Schon erstaunlich, wie viele Menschen man auf einmal an ihren Fenstern sieht, während sie mit Gummihandschuhen fleißig am Schrubben sind. Anstatt ihre Zeit in Cafés zu verplempern, bringen sie lieber ihre Wohnungen auf Vordermann. Sehr vorbildlich. Ach ja, da war ja was. Demnach die optimale Zeit, um mit dem Frühjahrsputz loszulegen. Und während ich den Leuten von meinem Fenster aus beim Putzen zu sehe, rauche ich meine Zigarette und bin dankbar, dass ich was zum Gucken habe. Nachdem die Kippe aufgeraucht ist, schaue ich mich in meiner Wohnung um und mir fällt auf, dass unserem Putzplan in letzter Zeit wohl nicht so viel Beachtung geschenkt wurde. Überall ist Staub, meine Socken bleiben am Boden kleben und das Geschirr gehört angeblich auch niemanden. Doch anstelle selbst mal Hand anzulegen und dem Dreck in unserer Wohnung den Kampf anzusagen, finde ich es bequemer, im Internet nach Putzsklaven zu suchen. Da ich zu den Menschen gehöre, die nur halbherzig und unordentlich sauber machen, verliere ich schnell die Lust daran. Wahrscheinlich würde ich mich später nur darüber ärgern, dass die Wohnung durch meine Aktion noch chaotischer aussieht als zuvor. Also schaue ich mir lieber mal den Instagram-Account des 29-jährigen Stephen an. Dort schreibt er, dass er in Nürnberg nach neuen Aufträgen als Putzsklave sucht. Seit einigen Jahren lebt Stephen eine besondere Neigung aus: Online bietet er sich verschiedenen Haushalten als „Putzsklave“ an und erledigt dabei unter anderem Putztätigkeiten. Doch eigentlich verdient er seine Brötchen im Content Marketing. Also frage ich mich, warum dann der Putzjob? Um mehr über darüber zu erfahren, habe ich mich mal mit ihm über seine spezielle Neigung unterhalten. 

Auf deinem Instagram-Account schreibst du, dass du nach neuen Aufträgen als Putzsklave suchst. Was kann man sich darunter vorstellen?
Ein Putzsklave ist eine devote Person, die unterschiedliche Kinks, also Vorlieben haben kann. Grundsätzlich sind das Menschen – vor allem Männer – die gerne dienen, die aber auch auf die erniedrigende Aspekte stehen, die damit einhergehen, für andere unliebsame Aufgaben zu übernehmen. Das ist Dienen im eigentlichen Sinn und somit ein gelebtes Machtgefälle. Wenn ich irgendwo als Putzsklave bin, dann arbeite ich wirklich die Sachen weg, die man mir aufträgt und versuche, das so gewissenhaft wie möglich zu tun. Neben dem D/S-Bereich kann es zu Überschneidungen mit unterschiedlichsten Formen des Fetischismus kommen, was bei mir nicht der Fall ist.

Wann hast du diese Neigung bei dir entdeckt und seit wann lebst du sie aus?
Dass ich devot bin, war, glaube ich, schon immer da. Ich hatte eine echt entspannte Bilderbuch-Kindheit, aber mich haben schon sehr früh Machtdynamiken fasziniert, etwa in Comics oder in TV-Shows. Wenn da jemand einen anderen gefangen hielt oder unterdrückte, fand ich das auf einer abstrakten Ebene interessant. Und ich habe mir immer willensstarke Freunde gesucht, später war meine erste Freundin sehr dominant. Heute weiß ich, dass ich es schon damals mochte, wenn andere den Ton angeben und ich einfach folgen kann. Über das Internet, das es damals glücklicherweise schon gab, konnte ich mich informieren und habe schnell festgestellt, dass ich damit nicht alleine bin. Mit 17 bin ich zu meinem ersten Treffen mit anderen Kinkstern in meinem Alter gegangen, und so fing alles an. Das mit dem Putzen bei WGs oder Paaren mache ich nur dann, wenn ich gerade keine Partnerin habe. Eine dominante Freundin zu haben, ist für mich der Idealzustand – das Putzsklaven-Dasein ein Füllzustand.

