Ich bin am frühen Abend zum Zoomen mit meiner Patentante und ihrer Tochter verabredet. Ich weiß von Leni, der Tochter, dass sie vegetarisch ist. Sie ist neun Jahre alt und lebt überwiegend bei ihrer Mutter. Bevor wir über das Thema Fleischkonsum reden, spielt sie mir Billie Eilish-Songs auf dem Klavier vor, zeigt Bilder, die sie malt und macht einen perfekten Spagat. Außerdem hält sie die Kamera in den Stall ihrer Kaninchen.
DIEVERPEILTE: Wie bist du vegetarisch geworden?
Leni: Ich habe beschlossen vegetarisch zu werden, als ich mit Mami und Papi am Tisch saß und es Zitronen-Huhn gab. Man konnte das Huhn ganz sehen. Und dann hat Papi mir einen Schenkel auf den Teller gelegt und ich habe angefangen zu heulen, weil ich das nicht essen wollte. Ich habe vorher schon manchmal darüber nachgedacht, aber da war es wirklich so: Jetzt werde ich vegetarisch! Außerdem möchte ich unter anderem Tierschützerin werden und dann wäre es ja dumm, wenn ich Fleisch essen würde.
Als du das Huhn gesehen hast, was hast du gedacht?
Ich habe darauf gestarrt und Mami hat gesagt „Du willst das nicht essen, ne?“. Dann hab ich angefangen zu weinen und bin in mein Zimmer gerannt. Ich denke, ich habe mir vorgestellt, wie es geschlachtet wurde, wie es gelebt hat und wie kleine Küken aussehen. Seitdem habe ich kein Fleisch gegessen. Ich habe noch nie eine Ausnahme gemacht und ich werde auch nie eine machen. Das habe ich dann immer wieder beschlossen und dann gab es bei Papi vegetarischen Hähnchenspieß und – naja – das hat mir geschmeckt. Mir fehlt der Fleischgeschmack nicht. Mein Lieblingsessen in der Schule war Hühnerfrikassee aber das vegetarische Essen dort ist voll ekelhaft. Ich finde, die Alternative sollte dann auch lecker sein. Nicht, dass man es nachher wieder auskotzt.
Wusstest du vorher schon, dass es Menschen gibt, die kein Fleisch essen oder was „vegetarisch“ bedeutet?
Wir hatten eine Mitbewohnerin, die kein Fleisch gegessen hat und in meiner Klasse war auch ein Mädchen, das darauf verzichtet.
War das ein Thema in der Schule?
Eigentlich nicht. Für meine Mitschülerin war ganz klar: „Ich bin vegetarisch. Ich bekomme vegetarisches Essen.“ Und dann wollte ich auch vegetarisch werden. Und als ich das gesagt habe, hat sie „Juhuu“ gerufen, weil sie da- mals die Einzige war. Thema im Unterricht war das nicht. Ich bin aber auch froh, dass das noch nicht so war.
Würdest du dir wünschen, dass das zu einem Thema wird?
Tierschutz gerne, aber nicht Fleisch essen. Wir müssen darüber reden, dass wir den Bienen mehr helfen oder generell wie wir Tieren helfen können. Ich war mal mit einer Freundin verabredet und wir haben ganz viele Schilder gemalt. Mit denen sind wir um den Block gegangen und haben sie überall hingeklebt. Da stand drauf „Rettet die Schildkröten!“.
Du hast gerade Tierschutz und Fleisch essen getrennt. Wieso?
Tierschutz ist gut. Aber ich möchte nicht über Fleisch essen reden. Wenn ich mir die Tiere, die geschlachtet werden vorstelle, fange ich an zu heulen. Ich möchte, wenn ich erwachsen bin, oder wenn ich nicht mehr da bin, dass kein Fleisch mehr gegessen wird. Ich möchte so viel ausrichten, dass es verboten wird, Tiere zu schlachten.
Hast du mal Probleme gehabt, weil es irgendwo keine vegetarische Alternative für dich gab?
Wenn es die nicht gibt, nehme ich eben nicht das Fleisch. Sondern nur die anderen Sachen, wenn sie mir schmecken. Eigentlich haben wir bei Ausflügen eine Brotdose dabei.
Was kann man deiner Meinung nach tun, um Menschen auf Vegetarismus und Tierschutz aufmerksam zu machen?
Man muss Werbung machen mit: „Rettet die Tiere. Werdet vegetarisch.“ Die sollen sich vorstellen, wie das ist. Man wird einfach getötet, weil man lecker schmeckt. Finde ich bescheuert. Ist halt so. Werbung wäre, wie ein armes Tier geschlachtet wird. Zum Beispiel ein Bild mit einem Pferd und daneben ein Pferdesteak. Oder links ein Huhn und rechts ein Hähnchenschenkel. Dann denken die Menschen: „Das ist ein Tier, das ich esse.“
Wenn du Werbung für Fleisch siehst, was denkst du?
