Warnung: Dieser Text enthält Schilderungen von Alkoholmissbrauch.
Mein Kopf tut weh. Mal wieder. Es ist nicht nur der Alkohol von letzter Nacht, der mich nicht schlafen lassen will, es sind die Gedanken, die er verursacht hat. So viele Jahre erzähle ich mir nun schon immer und immer wieder dieselbe Lüge:
Morgen hör ich auf.
Bis die nächste Gelegenheit und die damit verbundene Entschuldigung kommt. Ein Leidenszustand, der seit meinem 14. Lebensjahr zu mir und meinem Leben gehört. Gefolgt von Gewissensbissen, mit denen ich beinahe wöchentlich zu kämpfen habe.
Ich fühle mich schlecht, wirklich schlecht. Ich möchte diese Person nicht sein, die du aus mir machst. Warum kannst du mich nicht einfach mal in Ruhe lassen? Könntest du sprechen, dann würdest du mir wahrscheinlich sagen, dass du keine bösen Absichten hast. Du willst nur eine schöne Zeit mit mir haben. Und wie ich sie mit dir verbringe, liegt ganz allein bei mir.
Es gab nur wenige Abende in meinem Leben, die in Verbindung mit Alkohol friedlich verlaufen sind. Je älter ich wurde, desto schlimmer wurde auch das Aufwachen am nächsten Morgen. Denn mit zunehmendem Alter wird mir bewusst, was das Trinken mit mir macht. Und was ich betrunken mit anderen mache. Ich rede mir immer wieder ein, dass ich dann liebenswürdiger bin und die Leute meine Gesellschaft mehr genießen, wenn ich getrunken habe. Aber wie kann das wahr sein, wenn sie sich von mir entfernen? Sie können mir am nächsten Morgen nicht in die Augen schauen, weil sie gesehen haben, dass ich vor allem eines liebe: mich selbst.
Immer wieder mache ich Witze über mich und meine Rauschzustände. Gebe mich den peinlichen Versuchen hin, meinen Selbstwert zu pushen, indem ich mich als Alkoholikerin bezeichne – doch in Wahrheit bin ich müde, müde über das Wissen, mein Trinkverhalten nicht unter Kontrolle zu haben. Trotzdem feiere ich weiter, ohne Stop, weil ich von dem Gefühl der Zugehörigkeit nicht genug bekommen kann. Alkohol, du machst mich sozialer. Auf Partys bin ich dank dir geselliger, komme mit jedem klar und kann unbeschwert auf Dates gehen, nicht wahr? Das ist doch alles nur Spaß. Und ich bin mir ja auch meiner eigenen Fehler bewusst, das weißt du. Warum macht es das nicht erträglicher?
Weil morgens aufzuwachen und nicht zu wissen, wie der vorherige Abend verlaufen ist, kein schönes Gefühl ist. Insbesondere dann nicht, wenn die erste Nachricht, die ich am Morgen nach einer Partynacht lese, lautet „War gestern nicht so cool von dir“. Meine darauffolgende halbherzige Entschuldigung bringt dann auch nicht viel. Wie soll ich ernst genommen werden, wenn ich überhaupt nicht weiß, wofür ich um Verzeihung bitte. Hallo Blackout, danke, dass du mich in der Illusion leben lässt, dass die anderen schuld sind. Ich wünschte, die wären auch so locker wie du. Das Leben ist doch schließlich zum Spaßhaben da.
„Girls Just Want To Have Fun“ von Cyndi Lauper ist vermutlich einer der bekanntesten Popsongs überhaupt. Und leider auch das Motto meines betrunkenen Ichs. Ein teures Hobby noch dazu. Wenn ich besoffen bin, verabschiedet sich der Inhalt meines Geldbeutels binnen kürzester Zeit von mir. Ich glaube, ich kann an zwei Händen abzählen, wie oft ich nach einer durchzechten Nacht nach Hause gekommen bin und am nächsten Tag nur noch einen Schein vorgefunden habe.
