Mein Kopf tut weh. Mal wieder. Es ist nicht nur der Alkohol von letzter Nacht, der mich nicht schlafen lassen will, es sind die Gedanken, die er verursacht hat. So viele Jahre erzähle ich mir nun schon immer und immer wieder dieselbe Lüge: Morgen hör ich auf. Bis die nächste Gelegenheit und die damit verbundene Entschuldigung kommt.
Ich fühle mich schlecht, wirklich schlecht. Ich möchte diese Person nicht sein, die du aus mir machst. Warum kannst du mich nicht einfach mal in Ruhe lassen? Könntest du sprechen, dann würdest du mir wahrscheinlich sagen, dass du keine bösen Absichten hattest. Du wolltest nur eine schöne Zeit mit mir haben. Und wie ich sie mit dir verbringe, liegt ganz allein bei mir.
Es gab nur wenige Abende in meinem Leben, die in Verbindung mit Alkohol friedlich verlaufen sind. Das Aufwachen am nächsten Tag ist das schlimmste für mich. Denn da wird mir bewusst, was Trinken mit mir macht. Und was ich betrunken mit anderen mache. Ich rede mir immer wieder ein, dass ich dann lustiger bin und die Leute mich lieber um sich haben. Aber wie kann das wahr sein, wenn sie sich von mir entfernen? Sie können mir am nächsten Morgen nicht in die Augen schauen, weil sie gesehen haben, dass ich vor allem eines liebe: mich selbst.
Immer wieder mache ich diese Witze. Gebe mich den peinlichen Versuchen hin, meinen Selbstwert zu pushen, indem ich mich als Alkoholikerin bezeichne. Natürlich nur aus Spaß. Es ist ja so „in“, zu den eigenen Fehlern zu stehen, insbesondere dann, wenn die ja eh nur halb so wild sind.
Morgens aufzuwachen, nicht zu wissen, wie der vorherige Abend verlaufen ist, ist kein schönes Gefühl. Insbesondere dann nicht, wenn die erste Nachricht, die man liest, lautet „War gestern nicht so cool von dir“. Die darauffolgende halbherzige Entschuldigung bringt dann auch nicht viel. Wie soll man ernstgenommen werden, wenn man überhaupt nicht weiß, wofür man um Verzeihung bittet. Hallo Blackout, danke, dass du mich in der Illusion leben lässt, dass die anderen schuld sind. Ich wünschte, die wären auch mal so locker wie du. Das Leben ist doch schließlich nicht zum Schlafen da.
„Girls Just Want To Have Fun“ ist vermutlich einer der berühmtesten Songs überhaupt. Und leider auch das Motto meines betrunkenen Ichs. Ein teures Hobby noch dazu. Wenn ich besoffen bin, verabschiedet sich der Inhalt meines Geldbeutels binnen kürzester Zeit von mir. Ich glaube, ich kann es an zwei Händen abzählen, wie oft ich nach einer durchzechten Nacht nach Hause gekommen bin und am nächsten Tag noch einen Schein vorgefunden habe. Ist das nicht traurig?
Es gibt nicht viele Storys von mir, die ein gutes Ende genommen haben, sobald ich den süßen Tropfen verfallen bin. Die Liste meiner Schandtaten wiederum ist endlos. Mit 18 landete ich zum ersten Mal in der Ausnüchterungszelle — hallo MPU. Ich war betrunken, vollgepisst und blutüberströmt, als ich mit 14 oder 15 den neuen Freund meiner Mutter kennenlernte. Erst Anfang des Jahres hatte ich ein Date, das erste und unglaublicherweise nicht das Letzte, auf dem ich so betrunken war, dass ich am nächsten Morgen mit einem blauen Auge aufwachte, ohne jemals zu erfahren, woher. Als ich noch gekellnert habe, war ich teilweise so betrunken auf der Arbeit, dass ich am Ende der Schicht meine Abrechnung nicht mehr machen konnte. Einmal musste mir meine Chefin dabei helfen. Die letzte Weihnachtsfeier, an der ich meinem Chef besoffen vor versammelter Mannschaft gestand, dass er eine Vaterrolle für mich hat, endete an einer Straßenbahnstation, wo ich morgens verkatert und alleine aufwachte. Alles weg. Unzählige Male habe ich mich über andere Menschen lustig gemacht, ohne Rücksicht auf Gefühle. Doch an die meisten Sachen erinnere ich mich nicht mehr.
Als ich 12 war, das war im Kroatienurlaub mit meiner Familie, probierte ich zum ersten Mal Schnaps. Kurz darauf fing es an. Seit Anfang an habe ich mich nicht unter Kontrolle, und auch heute mit 27 kenne ich kein Ende, wenn ich einmal angefangen habe zu trinken. Nie alleine, nur in Gesellschaft. Und ich habe auch nicht den Drang danach, mich zu betrinken, weil jeder Tropfen köstlich ist. Ab und zu schütte ich Alkohol auch weg, wenn ich nicht mehr kann oder will. Doch trotzdem ist es eine Sucht.
Gestern war keiner dieser Abende, für den ich mich schämen muss. Heute ist einer dieser Tage, an dem mir bewusst wird, dass ich etwas ändern muss, wenn ich ein glückliches und langes Leben führen möchte. Aus diesem Grund möchte ich mich heute von dir verabschieden. Mach es gut lieber Alkohol, wir haben es lange miteinander ausgehalten, aber ich glaube, es ist besser, wenn wir keine Freunde mehr sind.
Fotos: Fenja Schulz
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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.
Liebe Sofia!
Gratulation für die Ehrlichkeit, Gratulation zu so viel Mut über eine Sucht zu sprechen (schreiben), von der man selbst betroffen war. Ich wünsche Dir , dass für Dich das Leben d a s bringt, wovon Du träumst. Denn: „Träume sind die Pläne der Verständigen“ und „Selbst die größte Reise, beginnt mit dem ersten, kleinen Schritt.“ )Konfuzius.
Alles Liebe
Walter