Ich kann echt nicht singen. Also so gar nicht. Eigentlich habe ich es auch nie wirklich ausprobiert, ich kann mir einfach keine Lyrics merken. Dafür kann ich schreiben. Wenn ich mich einsam fühle, verschwimmt die Grenze zwischen den Menschen aus meinem sozialen Umfeld und mir – hiermit habe ich mein Mittel dagegen gefunden. Alex kennt das. Und hey, das Girl geht noch mehr ab als ich! Sie singt, sie schreibt, sie beherrscht ein paar Instrumente und rockt ihr Leben, so wie ich es für richtig halte! Sie gibt einen Fick darauf, was andere von ihr halten. Das ist etwas, was ich an ihr bewundere. Vor ein paar Monaten fiel sie mir auf Instagram auf, oder ich ihr? Sagen wir es mal so, wir hatten ein Match. Wir durchleben gerade eine ähnliche Phase, in der wir uns etwas aufbauen, mit etwas, das wir lieben. Und das verbindet auf eine gewisse Art und Weise. Als ich sie fragte, ob sie Bock auf ein Interview mit mir hat, hat sie sich echt heftig gefreut. Da weiß man, dass man was richtig gemacht hat. Und jetzt, jetzt hör mal der aufregenden Alex zu, was sie zu sagen hat!

Jojo, wofür steht eigentlich Alex Winter?
Jojo, für mich und meine Songs natürlich!

Die wären?
Anfangs waren das noch geheime, versteckte Gedichte. Wenn es dann um die Richtung meiner Musik geht, habe ich wirklich ein Problem damit, mich kurzzufassen (lacht). Aber okay, ich probiere es mal. Das Wichtigste sind für mich die – ziemlich ehrlichen – Lyrics, die ich selbst schreibe. Damit erzähle ich gerne Geschichten. Ohne die könnte ich mir meine Musik nicht vorstellen!

Und wo kommen die melodischen Töne her?
Wenn ich solo auftrete, begleite ich mich zusätzlich auf der elektrischen Gitarre – was dann meistens sehr poetisch, ehrlich, manchmal roh, dann doch auch wieder zärtlicher, aber immer emotional sein kann.

Du bist aber nicht immer solo unterwegs oder?
Mein Freund Elias Blank und ich haben noch ein gemeinsames Band-Projekt: A Blast. Eine Kombination aus Soul, Rock, R&B, Jazz, Funk und Pop.

Ganz schön bunt durchgemixt dein Musikgeschmack. Kann das nicht ziemlich verwirrend sein?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich lerne unglaublich viel von unterschiedlichen Künstlern und Genres. Da wären z.B. die typischen Jackson-Pop-Beats, Rock Riffs, Jazz Akkorde oder Funky Bass. Es ist schon ziemlich synkretisch bei uns. Bei uns bin ich die Singer & Songwriterin. Die Melodien für meine Songs finde ich meistens unter der Dusche. Dann gehe ich zu meinem Freund – der ein unglaublich begabter Multiinstrumentalist ist – und er arrangiert sie im Anschluss.

Wie ist das eigentlich mit dem eigenen Freund eine Band zu gründen? Streitet man sich da nicht super viel?
Oh ja, man streitet. Manchmal habe ich Bock, ihm die Gitarre auf seinen Kopf zu werfen … Was er sich wiederum auch manchmal wünscht (lacht).

Und dann gibt es ein Versöhnungsküsschen?
Ja, dann ist alles wieder gut. Ziemlich schnell sogar. Es liegt nicht etwa daran, dass wir vergessen haben, wieso wir uns eigentlich gestritten haben, sondern weil wir mit Momenten wie diesen professionell umgehen müssen. Schließlich wollen wir ja weiterkommen. Wir sind ein Team und am Ende des Tages halten wir zusammen. Das ist ein völlig neues Level von Beziehung! Us against the World – also manchmal.

Sweet. Das heißt ihr verbringt viel musikalische Zeit zusammen oder wie läuft das ab?
Wir arbeiten in „A Blast“ zusammen – mittlerweile haben wir auch wieder regelmäßig Gigs zusammen und produzieren neue Songs. Trotzdem ist es für uns beide wichtig, dass wir nebenbei noch eigene musikalische Projekte haben. Ich, als Alex Winter und er als Elias Blank.

La Blast

photo by David Pferrer

Jetzt aber mal wieder zurück zu dir. Darf man erfahren, wo du herkommst?
Ich bin gebürtige Polin und bin dort, an der deutsch-polnischen Grenze geboren. Mein Papa ist Deutscher, meine Mama kommt aus Polen. Wahrscheinlich habe ich auch noch jüdische Wurzeln, was ich allerdings noch mal tiefgründiger recherchieren müsste.

Und wo lebst du jetzt?
Mein Abi machte ich auf einem deutschen Gymnasium, vor drei Jahren zog ich dann für das Studium nach Köln. Eine Entscheidung, die ich niemals bereuen werde. Denn dort fiel der Startschuss für meine Musik.