Ist das nicht traurig?
Es gibt nicht viele Storys von mir, die ein gutes Ende genommen haben, sobald ich einmal angefangen habe zu trinken. Die Liste meiner Alkoholexzesse wiederum ist endlos. Während der letzten Jahre feierte ich hart. Ein Glas Wein oder eine Flasche Bier ergibt für mich keinen Sinn. Auch Krankenhausaufenthalte und Alkoholvergiftungen halten mich nicht davon ab weiterzumachen.
Ich denke dann: Solche Erfahrungen muss jede:r einmal machen, so testet man seine Grenzen aus. Doch das komische Gefühl, dass ich manchmal habe, wenn ich trinke, geht nicht weg. Abende, wie dieser, den ich Anfang des Jahres bei einem Date hatte, geben mir besonders zu denken. Es war die erste und unglaublicherweise nicht die letzte Verabredung mit einem Mann, bei der ich so betrunken war, dass ich am nächsten Morgen mit einem blauen Auge aufwachte, ohne jemals zu erfahren, woher.
Oder dieser, als ich noch in der Gastronomie arbeitete und auf der Arbeit so viel getrunken habe, dass ich am Ende der Schicht meine Abrechnung nicht mehr machen konnte. Einmal musste mir meine Chefin dabei helfen. Und was ist mit der letzten Weihnachtsfeier, bei der ich meinem Chef besoffen vor versammelter Mannschaft gestand, dass er eine Vaterrolle für mich hat. Sie endete an einer Straßenbahnstation, an der ich morgens verkatert und alleine aufwachte. Geld, Handy, Erinnerungen – alles weg.
Unzählige Male machte ich mich über andere Menschen lustig, ohne Rücksicht auf Gefühle. Doch an die meisten Sachen erinnere ich mich nicht mehr.
Als ich zwölf war, das war im Kroatienurlaub mit meiner Familie, probierte ich zum ersten Mal Schnaps. Kurz darauf fing es an. Seitdem habe ich mich und meinen Alkoholkonsum nicht unter Kontrolle und auch heute, mit 27, kenne ich kein Ende, wenn ich einmal angefangen habe zu trinken. Nur selten alleine, meistens trinke ich in Gesellschaft. Dabei verspüre ich nicht den Drang, mich zu betrinken, weil jeder Tropfen köstlich für mich ist. Ab und zu schütte ich Alkohol auch weg, wenn ich nicht mehr kann oder will. Eine Sucht ist es trotzdem. Weil ich das zwanghafte Verlangen verspüre, zu trinken, wenn ich mich nicht gut oder alleine fühle. Weil ich die Kontrolle über die Menge meines Alkoholkonsums und zu welchen Anlässen ich trinke, verloren habe. Weil ich jetzt schon darüber nachdenke, all diese Gedanken mit einem Bier wegzuspülen und wieder dem Rausch zu verfallen.
Gestern war keiner dieser Abende, für die ich mich schämen muss, weil ich mich ausnahmsweise nicht ins Blackout gesoffen habe. Heute ist einer dieser Tage, an denen mir bewusst wird, dass ich etwas ändern muss, wenn ich ein glückliches und langes Leben führen möchte. Aus diesem Grund wirst du mich ab heute in Ruhe lassen, denn ich werde mich von dir verabschieden. Mach es gut lieber Alkohol, wir haben es lange miteinander ausgehalten, aber ich glaube, es ist besser, wenn wir keine Freunde mehr sind.
Trinkst du auch zu viel?
Hier gibt es Infos und Hilfe:
www.gesundheitsinformation.de
Dieser Text erschien erstmals am 03. Oktober 2020 und wurde am 13. August 2021 nochmals aktualisiert. Diese Veröffentlichung war vergangenes Jahr der Auslöser für mich, meinem Alkoholmissbrauch ein Ende zu setzen. Seither genieße ich es, die Welt nüchtern zu entdecken und mich selbst neu kennenzulernen.
Collage © Teresa Vollmuth

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Autor:innen
Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.