Ich bin Mitte 20, ziemlich groß und ziemlich dünn. Schlaksig würde man sagen und dazu bin ich noch mit einer wohlgeformten Silhouette gesegnet. Eigentlich sollte ich sehr glücklich über meine schlanke Figur sein, nachdem ich vor wenigen Jahren noch fast 90 kg wog. In meiner Familie sind Gewichtsprobleme nichts Unbekanntes, das liegt bei uns in den Genen. Groß, dünn und einer dieser verhassten Menschen zu sein, die alles tragen können, was sie möchten, sollte doch eigentlich einen Grund zum Wohlfühlen geben und keine Einladung für Selbstzweifel sein.

Ein ziemlich arger Wachstumsschub, der meine üppigen Kurven mit sich zog, hat vielen Menschen in meinem Umfeld den Anlass dafür gegeben, über meine Figur zu urteilen. Ganz vorne mit dabei meine eigene Familie. „Dein Po ist ja riesig”» „Stopfst du deine Brüste aus?” oder „Isst du etwa schon wieder was?”. Meine Mutter unterstellte mir jahrelang, dass ich meine Brüste ausstopfe, weil sie nicht glauben konnte, dass sie wirklich so groß sind. Mein Vater verglich meine Figur regelmäßig mit der meiner Stiefmutter, die viel schmaler geschnitten ist als ich – ganz nach dem Motto: alles andere ist nicht schön. Und jedes Mal wenn ich in die Küche ging, um mir etwas zu essen zu machen, wurde auch das fleißig kommentiert.

Ich fing schon früh an, mir Gedanken über meinen Körper zu machen. Die Sprüche und Blicke haben natürlich nur dazu geführt, dass ich mich in meinem Körper noch unwohler fühle. Dadurch habe ich richtige Komplexe entwickelt. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich nicht die schlanke Frau, die ich bin. Ich sehe zu dicke Oberschenkel, einen weichen Po, Cellulitis, hängende Brüste, einen untrainierten Bauch, schmale Wangen und noch vieles mehr. Diese Gedanken begleiten mich schon seit meinem zwölften Lebensjahr. Anderen Frauen schiele ich hinterher und beneide sie um das, was ich bei mir vergeblich suche.

Eine langjährige Beziehung und der verlorene Glaube an mich selbst haben mich vor einigen Jahren dazu gebracht, dass ich mir knapp 30 Kilogramm anfutterte. Das hatte zwar keine großen Folgen für mich, doch glücklich bin ich trotzdem nicht. Die Essstörung und das gestörte Verhältnis zu mir und meinem Körper waren schon vorher da. Nachdem ich immer wieder mit den Kilos zu kämpfen hatte, fing ich mit 18 an, meine Ernährung viel zu ernst zu verfolgen. Eine Zeit lang aß ich nach 18 Uhr nichts mehr. Achtete auf Kalorien und ernährte mich zum Großteil von Obst und Gemüse. Auch heute noch bin ich viel zu streng mit mir und leide unter regelmäßig auftretenden Fressattacken.

Ich fing erst an, mir bewusst Gedanken über meine Körperwahrnehmung zu machen, als ich vergangene Woche mit ein paar Freundinnen oben ohne in meinem Zimmer saß und wir uns unsere Selbstzweifel offenbarten: Sie alle haben Komplexe, wie ich. Eine von ihnen trägt lieber Sport-BHs, da sie mit der Form ihrer Brüste nicht zufrieden ist; das kaschiert. Die andere findet ihre Brüste zu groß und schämt sich dafür. Eine weitere Freundin war den ganzen Abend unzufrieden mit ihrem Outfit, da sie unsere Kleidung als schöner empfand. Eine hält sich für zu klein und hasst ihre Oberschenkel, die ihrer Meinung nach nicht zu ihrem Körper passen. Ein paar der Mädels klagte über unreine oder ledrig aussehende Haut. Eine wollte sogar nicht mit uns an den See fahren, weil sie sich neben den „dünnen” Mädchen nicht wohlfühlt. Wir alle haben Stellen an unseren Körpern, die wir gerne anders hätten, und hatten jede Menge zu meckern – und ich frage mich, wie konnte ich nur denken, dass ich alleine mit diesen Problemen bin.

Wenn man sich mit anderen Frauen vergleicht und zusätzlich noch von den männlichen Freunden zu hören bekommt, wie geil die Frau neben dir doch aussieht, dann sind Körperkomplexe für manche Menschen unaufhaltsam. Mir persönlich ist das erst richtig bewusst, seit ich von den Unsicherheiten meiner Freundinnen erfahren habe. Wenn man selbst die eigenen Brüste als unschön wahrnimmt, und dann von fünf anderen Frauen zu hören bekommt, dass sie gerne mit einem tauschen würden, ist das wohl das schönste und stärkste Kompliment, das man erhalten kann. Und nicht nur ich ging mit einem erleichternden Gefühl aus der Runde, auch meine Freunde waren sichtlich glücklicher, nach unserer kleinen Party.

Der Punkt ist nicht das eigentliche Gewicht oder die Form unseres Körpers – der Punkt ist, dass die eigene Figur thematisiert wird, dass sie jemand zum Hauptthema in der Beschreibung deiner Person macht und dass Leute dich direkt verletzen, indem sie dich ungefragt in ihr sexuelles oder ästhetisches Weltbild einordnen. Stattdessen könnte man das gegenseitige Abchecken doch auch einfach auf die direkte Partnersuche beschränken und sich gegenseitig Mut zu sprechen. Ja, es gibt Körpertypen, die in der Regel als besonders attraktiv empfunden werden. Das heißt aber nicht, dass sie die Einzigen sind. Vielleicht sollten wir lernen, unterschiedliche Typen zu akzeptieren, und aufhören, Shaming zu betreiben – unabhängig vom Geschlecht. Wir sollten das tragen können, worauf wir Lust haben, ohne uns dabei unwohl zu fühlen.

 

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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