Ich gucke dann weg. Oder ich achte gar nicht darauf. Aber wenn mir gesagt wird „Es gibt jetzt Essen für Hunde auch in vegetarisch.“, dann freue ich mich.
Kochst du selbst?
Ich habe schon bei Mami Nudeln gekocht und ich backe manchmal Plätzchen nach Rezept. Ich habe meinen Papi mal gefragt „What makes you happy?“. Das war eine Englisch-Hausaufgabe. Und dann hat mein Papi gesagt „Cooking with my daughter makes me happy.“ Ich koche oft mit ihm.
Essen deine Eltern in deiner Anwesenheit Fleisch?
Mami und Papi essen wenig Fleisch. Sie sind flexitarisch.
Die Mutter: Wir richten uns da nach ihr. Wir kochen dann rein vegetarisch.
Leni: An Weihnachten gab es Raclette und da war Schinken bei. Ich habe überlegt, ob ich eine Ausnahme mache, aber das habe ich nicht.
Was denkst du, wenn du andere dabei siehst?
Wenn ich bei meiner besten Freundin bin, sag ich „Ich bin vegetarisch“ und dann esse ich nur Beilagen. Wenn die anderen Fleisch essen, ist es mir egal. Meine beste Freundin ist tierlieb und sie isst Fleisch. Das ist ihre Entscheidung, aber ich find’s doof. Ich würde sie nicht dazu auffordern, aber ich würde es ihr raten.
Es gab vor ein paar Jahren ein Video von Jamie Oliver, dem Fernsehkoch. Der hat Kindern Küken gezeigt. Die fanden die Küken super und haben sich um sie gesorgt. Obwohl sie vor ihren Augen zu Nuggets verarbeitet wurden, haben die Kinder sie danach gegessen. Viele Menschen machen sich nicht bewusst, dass sie ein totes Tier essen.
Mami meinte, dass ich als kleines Kind mal Kaninchen gegessen habe. Wenn ich jetzt ein Kaninchen sehen würde, würde ich alle verprügeln, die das essen. Na gut. Würde ich nicht. Ich würde total heulen. Ich habe Kaninchen und hatte zu denen einen Alptraum: Ich habe geträumt, dass Papi die Wolki – mein ziemlich dickes Kaninchen – zu einem Braten macht und ihm den Kopf abhackt. Ich hatte die Kaninchen schon, bevor ich vegetarisch wurde.
Hast du schon mal eine Schlachtung gesehen?
Nein. Ich habe noch nie gesehen, wie ein Tier geschlachtet wird. Ich würde mir das nicht angucken. Niemals.
Wie stehst du zum Verzehr von Fisch oder anderen Tierprodukten?
Ich esse noch Fisch. Aber ich esse keine Garnelen, weil man die komplett sieht. Aber Fischstäbchen mag ich total gerne und Lachs auch. Aber ich mag keinen ganzen Fisch, weil man den sieht. Ich esse also nur Stücke. Papi meint, davon gibt’s genug. Ich möchte nicht vegan werden. Besonders nicht als Kind. Ich glaube, dann ist es ungesund, vegan zu sein. Man braucht die Nährstoffe ja.
Lernst du oft Leute kennen, die sich fleischlos ernähren?
Eine Schulfreundin aus meiner Klasse ist vegetarisch. Als ich mich dazu entschlossen habe, ist eine weitere Klas- senkameradin dazu gekommen. Zwei große Brüder von Freundinnen aus der Nachbarschaft sind es auch.
Die Mutter:
Es sind sehr viele Kinder. Und ich denke nicht, dass das für sie eine radikale Entscheidung war. Die kennen das. Zum Beispiel von ihren Geschwistern. Diese Entscheidungen werden hier von den Kindern getroffen, ohne dass die Eltern vegetarisch sind. Ich finde es gut und möchte es unterstützen. Ich finde das wegweisend: Mitfühlen mit den Tieren!
Manche Leute feiern, wenn sie veganen oder vegetarischen „Geburtstag“ haben. Also den Jahres- tag, an dem sie beschlossen, ihren Konsum zu verändern: „Ein Jahr Fleisch-frei!“
Leni: Das mache ich nicht. Aber ich versuche herauszufinden, wann meine Kaninchen Geburtstag haben und mit ihnen ihren Geburtstag zu feiern.
Wir können Kaninchen-Geburtstag feiern! Genau. Über Zoom.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE / Bild: Jens Peters

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Ich bin auch mit 10 Jahren Vegetarierin geworden, bin es aber mittlerweile nicht mehr. Wenn sie bei ihrer Meinung bleibt, wird sie sich bestimmt wenn sie älter ist vegan ernähren. Für Milch und Eier sterben ja genauso Tiere. Dass es genug Fische gibt, ist halt eine absolute Lüge.