Was würdest du den Menschen jetzt gerne sagen, die noch nicht so selbstbewusst mit ihren Fantasien umgehen wie du?
Eine Neigung wie diese muss natürlich nicht immer Gründe haben. Wir wissen, dass sich sexuelle Orientierung und Präferenz sehr ähnlich sind, oft kann man nicht sagen „das und das“ mag ich, weil „das und das“ passiert ist. Der Kontakt mit anderen hilft, das für sich selbst besser einzuordnen und zu verstehen. Außerdem tickt jede devote Person etwas anders, was ich hier also antworte, sind größtenteils lediglich meine persönlichen Ansichten und Erfahrungen – ich maße mir nicht an, für eine ganze Szene zu sprechen.

Inwiefern befriedigt dich die Tätigkeit als Putzsklave?
Das fühlt sich vielleicht so an, wie bei Vanilla-Paaren das halbstündige Rumknutschen auf der Couch. Es ist eine Art des intensiven Vorspiels, auch wenn man vielleicht nicht oder nicht durchgehend erregt ist. Es ist eine sehr emotionale Erfahrung, etwas, das ganz ohne Orgasmus befriedigen kann. Das ist die beste Beschreibung, die ich dafür habe.

Was hast du an, wenn du putzen gehst?
Meistens habe ich ganz normale Kleidung an. Vor allem, wenn die Leute, bei denen ich putze, noch nicht so viel Erfahrung damit haben. Es gibt aber auch viele WGs, die da ziemlich krass sind und sofort drauf bestehen, dass man nackt putzt oder mit einem Halsband. Und währenddessen darf man die ein oder andere Gemeinheit ertragen.

Im Übrigen ist das ein echtes Muster bei reinen Frauen-WGs. Die wirken nur auf ihren Bildern so süß und unschuldig

Würde es dich auch anturnen, wenn ein Putzsklave mal zu dir nach Hause kommt?
Vielleicht. Ich bin ein bisschen Switch. Das heißt, der Gedanke fasziniert mich manchmal, in einem Setting zu einem Gegenüber dominant zu sein. Allerdings ist das im Vergleich zu meiner Devotion sehr gering ausgeprägt, das heißt, ich könnte das nicht lange genießen. Und ich weiß first hand, dass man es sich als Putzsklave wünscht, auch häufiger antreten zu dürfen. Da möchte ich keine falschen Erwartungen wecken.

Bei was für Menschen bzw. Menschengruppen hast du schon die Wohnräume auf Vordermann gebracht?
Ich putze bei Mädel-WGs, gemischten WGs und Hetero-Paaren. Da waren wirklich die unterschiedlichsten Menschen dabei. Manche hatten erstaunlich viel Erfahrung im Umgang mit einem Putzsklaven und machten das, weil es sie sexuell erregte, andere mochten nur das nette Ergebnis einer aufgeräumten und sauberen Wohnung. Manche konnten bei mir ihre geheimen sadistischen Fantasien ausleben, andere waren fast schon ängstlich, wie weit sie gehen dürfen und haben mich anschließend zum Essen eingeladen, was ich ziemlich süß fand.

Wirst du belohnt, wenn du deine Sache gut gemacht hast?
Bei Putzjobs ist meine Belohnung, dass ich dienen darf, so banal wie das vielleicht klingt.

Und wie sehen Sanktionen aus?
Bei Bestrafungen gibt es natürlich diesen Widerspruch, dass masochistische Menschen, oder solche, die gerne gedemütigt werden, etwas wie „bestraft werden“ oft positiv besetzen. Du denkst, du würdest sie bestrafen, dabei mögen sie das ja vielleicht. Entweder man ist sich dessen bewusst oder man lässt zu Beginn das Bestrafen weg. Der Putzsklave soll sich dann auf das selbstlose Dienen konzentrieren. Natürlich gibt es auch bei mir Gemeinheiten, die ich überhaupt nicht leiden kann, wenn man sie mir antut. Diese Details übereinander lernt man erst, wenn man länger miteinander zu tun hat. Wenn ich irgendwo länger putze – und erst recht in einer Beziehung – kommen Bestrafungen also vor. Ich mag es beispielsweise nicht, für längere Zeit in einen kleineren Raum eingesperrt zu werden, weil mich das echt ziemlich schnell langweilt.