Und da hast du dann recht früh gecheckt, dass du eine süße Stimme hast, oder wie war das?
Ich wusste nicht, dass ich eine gute Stimme habe. Und die Leute um mich herum wussten das auch nicht. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich mich nie getraut habe, in der Schule, in der Musikschule oder generell vor Menschen zu singen. Damals unvorstellbar für mich, dass ich ein paar Jahre später nichts anderes machen möchte.

Das heißt, du hast zuvor nie gesungen?
Doch schon, aber nur heimlich unter der Dusche. Dann durfte ich mir immer anhören, dass ich die Klappe halten soll (lacht)! Ich habe meine Eltern schon ganz schön genervt mit meinem Gesang. Richtig schlimm wurde es ab Juli 2011, als Amy Winehouse verstarb. Damals war ich zwölf. Bis dato habe ich mich nie wirklich mit ihrer Musik auseinandergesetzt, aber ich werde diesen heißen Tag, an dem mein Vater mir diese traurige Nachricht mitgeteilt hatte, nie vergessen. „Kennst du Amy Winehouse?“. „Ja bisschen aus der Zeitung, wieso?“. Ich guckte ihn total verwirrt an, da sich mein Dad so überhaupt nicht für Musik interessiert. „Sie ist heute gestorben“, erzählte er mir, da er gerade die Nachrichten im Fernsehen geschaut hatte. Danach lief ich schnell zu meinem Computer nach oben, öffnete YouTube und hörte mich durch ihre Lieder. Eines nach dem anderem entdeckte ich für mich. „Das ist ‚Rehab‘?! Das kenne ich doch!!!“. Dieser Tag hat mein Leben verändert. Das hat mich irgendwie verändert.

Dann ist Amy also eines deiner Vorbilder?
Oh ja! Sie ist mein größtes musikalisches Vorbild und meine Inspiration seit neun Jahren. Sie brachte mir fast alles bei: Singen, Schreiben, musikalische Ehrlichkeit, Obsession mit den 60s und Vintage-Liebe. Mit zwölf dachte ich: „Das kann ich vielleicht auch. Ich kann auch die Gitarre nehmen, ein paar Akkorde lernen und meine Gedanken laut aussprechen. Und wenn ich mir Mühe gebe, dann werde ich vielleicht auch noch singen können!“

Und war es dann auch so einfach?
Nein natürlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass ich jemals an ihr Niveau herankommen werde! Trotzdem schrieb ich wegen ihr meine ersten Songs. Ihre Alben kenne ich alle auswendig. Du kannst mich um drei Uhr morgens wecken und mich fragen, was nach „Stronger than me“ kommt. Ich höre auch viele andere Soul-, Pop-, oder Rock-Artists, die ich ebenso toll und talentiert finde, aber Amy wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.

Wie ging es dann mit deinem eigenen Musikschaffen weiter?
Klar, Amys Werk hat mich zum Singen und Schreiben gebracht, aber auch meine eigenen persönlichen Geschichten spielten da eine große Rolle. Jungens, später Männer, die in mein Leben gekommen sind. Zerbrochene Beziehungen und viele Enttäuschungen. Liebeskummer, das kennen wir doch alle. Ich gehe davon aus, dass das gebrochene Herz das schönste Herz ist, dass es überhaupt gibt. Die Lieder, die ich selbst schrieb und auf die ich am meisten stolz bin, sind unter sehr traurigen Umständen entstanden. Immer, wenn ich mich unglücklich fühle, finde ich einen Ausweg im Schreiben. Ich brauche es. Ich könnte ohne Musik nicht leben und das weiß auch jeder, der mich kennt.

Geht mir ganz genauso. Schreiben ist meine ganz persönliche Therapie. Hast du eigentlich eine klassische Musikausbildung genossen?
Ich habe die Musikschule in Polen mit Schwerpunkt „Klassisches Klavier“ abschlossen. Zu dieser Ausbildung gehörte auch Harmonielehre, Gehörbildung, Rhythmik und Chor. Rate mal, in welchem Fach ich nie mitgemacht habe? Ich habe tatsächlich den Chor geschwänzt. Später habe ich mir ein falsches Attest besorgt. Was für eine Ironie.

Wieso hast du das gemacht?
Weil es mir einfach keinen Spaß gemacht hat, mit 100 anderen Menschen zu singen. Und die Lehrerin war wirklich grausam. Zudem hatte ich es mir damals noch nicht zugetraut, selbst zu singen.

Mich interessiert noch mehr. Zum Beispiel, wie sich deine Art zu kommunizieren vor und hinter dem Mikro unterscheidet?
Ich verhalte mich auf der Bühne genauso wie in meinem Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche oder unter der Dusche. Für mich ist es unglaublich wichtig, ehrlich in meiner Kunst zu sein. Alle Songs sind aus meinen persönlichen Gedichten hervorgegangen. Alle Songs erzählen eine Geschichte. Geschichte, die ich erzählen möchte. Geschichten, die ich sehr gut kenne. Geschichte, die ich gerne teilen möchte. Wir alle erzählen uns ja Geschichten – das macht unser Leben schön und interessant. Wenn ich meine Songs auf der Bühne singe, verhalte ich mich so, als ob ich gerade auf der Couch sitze und dir erzähle, wieso ‚Breaking Bad‘ auch zum dritten Mal immer noch so fantastisch ist.

Wie läuft das ab, woher kriegst du deine Gigs, um deine Geschichten erzählen zu können?
Genauso, wie bei der Wohnungssuche: Connections und Freunde. Jemand hat uns oder mich gesehen und gehört und fand das gut, der andere leitet es weiter, der dritte braucht einen Live-Act für diese und jene Party oder Veranstaltung. Meine Band und ich haben also in Clubs, Bars, Restaurants, Kunstausstellungen, auf Geburtstagen und Weihnachtsmärkten gespielt. Und in der lokalen Radiosendung!

Wow. Das klingt nach viel Arbeit.
Ja, das war es. Wir nahmen jede Chance an, die auf uns zugekommen ist. Es macht mir unglaublich viel Spaß aufzutreten. Es ist eine Sucht, die jetzt leider wegen Corona nach Befriedigung ruft. Zum Glück treten wir langsam ab und zu wieder auf und es wird ja immer besser.

Wie war das denn für dich, als alle Veranstaltungen abgesagt wurden?
Ziemlich hart. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Job verloren, das Studium war nur online – was für mich erst mal gar nicht geht – keine Gigs, keine Veranstaltungen. Stattdessen machte ich viel Sport, kochte gesünder und richtete unsere schöne Wohnung. Viel musikalische Entwicklung und Kreativität gab es jedoch nicht. Ja, ein Song. Sogar mein Lieblingssong – bis jetzt! Seid gespannt (grinst). For the Glory of the Flu.

Zum Abschluss mal ein paar wichtige Fragen. Wie eng sind Talent, nackte Haut und Glück verbunden, wenn es um eine musikalische Karriere geht?
Sehr eng. Das sehen und merken wir alle. Es ist auch okay. Hauptsache, man zeigt mehr Talent als Nudes im Internet – dann ist alles gut und Glück braucht man ja sowieso. Was mir in der Kombination fehlt, ist harte Arbeit. Du kannst extrem hübsch und sexy aussehen, gute Leute kennen und eine süße Stimme haben, aber ohne Arbeit wirst du nichts erreichen. Talent & Sexappeal & Glück & HARTE ARBEIT – go girl, the world is yours!

Alex Winter 2

photo by David Pferrer

Deine Reichweite nutzt du nicht nur dafür, deine Karriere anzukurbeln. Vor allem machst du mit deinem Insta-Account das ein oder andere Tabuthema platt. Wie kam das?
Auch wenn ich auf einmal nur drei Follower hätte, würde ich alles weiter so posten, wie ich das bis jetzt gemacht habe. Klar, meine Musik, meine Auftritte, meine Songs, meine Inspirationen sind ein wichtiger Teil auf meinem Instagram, aber genauso wichtig finde ich politische Themen, wie z.B. Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Frauenrechte, Feminismus und auch gesellschaftliche Probleme, wie Bodyshaming, Misogynie, Sexismus etc.

Warum ist dir das so wichtig?
Ich hasse Tabus. Wir kommen nur weiter als Gesellschaft, wenn wir endlich aufhören immer rot zu werden, und die Augen zu schließen. Wenn das Thema Sex kommt oder ein nackter Frauenkörper sichtbar ist, na und?! Es geht doch darum, wichtige Gespräche zu führen, tolerant zu sein und Respekt zu zeigen. Hier müssen wir alle anfangen.

Zu guter Letzt sag mir doch bitte bitte, wann sehe ich dich endlich live? 
Wenn ich meinen nächsten Auftritt habe, bekommst du per Post eine besondere, vergoldete V.I.P. Einladung. Oder ich schreibe Dir auf Insta, wenn mein Account entsperrt wird. Wann sehe ich dich live?!

Sofia: Wann kommst du denn nach Barcelona? 😉

thisisablast.de
www.instagram.com/missalexwinter
www.instagram.com/thisisablast

Reingeguckt! Jetzt musst du auch die anderen Artikel lesen:
Wir sind der Bazar de Nuit: Nachtshopping im Odonien

So sind die Anfänge als DJ während einer weltweiten Pandemie: Pius im Interview
Der alte Oliver Hess und seine Musik
Techno & Talk: Lass mal über Techno quatschen
Spenden Illustration 1 100 sw 1

Jetzt dieverpeilte supporten!

 

Autor:innen

Website | + posts

Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert