spaltför­mige Einrisse der Haut, die durch alle Epidermisschichten reichen. Als Rachitis bezeichnet man eine Störung des Knochenstoffwech­ sels, die im Kindesalter auftritt. Ursachen sind meist ein Vitamin­ D­Mangel oder Störungen des Vitamin­D­Stoffwechsels.

Ich habe auch keine normalen Finger- und Fußnägel. Meine Nägel wachsen nicht so schön, wie bei anderen Menschen. Sie sind kantiger, dicker und härter. Deswegen gehe ich alle fünf Wochen zur Fußpflege. Danach sind meine Füße viel weicher und es ist deutlich angenehmer. Die Behandlung ist extrem wichtig, da ich sonst Rhagaden bekomme. Das sind tiefe Risse an den Hacken oder Füßen. Rhagaden entstehen dadurch, dass ich beim Gehen die trockene, dicke Hautschicht an den Füßen belaste. Das kommt oft vor und ist sehr schmerzhaft. Wenn die Haut an der Rissstelle entfernt werden kann, verheilt es besser. Andernfalls wächst die Haut um den Riss herum weiter und der Riss kann deswegen nicht besonders gut verheilen. Ich muss feste Schuhe tragen und zuhause habe ich pantoffelartige Schuhe aus Gummi. Die lassen sich leicht sauber machen.

Ichthyose wirkt sich auch auf andere Körperbereiche aus, nicht nur auf die offensichtlichen Hautpartien. Die Ohren und Augen spielen z. B. auch eine Rolle. Deswegen trage ich, seit ich Ichthyose habe, eine Brille. Ich bin regelmäßig in der Augenklinik für Untersuchungen. Dort wurde ich dann auch wegen unterschiedlicher Probleme an den Augen behandelt und operiert. Ich hatte eine Netzhautablösung, ein Glaukom (grüner Star) und Überdruck. Die letzte Operation an meinem Auge war wegen Kurzsichtigkeit. Ich habe auch Rheuma und Rachitis, deswegen sind meine Finger ein bisschen krumm. Das hängt alles mit meiner Ichthyose zusammen.

Mit Ichthyose ist es schwierig mit der Sonne. Menschen mit Ichthyose schwitzen schlechter und können dadurch schnell einen Hitzschlag bekommen. Das liegt am Aufbau unserer Haut, wie den weniger stark ausgeprägten Poren. Unsere Haut ist anders aufgebaut, z. B. sind die Poren nicht so stark ausgeprägt wie bei euch. Im Sommer bin ich dann auch lieber im Schatten. Wenn mir heiß wird, fängt mein Herz an zu pochen, ich werde rot im Gesicht und allgemein ruhiger. Das kann auch passieren, wenn ich etwas Anstrengendes mache, dann muss ich immer direkt danach die Fenster aufmachen, um abzukühlen.

Ich denke, dass sich die Ichthyose eher negativ auf mein Selbstbewusstsein ausgewirkt hat, weil ich durch negative Erfahrungen anderen Leuten gegenüber nicht so offen bin. Schon früher im Kindergarten wurden andere von mir weggerissen und es wurde viel auf mich gezeigt. Das hat mich schon sehr geprägt. Deswegen bleibe ich lieber für mich und bin bei anderen eher vorsichtig. Heute ist mein Umgang damit ein bisschen selbstbewusster. Aber es kommt immer stark darauf an, wer vor mir steht.

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Grundsätzlich kommt es natürlich immer darauf an, wer guckt. Aber meistens gehe ich einfach weg. Mit älteren Kindern, so acht bis zehn und Jugendlichen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Die können schon fies werden und da verschwinde ich immer sofort. Es kann z. B. sein, dass sie mich sehen und „iih“ sagen, oder sie gehen an mir vorbei und lachen dann. Früher war das noch schlimmer. Ich hatte mal ein Erlebnis, bei dem ich an einer Bushaltestelle war und gewartet habe. Als der Bus kam, haben ein paar Jugendliche das Busfenster geöffnet und gemeine Dinge über mich geschrien. Ich bin dann nicht eingestiegen. So etwas vergesse ich nicht, weil mir das weh getan hat. Die machen sich darüber keine Gedanken. Und in solchen Situationen kann ich auch nichts erwidern. Heute bekomme ich Blicke oder Kommentare teilweise gar nicht mehr mit. Das fällt dann eher den Menschen auf, die mit mir unterwegs sind. Ich glaube, mittlerweile fällt es anderen Leuten auch gar nicht mehr so stark auf, weil ich heller geworden bin und meistens langärmlige Kleidung trage. Mir wäre es allgemein lieber, wenn man mich fragen würde, was ich habe. Und ich würde mir wünschen, dass ich genauso behandelt werde, wie andere Menschen. Ganz normal, dann kann ich auch auftauen und dann würde es mir besser gehen.

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Zuhause, wo ich mich wohlfühle, trage ich auch kurze Kleidung. Die langen Klamotten trage ich aber nicht nur wegen anderen, sondern es ist auch für mich angenehmer. Weil ich immer so viele Hautschuppen verliere, ist es durch die lange Kleidung ein bisschen geschützter. Wenn ich das Haus verlasse oder zur Arbeit gehe, dann trage ich immer eine Leggings und lange Ärmel. Außerdem kann ich nur Baumwolle tragen. Feine Materialien, wie Seide, könnte ich nach einmal Tragen wegschmeißen, weil sich die Fettcreme richtig in die Klamotten frisst und man sie nicht mehr rausbekommt. Auch für die Waschmaschine war das ein Problem, da die Creme das Gummi in der Maschine zersetzt hat. Als ich klein war, brauchten wir mehrere Waschmaschinen pro Jahr. Dann gab es die Toplader-Maschinen, das war dann schon besser. Später habe ich endlich eine Maschine mit Silikongummi gefunden und das funktioniert ganz gut. Die Creme verstopft zusätzlich auch noch die Schläuche. Die Wäsche bei Ichthyose ist schon ein Phänomen.

Früher wollte ich Ohrringe haben, aber das war leider nicht möglich. Meine Ohrläppchen sind klein, hart, trocken und dicker als normale. Außerdem ist das Entzündungsrisiko sehr hoch. Ansteckohrringe habe ich auch schon probiert, aber die fallen ab. Ist einfach zu rutschig und zu hart, da gibt es keinen Halt für Ohrringe. Ich trage meine Haare deswegen so lang, dass meine Ohren nicht sichtbar sind. Ich verbinde Haut auch stark mit Schönheit. Wenn die Haut schön ist, dann kann man auch etwas Vernünftiges anziehen, sich schick und die Haare schön machen. Wenn die Haut mitspielt, ist das alles gut. Hässlich bin ich auch nicht, aber ich sehe mich nicht gerne im Spiegel. Ich bin aber stolz, dass ich mittlerweile gut mit meiner Krankheit umgehen kann und weiß, wie ich sie zu pflegen habe und dass ich nicht so wehleidig bin, wie teilweise andere mit Ichthyose.

Meine Mama ist immer für mich da und hat mich früher lange gehegt und gepflegt. Außerdem war es sehr schön für mich, meinen Mann kennenzulernen, weil er mich so liebt, wie ich bin. 1997 haben wir uns kennengelernt und drei Jahre später geheiratet. Mein Mann sitzt im Rollstuhl, er ist Spastiker und so ergänzen wir beide uns ein bisschen. Er sagt mir sehr oft, dass er mich lieb hat, aber manchmal höre ich es nicht. Weil ich es selbst nicht glauben und mich auch nicht so akzeptieren kann, wie ich bin. Es ist zwar schade, dass ich das nicht annehmen kann, aber es tut mir trotzdem sehr gut, ihn zu haben. Ihm ist es auch nicht unangenehm mich anzufassen. Meine Haut fühlt sich einfach anders an und zusätzlich ist sie immer fettig, wegen der Creme. Wenn ich anderen Leuten die Hand gebe, dann kann ich an ihrer Reaktion sehen, dass sie das eklig finden, was mir dann auch unangenehm ist. Dann lasse ich das mit dem Händegeben lieber und sage einfach „hallo“.

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Die Creme, die Tabletten und das Ölbad werden von der Krankenkasse übernommen. Allerdings zählt die Paraffin-Creme als Pflegemittel, also zum Schönmachen und wird somit nicht als überlebenswichtig kategorisiert. Deswegen muss auf dem Rezept auf die Formulierung geachtet werden, sonst wird es nicht übernommen. Für mich ist das allerdings absolut keine Kosmetik, sondern lebensnotwendig. Ich habe schon Unmengen anderer Cremes ausprobiert, aber Paraffin ist für mich das Beste. Die Fußpflege muss ich auch selbst bezahlen.

Mein Tag fängt um halb fünf an, weil ich um halb acht in der Arbeit sein muss. Bis ich das Haus verlasse, muss viel erledigt werden, weil ich auch meinem Mann helfen muss. Das Wasser für mein Bad muss sehr heiß sein, damit die Haut schneller weich wird, weil ich keine Zeit für ein langes Bad habe. Ich mache auch kein Vollbad, sondern fülle die Wanne nur bis zur Hälfte und drehe mich dann, damit das Wasser überall drankommt. Vom Wasser her ist das schon eine große Verschwendung, deswegen versuche ich den Verbrauch unter Kontrolle zu halten. Während ich in meinem Bad bin, putze ich auch meine Zähne. Nach dem Bad tupfe ich mich mit dem Handtuch ab. Ich darf nicht rubbeln, weil sonst die Haut aufreißt. Danach creme ich mich ein, das muss immer relativ zeitnah passieren, weil sonst ist die Haut wieder so trocken ist, dass ich wieder baden gehen muss. Wenn ich wieder nach Hause komme, ruhe ich mich meistens ein bisschen aus. Der Tag fängt einfach zu früh an und ist zu anstrengend. Außerdem verbraucht die Haut auch Energie, weil sie ständig arbeitet.

Es gibt auch Zeiten, wo ich mich in meinem Körper wohlfühle. Wenn ich zum Beispiel ein bisschen abgenommen habe und mir etwas Neues gekauft habe, dann bin ich stolz auf mich. Momentan ist eine andere Phase, in der ich etwas zunehme. Das ist vor allem für meine Gelenke und meine Haut nicht gut, aber manchmal ist es nicht so einfach, das zu ändern. Vor allem, weil mein Tag sowieso schon so voll ist.

Allgemein mehr Toleranz wäre schön. Ob nun gegenüber meiner Symptomatik oder gegenüber anderen Erkrankungen. Ich finde, dass Kinder und Jugendliche besser aufgeklärt werden müssen. Und die Eltern natürlich ebenfalls. Sie sollten ihre Kinder nicht von anderen wegreißen, sondern ihnen erlauben, Fragen zu stellen. So könnten Kinder das alles besser verstehen und werden toleranter. Viele kennen Ichthyose nicht, wenn sie keine Betroffenen kennen. Deswegen wäre eine bessere allgemeine Aufklärung beispielsweise in Schulen wichtig. Ich würde das auch gerne machen, in Schulen gehen und über Ichthyose erzählen.“

Text & Bilder: Kim Oppermann / Instagram @_kleinedinge_

Dieser Text ist Teil des fotografischen Projekts „ein Teil von Mir“ von Kim Oppermann. Die Texte dieser Serie basieren auf Interviews, die in Form von persönlichen Gesprächen mit den Teilnehmenden geführt wurden. Umgangssprachliche Wendungen werden vielfach unverändert wiedergegeben, um den persönlichen Charakter beizubehalten. Auf Wunsch einzelner Teilnehmender, sind deren Namen geändert.

Weitere Arbeiten von Kim findest du auf ihrer Homepage. Du kannst ihr auch auf Instagram folgen.

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One Comment on “Harlekin Ichthyose: „Ich würde mir wünschen, dass ich genauso behandelt werde, wie andere Menschen“”

  1. Ich habe den Artikel ichtyosis gelesen und Tränen liefen wieder über mein Gesicht,nicht nur weil es meine Tochter ist. Wenn Sie endlich glauben könnte wie wertvoll Sie ist, trotz Ihrer Hauterkrankung

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