Hast du schon mal Geld dafür bekommen, oder kam es mal vor, dass du dafür bezahlt hast?
Weder noch. Mir wurde zwar ein paar mal Geld angeboten, aber ich habe dankend abgelehnt, weil diese Leute das Konzept dessen, was ich mache, nicht verstanden haben. Dass Putzsklaven dafür zahlen, kommt häufiger vor, fällt aber in einen anderen Vorlieben-Bereich, mit dem ich weniger zu tun habe. Das ist vor allem financial domination.

Musstest du schon einmal eine unangenehmen Situation über dich ergehen lassen?
Klar kommt das vor. Vor allem dann, wenn man vorher nicht richtig über die jeweiligen Wünsche gesprochen oder Tabus nicht klar definiert hat. Aber das ist in der Regel nichts, was eine weitere Kommunikation nicht klären kann.

Was wären denn sogenannte Wünsche und Tabus?
Ich habe im Grunde schon viele Tabus, aber die sind eher körperlicher Natur. Ich mag beispielsweise keine Schmerzen. Das ist ein bisschen ungewöhnlich in der Szene, aber ich finde körperliche Bestrafungen nicht geil. Ich kann zwar etwas ertragen, aber auch nicht übermäßig viel. Meine Vorlieben habe ich ja schon teilweise genannt. Beispielsweise mag ich Demütigungen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich es natürlich nicht mag, wenn das in irgendeiner Form oder ganz offensichtlich nur gemacht wird, um mir einen Gefallen zu tun. Das erwartet ich auch nicht. Lieber lebe ich das mit Leuten aus, die dieselben Neigungen haben wie ich.

Hat dich mal jemand aus „Spaß“ zu sich eingeladen?
Mir ist das noch nie passiert. Ich habe aber auch die Erfahrung, dass ich schon beim ersten Schreiben erkenne, welche Leute das wirklich wollen, und welche sich nur einen Spaß auf Kosten anderer erlauben. Mir hat mal jemand bei einem Munch erzählt, dass er auch als Putzsklave unterwegs ist und ihn kürzlich eine WG eingeladen hat, wo er dann eiskalt ausgelacht wurde. Der Typ war ein junger Student und ich glaube, dass das echt nicht so angenehm für ihn war. Ich erwarte nicht, dass bestimmte Vorlieben von allen Mitmenschen gleichermaßen geteilt werden. Aber Respekt und Toleranz sollten im Jahr 2020 pretty basic stuff sein.

Und in welchen Szenen treibst du dich so rum?
Ich war für mein Studium in unterschiedlichen Städten im In- und Ausland, also war ich dort auch in den örtlichen BDSM-Communities aktiv. Das konnte ein Stammtisch oder Munch sein, manchmal bestimmte Events. Es ist immer noch so, dass die BDSM-Szene den Charakter einer Subkultur hat, auch wenn das in den letzten Jahren etwas offener wurde. Es gibt viele Formate, die sich dezidiert an ein junges Publikum richten, wie etwa von SMJG. Dort ist man als heterosexueller Cis-Mann oft nicht mehr in der Mehrheit und kann seinen Horizont sehr schnell erweitern. Veranstaltungen, bei denen man vor Ort und vor aller Augen miteinander spielt waren nie meine Sache, dafür bin ich zu introvertiert. Ich steh auch sehr auf D/S-Art unterschiedlichster Cou­leur, die Überschneidungen mit der Tattooszene haben kann.

