Ich öffne die Schublade und es begrüßt mich das Chaos: eine unnötige Vielfalt verschiedenster Hautpflegeprodukte. Einmal das „Rossmann“-Sortiment rauf und runter. Cremes, Peelings, Puder – mit vierzehn Jahren meine zweite Familie. Eine, die ich mir selbst ausgesucht habe. Die ich aber nie wirklich brauchte.
Der erste Blick in den Spiegel am Morgen: erstmal prüfen, ob das neue Produkt hält, was es verspricht. Ich denke: Ja doch, könnten weniger Unreinheiten sein als gestern. Also Gesicht nass machen und direkt wieder die Reinigungscreme von „Alverde“ gegen unreine Haut im Gesicht verteilen. Es brennt und die Haut spannt danach. Das muss bestimmt so sein – die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Fruchtsäurepeeling hinterher. Massieren, rubbeln, abtrocknen. Als letztes die „Florena“-Creme auftragen und genießen. Endlich juckt die Haut nicht mehr. Ein Blick in den Spiegel und „Hallo frieselige Stirn“. Also doch alles wie gehabt. Woher der kritische Blick auf die Pickel kommt? Who knows? Freund:innen und Familie haben mich immer positiv bestärkt, indem sie mir sagten, wie schön meine Haut strahlt. Und dass es in der Pubertät normal ist, eine fettige Stirn und Mitesser auf der Nase zu haben. Aber mein Ideal sah nun einmal anders aus. Meine Vorbilder kamen nicht aus der realen Welt, sondern warteten auf „MTV“ und in der Zeitschrift „Girl“ auf mich. Mit ihnen habe ich mich verglichen und das eigene Fazit war immer: Nope, leider immer noch nicht perfekt.

Mit fünfzehn Jahren verbrachte ich täglich bis zu zwei Stunden mit mir und meiner Haut. Mitesser ausdrücken, Gesichtsdampfbäder machen, neue Produkte recherchieren und herausfinden, was Jessica Alba für ihre Haut verwendet. Ich probierte alles aus, was neu auf den Markt kam und mir versprach, meine Pickel verschwinden zu lassen. 50 Euro Taschengeld pro Monat – zwei Drittel für Kosmetik, den Rest für H&M und Sim-Karten. Doch es half alles nichts. Meine Unebenheiten wollten sich einfach nicht von mir trennen.
Für meine ersten Auftritte auf „MySpace“ und Co. war Photoshop deshalb mein bester Freund. Fotos von der Digicam auf den Computer laden, kurz erschrecken, weil die großen Poren mit Blitz noch mehr hervorstechen und los geht’s: Der Weichzeichner zaubert mir in Sekundenschnelle eine makellose Haut und rosige Wangen. Ohne Rötungen, dafür mit ebenmäßigem Teint.
Meine Haut war mein Kryptonit. Meine dunkelbraunen, glänzenden Haare fand ich schön. Meine großen braunen Augen und die vollen Lippen finde ich genau richtig, wie sie sind. Und obwohl ich mit 1,52 m viel kleiner bin, als eine unsinnige Schönheitsnorm es haben will, war meine Größe nie die Wurzel meiner Neurosen und Unsicherheiten. Bei denen stand immer meine Haut in der Überschrift. Ich habe deshalb viel von meiner Teeniezeit dafür geopfert, Bilder von Models mit perfekter Haut zu betrachten und mich durch das Make-Up-Angebot in den Drogerien zu testen. Mitesser im Gesicht oder Pickel im Dekolleté – allein bei dem Gedanken daran, jemand könnte diese vermeintlichen Makel entdecken, schoss mir die Scham in die Fingerspitzen wie Adrenalin. Woher diese Gedanken kommen? Schwer zu sagen. Ich weiß nur, dass es immer mein Ziel war, perfekt zu sein. Schule, Familie, Schönheit. Nirgends habe ich mir einen Fehler erlaubt oder sie mir selbst verziehen.
In meinem Kopf lief damals immer dieser Film ab: Mein Schwarm und ich sind im Freibad. Ich ziehe mich aus und er entdeckt den Rasurbrand in meiner Bikinizone. Dann sagt er mir unverfroren ins Gesicht, dass das gar nicht geht. Ich dachte aus irgendeinem Grund: Ich bin eine Frau, ich darf keine Haare am Körper haben. Auf dem Kopf ja, aber bitte doch nicht zwischen den Beinen. Deshalb habe ich mich zu oft rasiert und meine Haut viel zu sehr gereizt. Später wird der Albtraum Realität – nur schlimmer. Gemeinsam im Bett beim Sex höre ich den Kommentar „Du kratzt, nächstes Mal bitte rasieren“. Ängste bestätigen und verstärken: Check.

Insgesamt könnte man sagen, dass ich in meiner Jugend mehr Zeit in meine Haut investiert habe als in meine Hausaufgaben. Und ich war eine Streberin. Schöne Haut war für mich quasi ein Synonym für Schön-Sein. Warum? Rückblickend betrachtet war sie das Einzige an mir, was stark von dem Ideal abwich, welches mir damals noch im Free-TV immer wieder gezeigt wurde.
Noch fünf weitere Jahre verbringe ich einen Großteil meiner Zeit damit, Perfektion zu erreichen. Meine Haut soll ohne Pickel strahlen wie die von den Mädels in der Serie „The Hills“. So wie die von Avril Lavigne im Musikvideo „Happy Ending“. Ich sitze damals vor dem Fernseher auf meiner roten Cord-Couch und schaue den Clip wieder und wieder. Ich versuche danach, mich zu schminken wie sie. Ich mache Selfies und bearbeite sie am PC. Und obwohl ich so viel Zeit investiere, frustriert es mich. Ich tue in diesem Moment nicht wirklich etwas Gutes für mich. Ich habe keine gute Zeit. Denn obwohl ich gerne fotografiere, die Bilder bearbeite und in mein Profil lade, wird mir währenddessen immer bewusster, dass ich eben nicht so aussehe wie das Mädchen auf dem Foto. Es ist eine verbesserte Variante von mir. Ich dagegen bin immer noch unperfekt.

Irgendwann kam mir der Gedanke: Vielleicht bringt es nichts, wenn ich von außen etwas auf meine Haut schmiere? Vielleicht liegt es daran, dass mein Körper von innen heraus nicht funktioniert. Vielleicht fehlen mir die richtigen Nährstoffe. Aber auch hier habe ich mich von Werbespots und -versprechen verleiten lassen und die Sache nicht zu Ende gedacht. Anstatt „mehr Wasser, weniger Stress und gesunder Ernährung” wenigstens eine Chance zu geben, kaufte ich Kieselerde, Biotin-Kapseln und jede Menge andere Präparate.
Mit Anfang Zwanzig war ich immer noch auf der Suche nach einem Produkt, welches mir die zarteste Haut verleiht. Was bei einer Freundin mit schöner Haut funktionierte, kaufte ich nach. Die Peelings und Reinigungsmittel wurden immer aggressiver, die Cremes reichhaltiger. Was ich damals noch nicht wusste: Für meinen Hauttyp absolut kontraproduktiv. Und plötzlich war es soweit – meine Haut revanchierte sich bei mir für die unpassende Pflege mit Neurodermitis und Vitiligo.
Letzteres wird auch Weißfleckenkrankheit genannt. Die deutlich abgegrenzten weißen Stellen können überall am Körper auftauchen. An diesen bildet der Körper kein Melanin. Eine Hautkrankheit, die erst dank des Models Winnie Harlow salonfähig und fernsehtauglich wurde. Für mich war es damals nur ein neuer, diesmal weißer Schandfleck auf meiner äußeren Hülle, der sich nicht behandeln ließ. Die Ärztin gab mir Cortison, weil das „bei manchen Menschen hilft“. Warum weiß keiner und es hilft auch nicht immer. Wie zum Beispiel bei mir. Also ab sofort: Lichtschutzfaktor 50 an diesen Stellen und Sonne generell eher meiden – bis heute.
Meine Hautärztin erklärte mir außerdem, dass ich die Schutzbarriere meiner Haut durch die falsche Pflege zerstört hatte. Ich habe mir also durch die übertriebene Zuneigung Neurodermitis antrainiert. Ich schuppte mich im Gesicht wie eine Eidechse. Ihr professioneller Rat: „Hier haben sie eintausend Proben, bitte testen Sie sich durch.“ Mein Hauttyp ist sehr empfindlich. Sie konnte mir deshalb nicht sagen, worauf ich reagiere. Es musste sanft und auf Neurodermitis-Haut abgestimmt sein. Mehr Tipps gab es zur Diagnose nicht dazu. Und das nicht, weil sie nicht wollte, sondern weil nun mal jede Haut anders ist.
Es begann eine lange Reise, bei der ich mich erneut durch das Sortiment für Hautpflege kämpfte. Ich fand meine Lösung mit einer Probe der „Skin Food Creme“ von Weleda. Naturkosmetik also. Außerdem erkannte ich endlich, dass viel Schlaf und wenig Stress zu weniger trockener Haut führen. Sportliche Aktivitäten an der frischen Luft lassen sie strahlen. Und gesunde Ernährung verbessert meinen Teint. Aus all dem habe ich gelernt, dass es für mich wichtiger ist, dass meine Haut gesund ist anstatt schön. Ich weiß es nun zu schätzen, wenn mich nur ein paar Pickel nerven, denn an den schlimmsten Tagen führt die Neurodermitis dazu, dass meine Augen so anschwellen, dass es aussieht, als hätte ich mich mit jemandem nicht nur verbal duelliert. Dann fordert mich meine Haut heraus. Sie will, dass ich mich trotz meiner äußeren Erscheinung wohl in ihr fühle, raus in die Welt gehe und mich ihr zeige. Und dass ich darauf vertraue, dass nur zählt, wie ich den Menschen begegne und nicht, wie klein meine Poren sind.
Gelernt habe ich außerdem, den Mantras der Werbung und der Hersteller:innen mit einer gewissen Gleichgültigkeit zu begegnen. Viel zu spät wurde mir durch all das klar, dass viele Hautprobleme hausgemacht sind. Sie entstehen erst, weil wir nur ein perfektes Ergebnis akzeptieren. Okay ist nicht ausreichend, deshalb triezen wir unsere Poren bis aufs Äußerste. Und natürlich gibt es Krankheiten, die nicht mit Optimismus und drei Liter Wasser am Tag geheilt werden können. Wie etwa „Vitiligo“. Ich muss mich damit arrangieren, die Flecken sind nun ein Teil von mir. Ich möchte sie akzeptieren und irgendwann sogar lieben. Ich möchte selber nach dem Vorsatz leben, dass es egal sein sollte, wie die Haut eines Menschen aussieht, denn es zählt doch eigentlich nur, was darunter auf uns wartet. Wie sehr strahlt diese Person von innen heraus? Wie freundlich und witzig ist sie? Und mit welchen besonderen Fähigkeiten bereichert sie die Welt?
Damit genau das irgendwann Realität wird, muss normale Haut Normalität werden. Pickel, Orangenhaut, Schüppchen – es gehört dazu. Es hat lange gedauert, bis mir diese Gedanken in Fleisch und Blut übergegangen sind. Und ich befürchte, dass ich es von selbst nicht geschafft hätte. Es war zu einem großen Teil der Wandel in der Gesellschaft. Als ich Ende Zwanzig war, entstand die Body-Positivity-Bewegung. Ich befasste mich damit und folgte bspw. auf Instagram mehr Menschen, die sich dem aktuellen Schönheitsideal mit viel Selbstbewusstsein entgegenstellen. Immer öfter zeigten sich in meinem Feed nun Frauen mit unreiner Haut, unrasierten Beinen und einem fülligen Bäuchlein nach dem Essen. Normale Körper! Der Film „Embrace“ war ebenfalls ein Gamechanger für mich und meine Haut. Die Message des Films: Ein Körper muss nicht “schön” sein, solange er gesund ist und funktioniert. Solange er mich dazu befähigt, von A nach B zu rennen, zu schwimmen und meine Kinder zu tragen. Dieser Gedanke hat in meinem Kopf einen Schalter umgelegt. Dadurch begann ich zu verstehen, dass das vorherrschende Ideal nicht mein Ideal sein muss.
Ja, ich erzähle hier meine Geschichte, aber sie gehört nicht mir. Sie gehört all den Mädchen und Frauen, denen tagein tagaus gesagt wird, was schöne Haut ist. Wie sie auszusehen hat und dass ein Abweichen von der Norm nicht geduldet wird. Nicht im Fernsehen, nicht in den sozialen Medien, nicht mal im realen Leben. Ich kenne keine Frau in meinem Umkreis, die nicht sofort sagen könnte, was sie an sich gerne verschwinden oder verändern lassen würde. Jede weiß um ihre vermeintlichen Makel, bei den Stärken sieht es anders aus. Nicht bei allen ist die eigene Haut die größte „Schwachstelle“, aber ich kenne auch keine, die mit ihrer Haut wirklich zufrieden ist. Sei es Orangenhaut an den Beinen, Pickel im Gesicht oder schuppige Kopfhaut. Kein Wunder: Statistiken zeigen eins häufig: schöne Menschen haben mehr Möglichkeiten, mehr Erfolg. Laut aktueller Studien finden attraktive Menschen schneller einen Job als ihre durchschnittlich attraktiven Kollege:innen. Schöne Frauen verdienen in Deutschland circa 20 Prozent mehr als der Durchschnitt. Was für eine traurige, unschöne Wahrheit. „Fühl dich wohl in deiner Haut” – wie soll das gehen, bei all der Propaganda für straffe, glatte Schenkel und Gesichter, die keine einzige Falte zeigen?
Das Schönheitsideal wird von einer Industrie vorgegeben, die sich davon ernährt, dass wir uns unschön fühlen. Sie will das so, sie braucht das so. Was normal ist, wird als Problem deklariert. „Und je verbreiteter ein ‚Problem’ ist, desto mehr Geld kann man damit machen“. Deswegen greift die Kosmetikbranche für ihre Werbemaßnahmen auch tief in die Tasche: 2022 waren es über 175 Mio. Euro in Deutschland. Der Umsatz beträgt hierzulande für Hautpflege 4,82 Mrd. Euro.
Wenn wir uns aber wieder auf das Wesentliche besinnen, dann müssen wir uns nur das Wort Kosmetik einmal genauer anschauen. Es stammt vom altgriechischen „kosméein“ ab und bedeutet nichts weiter als „schmücken“. Nicht verändern, verkleinern, straffen, glätten oder aufpolstern. Es geht darum, die Schönheit, die wir bereits in uns tragen, nur noch stärker hervorzuheben. Zu betonen, was einzigartig an uns ist. Zu unterstreichen, was wir selbst an uns besonders lieben. Dafür können wir nach Lust und Laune Pinsel und Schminke benutzen. So viel oder wenig wir wollen.

Klar erwische ich mich selbst noch dabei, dass ich ungeschminkte Frauen, die mit reiner Haut gesegnet sind, beneide. Gesichter mit Akne empfinde ich dagegen häufig als ungepflegt. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass wir selten Menschen mit Hautunreinheiten oder Hautkrankheiten als Vorbild vorgesetzt bekommen. Deswegen muss ich mich immer und immer wieder daran erinnern, dass die ungeschminkte Wirklichkeit nun mal so aussieht. Und dass die Filter in Instagram, Snapchat und Co. uns eine falsche Realität vorgaukeln – und Perfektion nur simulieren. Das Phänomen, welches daraus entsteht, wurde von Wissenschaftler:innen als Snapchat-Dysmorphophobie bezeichnet (Med-Specialists Magazin). Das gefährliche daran: „Der stetige Vergleich mit gefilterten Fotos schürt Selbstzweifel und wirkt sich negativ auf den Selbstwert und das Selbstbewusstsein aus.“ Studien zeigen, dass im Zuge dieser vermehrten Bildbearbeitung sogar die Nachfrage an Schönheitsoperationen deutlich ansteigt.
Mein fünfzehnjähriges Ich fühlt sich hier ertappt. Mittlerweile bin ich 33 Jahre alt. Ich habe genug Zeit damit verschwendet, Äußerlichkeiten zu viel Wert beizumessen. Ich möchte aufhören, meine Haut oder generell meinen Körper zu bewerten und ständig zu kontrollieren, wie ich aussehe. Ich will meine Haut richtig und passend pflegen – von außen wie von innen. Und ich nehme sie ernst. Ich kann dank ihr regelmäßig feststellen, ob es mir gut geht. Sie zeigt mir, wenn ich zu wenig schlafe oder wenn ich mir zu viel vornehme. Stress zaubert mir rote, trockene, juckende Stellen ins Gesicht. Zu wenig Wasser getrunken? Schon ist meine Haut matt und die Augen faltig. Anstatt aber dann direkt wieder nach neuen Produkten zu recherchieren, gehe ich lieber leckeres Zeug auf dem Markt einkaufen und koche ich mir etwas Gesundes. Ich gönne mir eine ausgiebige Badewanne mit Buch und genieße die positiven Stories von Charlotte Weise auf Instagram. Bevor ich dann zeitig ins Bett gehe, schreibe ich noch in mein Tagebuch: „Heute habe ich mir Zeit für mich genommen und meine Hautprobleme einfach links liegen gelassen. Ich fühle mich deshalb gerade sehr gut in meinem Körper und freue mich auf einen neuen Tag mit ihm.“
AUTORIN: NANCY KAISER, FOTOS: STELLA WEIß

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