Ich bin vegan. Das sage ich aber nicht, weil ich den Drang habe, es allen auf die Nase zu binden. Ich spreche es überhaupt nur selten aus, weil dieser Satz so Klischee ist, dass ich immer schon vor mir sehe, wie man mich in eine Schublade stopft. Am Label steht „Moralisch überheblich“. Lieber halte ich mich mit dieser Information zurück und knabbere leise an meiner Selleriestange. Diesmal sage ich es aber doch, weil mir etwas anderes aufgefallen ist. Nicht nur gibt es Dinge, die ich nicht esse, es gibt auch Menschen, denen ich nicht über den Weg laufe. Menschen wie die 23-jährige Melissa. Seit 2012 arbeitet sie in der Landfleischerei in einem kleinen Ort in Thüringen. Weil wir wissen wollten, wie das so ist, wenn man beruflich mit Fleisch zu tun hat, haben wir sie um ein Interview gebeten.
DIEVERPEILTE: Wie ging es nach deiner Lehre in der Landfleischerei weiter?
Melissa: 2018 habe ich eine Weiterbildung gemacht, weshalb ich jetzt meine eigene Filiale leiten darf.
Wie ist deine Filiale aufgebaut?
Wir haben den Verkaufsraum mit der Ausstellungstheke, ein riesiges Kühlhaus, wo alles gelagert wird, einen Vorbereitungsraum und die Anlieferungszone. In meiner Filiale arbeiten sechs Menschen. Mit Lehrlingen und Hilfskräften haben wir 10 Fleischer:innen und insgesamt 50 Verkäufer:innen in 6 Filialen.
Wer arbeitet in einer Fleischerei?
Mein Beruf heißt Fleischfachverkäuferin. Und dann haben wir noch Fleischer:innen. Der Unterschied ist, dass Fleischer:innen überhaupt keinen Kundenkontakt haben, zumindest nicht bei uns.
Sondern?
Sie produzieren und zerlegen und die Verkäufer:innen machen Feinarbeiten.
Welche Aufgaben haben die Verkäufer:innen?
Spieße stecken oder die Theke schön machen zum Beispiel. Wir haben viel Kundenkontakt. Aber ich durfte selber auch mal in die Produktion. Die fangen zwar schon um vier Uhr morgens an, aber es war ultra interessant zu sehen, wie das alles so vonstatten geht. Dass ich selber was machen durfte, was dann andere Menschen verkaufen, fand ich echt cool. Aber die Woche zur Probe hat mir gereicht. So früh aufzustehen schaffe ich körperlich überhaupt nicht.
Wie sieht deine typische Arbeitswoche aus?
Generell erst mal Vorbereitung ohne Ende. Und dann auf jeden Fall viel sauber machen.
Mal ehrlich, putzt ihr wirklich jeden Tag die Theke?
Ja klar, darauf wurde ich auch ziemlich getrimmt. Jedes Jahr werden wir kontrolliert und es werden Proben genommen. Unser Betrieb, also unser Hauptgeschäft, wird auch zweimal pro Jahr von verschiedenen Fachleuten kontrolliert. Darauf muss man ziemlich achten, sonst kann man mächtig Ärger kriegen. Wenn es Mängel gibt, muss der Laden geschlossen werden, bis die beseitigt werden und man bekommt eine Verwarnung. Nach drei Verwarnungen muss der Betrieb ganz schließen und man bekommt glaube ich sogar eine Geldstrafe. Aber mehr als eine Verwarnung hat es bei uns noch nie gegeben.
Sorry, ich hatte dich unterbrochen…
Montag müssen wir alles vorbereiten, weil wir ja einen Tag zu hatten. Salate zubereiten, den Aufschnitt frisch machen. Deswegen ist montags immer ziemlich stressig. Freitag ist auch anstrengend, weil da Tausende Menschen kommen. Dazwischen kochen wir einige Fertiggerichte, weil es ziemlich viele faule Menschen gibt. Für die machen wir Schnitzel und Hackklöße, damit sie nichts mehr zu Hause machen müssen. Samstag arbeiten wir meistens pro Schicht alleine, damit für die anderen langes Wochenende ist. Da kommen auch viele Auswärtige, die Thüringer Bratwürste mitnehmen wollen.
Gibt es also bestimmte Typen unter den Kund:innen?
Ja auf jeden Fall. Es gibt Menschen, die man total voraussehen kann. Die kommen immer am exakt gleichen Wochentag zur exakt gleichen Uhrzeit und die kaufen immer das gleiche. Wenn die dann schon anstehen, dann sag ich immer „Jetzt gibt es eine Angebotsknackwurst“ oder „Vier Scheiben Kochschinken“ oder so. Das ist schon schade, dass manche Leute immer das gleiche essen, jede Woche. Man kann so viel in seinem Leben ausprobieren, aber manche sind einfach so festgefahren, dass es schon fast eigenartig ist.
Amüsieren dich eure Kund:innen manchmal?
