WARNUNG: Dieser Text enthält Schilderungen von sexualisierter Gewalt.
Wir haben nie darüber geredet, was alles zwischen uns passiert ist, wie es uns dabei ging oder wie es uns jetzt damit geht. Vielleicht werden wir das irgendwann mal tun. Ich glaube, dass es gut wäre, aber eben auch nicht einfach. Dieser Brief, den du vielleicht nie lesen wirst, ist für mich einfach nur ein Gedanken sortieren und aufschreiben. Ein Schritt, der mir hilft.
Ich fange von vorne an. Vorne ist der Anfang von sexuellen Erfahrungen in meinem Leben. Rückblickend fällt mir auf, dass vieles schon früh in die Richtung deutete, dass ich in meinem Leben Übergriffe und Sex ohne Konsens erleben würde. Schon bei meinem ersten Kuss mit 15 habe ich Ekel gespürt und es war kein wirkliches Wollen von mir. Wenn ich sagte „Ich will“, habe ich eigentlich gemeint „Ich will dem Druck der Gesellschaft und den Erwartungen von dir nachgeben“. Ich habe nicht gemeint „ICH will“, aber damals kannte ich den Unterschied nicht.
Klar, das hatte nichts mit dir zu tun, aber mein erstes Mal mit dir war genauso. Ich habe mich nicht getraut, dir zu sagen, dass ich gerade überfordert bin, dass ich den Frust, den ich von dir spüre, nicht aushalten kann oder will, und dass ich das Gefühl habe, ich MUSS mit dir schlafen. In meinem Repertoire an Möglichkeiten hatte ich die Option „NEIN“ zu sagen, nicht. Ich kannte nur „Ich muss tun, was Menschen von mir wollen“. Ich war so froh, als es vorbei war. Ich war erleichtert, dass du mir nicht das Gefühl gegeben hast, ich müsse mich für das ganze Blut schämen. Aber du warst frustriert, weil es nicht toll war – für keinen von uns. Und auch danach hat es irgendwie nicht richtig geklappt. Mir war klar, dass ich nichts dafür konnte. Aber trotzdem spürte ich die Verantwortung und den Druck in mir, dass ich dir diesen Frust abnehmen muss. Ohne das zu hinterfragen. So ging es immer weiter.
Bald hat der Sex besser funktioniert. Sehr bald hatte ich mich daran gewöhnt, es nur für dich zu tun, einfach mitzumachen. Aber schön oder geil oder befriedigend fand ich es nie. Du hast das manchmal auch gespürt und nach Lösungen gesucht. Aber total am falschen Punkt angesetzt.
Nein, ich will kein Sexspielzeug! Ich will, dass du mein „Nein“ akzeptierst! Ich will entscheiden können und dürfen, ob und wann ich Sex habe! Ich will, dass auf mein „Nein“ keine Diskussion folgt, kein eisiges Schweigen, keine Tränen, keine Wut und auch keine Fragen nach dem ‚Warum‘. Ich will einfach nicht und das ist okay! Kein „ein bisschen noch“, kein „dann wenigstens blasen“, keine Vorwürfe, kein „aber du hast gesagt …“! Warum wolltest du es überhaupt, wenn ich sage, ich will nicht!?
Du wusstest, dass ich nachgeben werde. Weil ich die Gefühle und den Druck von dir nicht aushalten konnte. Nie.
Ich weiß, du hast dich zurückgewiesen und abgelehnt gefühlt. Aber diese Ablehnung, die war nicht auf DICH bezogen, nur auf Sex.
An diesem einen Scheißtag, da war ich so betrunken, dass ich deine Gefühle und Angriffe, die auf mein „Nein“ folgen würden, aushalten konnte. Ich kann mich besser abgrenzen, wenn ich betrunken bin. Und darum habe ich „Nein“ gesagt, „Ich kann nicht mehr“ und „Bitte hör auf“. Ich habe geweint, mich innerlich und verbal gewehrt. Du hast kaum reagiert. Du warst betrunken und sauer auf mich. Ich kann mich nur an ein „Leah, bitte ein bisschen noch“ erinnern. Das bisschen noch kam mir vor wie Stunden oder länger. Ich kann die Zeit nicht einschätzen, es war so eine Situation, die nicht in den Zeitverlauf meines Lebens passt. Sie ist irgendwie außerhalb meines Lebens in einer anderen Dimension passiert. Sie war zweieinhalb Jahre lang auch weg, ich hatte keine Erinnerung mehr daran, bis mir jemand gezeigt hat, dass es ihm wichtig ist, wie ich mich beim Sex mit ihm fühle. Und dass ich es auch will.
Jetzt, fast 7 Jahre später, lass ich es mit niemandem zu, dass es auch nur in die Richtung geht, dass ich mich wieder in einer Situation wie damals befinde. Bei dem Gedanken zieht sich alles in mir zusammen und verhärtet sich. Ich könnte das nicht mehr aushalten und verdrängen wie damals. Darum kann ich mich gerade auch nicht öffnen.
Irgendwann werde ich mich wieder öffnen können, das weiß ich.
Ich gebe mir nicht mehr die Schuld daran. Das ist ein großer Fortschritt für mich.
Und dir bin ich auch nicht mehr böse. Wir wussten es damals beide nicht besser und ich weiß, dass auch dich das alles heute noch beschäftigt. Das heißt nicht, dass ich dein Verhalten entschuldige oder okay finde. Natürlich war das alles scheiße und in allem Zwischenmenschlichen sollte man empathisch sein. Man darf wirklich erwarten, dass in so intimen Begegnungen kein Druck ausgeübt und die Grenzen des anderen nicht missachtet werden.
Ich hab dir verziehen, um selbst frei zu werden, und ich glaube daran, dass du heute viel weiter bist als damals. Aber bitte tu das nie wieder.
Autorin: Leah, Illustration: Leonardo Alliata
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Rufnummer 0800-116 016 und via Online-Beratung können sich neben Betroffenen auch Angehörige, Nahestehende und Fachkräfte Unterstützung holen.
Anmerkung der Redaktion: Dies ist ein Erfahrungsbericht und gilt mitnichten für alle Männer. Es geht hier um eine persönliche Perspektive, nicht um Pauschalisierung.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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