Ich glaube, dass ein Krieg kommt. Die Welt wird bald zusammenbrechen. Ich sehe es in den Gesichtern der Menschen in der Stadt und an den Supermarktkassen. An den Schlagzeilen auf meinem Handy. Meine Mama sagt, als sie studiert hat, habe sie auch gedacht, die Welt gehe bald unter und schüttet sich heißes Wasser auf ihren Kamillentee. Und wenn es kein Krieg ist, dann ein Akt der Selbstzerstörung. Wir sind doch alle verrückt geworden. Warum uns nicht gleich in die Luft jagen? Ja, sagt meine Mama, aber es jagen sich ja täglich Leute in die Luft, das war schon immer so, das sei ja jetzt auch nichts Neues. Sie schwenkt ihren Teebeutel und drückt ihn mit dem Löffel aus, bevor sie ihn in den Müll schmeißt.

Dann klebt sie einen Sticker mit „Priority Luftpost“ auf einen Brief, den sie nach Saudi-Arabien schickt, damit sie einen Journalisten freilassen, den sie zu Unrecht eingesperrt haben, weil er den König kritisierte. Das macht sie schon immer. Aber das bringt doch gar nichts, habe ich ihr einmal gesagt, und sie hat gesagt, wenn genug Leute etwas wollen, funktioniere es schon manchmal, selbst wenn es Diktaturen sind. Das glaubt man gar nicht, sagte sie, wie oft das klappt. Ich bin pessimistisch. Ich glaube, dass Diktatoren immer Diktatoren bleiben werden und dass auch die meisten demokratischen Politiker sofort alle Macht übernehmen würden, wenn sie nur könnten. Ja, sagt meine Mama, das denke sie auch. Aber es gebe sie, die Guten.

Ich warte auf den Krieg. Ich sehe ihn schon überall. Dieses Konstrukt kann nicht mehr lange halten. Die Menschen haben Angst. Sie scrollen durch ihre Handys und liken und folgen und streiten und streamen. Sie werden immer wütender und wissen immer weniger worauf. Es gibt zu viele Gegenmeinungen. Ja, sagt meine Mama, je mehr man weiß, desto weniger weiß man. Dann schiebt sie mir eine Ausgabe der Zeitschrift über weltweite Menschenrechte und Politik hin, für die sie arbeitet. Der Artikel könne mich interessieren. Ihre Auflage ist niedrig und bald werden sie schließen müssen, weil die Printleser sterben. Früher hat sie bei Amnesty International gearbeitet.

Ich habe gesagt, voll krass, du bist so eine richtige Heldin.

Sie schaute mich verständnislos an, total entsetzt, ich dachte, ich hatte etwas Schlimmes getan.

Dann fing sie sich, lächelte milde und sagte, Helden seien die anderen. Die, an für die sie Briefe schreibt.

Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

FOTO: SVEN BECKS FAMILIEN-FOTOALBUM

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One Comment on “Helden sind die anderen”

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