Ja, manchmal auf jeden Fall. Also es sind schon ziemlich eigenartige Menschen. Dann hat man zwischendurch auch sehr böse Leute, die einfach die Wut an einem auslassen wollen. Aber es gibt auch ziemlich witzige und freundliche Menschen. Viele erfinden einfach Wörter für unsere Wurst, zum Beispiel „Küppelknackwurst“. Die lustigsten Sachen schreiben wir tatsächlich immer auf, in so ein kleines Buch.
Lacht ihr auch über Vegetarier:innen oder Veganer:innen?
Ne gar nicht. Ich bin da auch ziemlich tolerant, weil ich selber viele vegetarische Sachen esse. Aber vegan, das könnte ich mir im Moment überhaupt nicht vorstellen. Dafür esse ich viel zu gerne Leberwurst. Aber auslachen würde ich die auf jeden Fall nicht. Da probier ich lieber, denen vielleicht auch was zu essen zu suchen oder zu verkaufen. Vegetarische Sachen haben wir, vegan vielleicht sogar auch. In Zukunft fände ich es schön, mehr in diese Richtung zu gehen. Aber ich hab leider auch noch einen Chef über mir, der überhaupt nicht darauf eingehen will. Das ist echt schwierig, gegen dieses System zu arbeiten, weil es dem auch nur um die Wirtschaftlichkeit geht und ums Geld. Aber hoffentlich schaffe ich es irgendwann in Zukunft.
Wie fühlt sich das an jeden Tag tote Tiere zu verkaufen?
Also ich denke darüber nicht mehr nach, so wie das wahrscheinlich jeder sagt, wenn einem so eine Frage gestellt wird. Mir kommt das jetzt nicht so vor, als ob das mal gelebt hat. Das ist eigentlich echt eigenartig. Aber ich achte sehr darauf, dass meine Kolleg:innen nichts wegwerfen, sondern alles verwerten, was wir bekommen. Als ich mit fünfzehn angefangen habe zu lernen, hatte ich noch überhaupt keine Ahnung, auch von kochen. Ich bin echt verdammt froh, dass ich ältere Kolleg:innen hatte, die mir das eingefuchst haben, dass es nicht nur um Geld geht. Der Respekt zum Tier und zum Fleisch hat sich auf jeden Fall dadurch aufgebaut.
Wie sehr interessierst du dich für eure Produkte?
Unser Rindfleisch ist aus eigener Aufzucht und aus eigener Schlachtung und das Schweinefleisch ist auch aus Thüringen, darauf achtet mein Chef. Außer eben die Sauen, die sind aus Leipzig, glaube ich. Dadurch haben wir kürzere Transportwege als aus Holland oder wo andere Betriebe das herkriegen. Das finde ich auch ganz schön, dass er da drauf achtet. Bio-zertifiziert sind wir aber nicht. Letztens habe ich mir die Betriebe mal im Internet angekuckt, da konnte ich nur leider überhaupt nicht einsehen, wie die Tiere da gehalten werden. Ich sehe nur hier im Dorf, wie die Rinder leben. Die stehen auch halbjährig auf der Weide, das ist wenigstens etwas. Manchmal kuck ich mir dann auch an, welcher Bulle dann nächste Woche geschlachtet wird, das ist schon echt eigenartig.
Wie siehst du so Fleisch aus dem Supermarkt im Vergleich zu Fleisch von euch?
Das finde ich einfach nur traurig. Dass das Menschen auch kaufen… Aber es gibt viele Menschen, die eben auch aufs Geld achten müssen. Es wird ja alles in Massen produziert im Moment und das ist furchtbar, das ist wirklich furchtbar. Aber ich denk mal die Menschen, die auf diesen Schlachthöfen arbeiten, die müssen auch ihre Miete zahlen, selbst wenn sie dann auch noch ausgenutzt werden. Dabei ist unser Rindfleisch tatsächlich sogar billiger, weil es aus der Gegend kommt. Das hätte ich nicht gedacht. Aber die Menschen wissen das eben nicht. Wir sollten vielleicht mehr Werbung machen.
Wie glaubst du, sehen andere Leute deine Arbeit?
Wenn junge Mädchen an mir vorbeilaufen, sehen die mich manchmal so an — die denken sich wahrscheinlich „Oh mein Gott, wie kann die das machen“. Aber eigentlich interessieren sie sich überhaupt nicht dafür, was ich mache. Deswegen hatte ich auch ein bisschen Angst vor dem Interview. Diskriminiert oder sogar angefeindet zu werden geht ja durchs Internet auch rasend schnell. Aber ich mag meine Arbeit. Als ich angefangen habe zu lernen, hätte ich nie gedacht, dass mir das so Spaß macht irgendwann. Weil ich wirklich mein eigener Chef werden konnte, so kreativ sein kann, wie ich möchte und so viele freundliche Menschen kommen.
Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE .

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Autor:innen
War bis November 2022 Redakteurin bei DIEVERPEILTE. Hat Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften in Wien studiert und befindet sich aktuell im
Philosophiestudium. Themenschwerpunkte sind Gesellschaft, Wirtschaft und
Poltik.