Gibt es viel Konkurrenz in der Szene?
Das kommt ein bisschen darauf an, was man möchte. Bei der Suche nach einer Partnerin für eine FLR gibt es, glaube ich, nicht so viel Konkurrenz. Wahrscheinlich weil die meisten Kerle nur Sessions oder einen kurzen Kick suchen. Anzeigen für Putzsklaven-Jobs werden sehr häufig geschaltet, also denke ich, dass da die Konkurrenz größer ist.

Ich glaube, dass die BDSM- oder Fetisch-Szene anders tickt als klassisches Dating. Ich bin mit meinem Aussehen ganz zufrieden. Aussehen alleine bringt aber nichts in der Szene, da sie unterdurchschnittlich oberflächlich ist. Es kommt darauf an, was dich als Mensch ausmacht. Zuverlässigkeit, das Interesse, den Anderen zu verstehen und Neues zu lernen. Wenn man das kapiert, findet jeder sein passendes Gegenstück

Wo und wie kontaktierst du die Menschen, bei denen du dann zu Hause Arbeiten ausführst?
Eigentlich ausschließlich online. Wenn ich zu einem Munch oder einem Event gehe, dann nur, um mich mit anderen auszutauschen und neue Eindrücke zu sammeln. Es gibt einige Kink-Apps und ein paar Plattformen, national oder international, SZ und FetLife sind da sehr bekannt, dann natürlich lokale Plattformen für Kontaktanzeigen. Auf die Idee, es mal in einer Mainstream-App wie Instagram zu versuchen, kam mir erst neulich. Ich habe es auch schon erlebt, dass mich WGs anderen WGs empfohlen haben, weil ich anscheinend einen ganz ordentlichen Job gemacht habe.

Verfolgst du dabei ein Schema, nachdem du dir deine potentielle Kundschaft aussuchst?
Bei einer festen Partnerin für ein Beziehungsmodell sind mir Intelligenz und Erfahrung am wichtigsten. Das ist bei Putzjobs ganz ähnlich, aber vor allem im Bereich Erfahrung muss man da Abstriche machen. Da das für gut 3/4 ist das Neuland. Das mit einer relativen Intelligenz möchte ich als Anspruch dennoch aufrechterhalten. Wenn ich irgendwo putze und es läuft im Hintergrund DSDS, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich dort noch mal putze, sehr rapide. Ich lasse mich zwar gerne demütigen, aber irgendwo hört der Spaß auf.

Die Antwort auf Fragen, die mit „Bin ich eigentlich der Einzige …“ anfangen, ist grundsätzlich „Nein“. – Ugols Law

 

Der SMJG e.V. – auch BDSM Jugend – ist ein gemeinnütziger Verein im deutschsprachigen Raum, der Jugendarbeit in den Bereichen BDSM und Sexualaufklärung betreibt.

Sie bieten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 27 Jahre eine Plattform mit vielfältigen Informationen und Austauschmöglichkeiten rund um diese Themengebiete in einem geschützten Rahmen. Darüber hinaus stehen sie ebenfalls Sorgeberechtigten junger Menschen mit BDSM-bezogenen Neigungen sowie anderen interessierten Personen und offiziellen Ämtern mit Informationen und als Ansprechpartner zur Verfügung.

www.smjg.org

 

Magste? Dann check doch mal das hier:
Dick Pics und Nacktbilder: YES or NO?
Interview mit einem Homosexuellen
Als ich auf einen Sexsklaven traf
Dieser Typ lässt seinen Penis von fremden Menschen zeichnen

Autor:innen

Website | + posts

Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

One Comment on “Interview mit einem Putzsklaven”

  1. Ich habe das Interview mit Stephen gerade gelesen und muss sagen, dass er das sehr ehrlich und offen geschildert hat. Allerdings glaube ich, dass sein Anliegen in der breiten Masse immer noch belächelt wird.
    Als dominante Frau, die nicht im S/M Bereich agiert, sich aber ein deutliches Machtgefälle in einer Beziehung wünscht, wäre ein Mann, der sich der Hausarbeit verschrieben hat, natürlich ein absolutes Geschenk – was natürlich nicht heißt, das nur diese Sache zählt 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert