Die Nachricht, an Brustkrebs erkrankt zu sein, fühlte sich für Johanna G. an, als hätte man ihr Leben auf null gesetzt. Es war der 10. November 2016, ein Donnerstag, sie erinnere sich noch ganz genau, sagt sie. Sie habe ein T-Shirt mit der Aufschrift „she laughs“ getragen, das finde sie heute ironisch. Die ersten Tage nach der Diagnose befand sie sich in einem Schockzustand und trauerte. Besonders schlimm war für sie in diesem Moment, die Nachricht ihrer Mutter zu übermitteln. Denn ihre Krebserkrankung war nicht die erste in der Familie. Im Jahr 2011 starb Johannas Vater an Lungenkrebs. Gleichzeitig verspürte sie damals den Druck, funktionieren zu müssen und die Therapie schnell zu beginnen. Egal wie wollte sie alles Notwendige dafür erledigen. 

„Das tiefe Loch kam erst später“, sagt Johanna heute. Sie habe sich besonders schwer damit getan, zu akzeptieren, dass sie fortan zu der Minderheit gehöre, die in ihrer Altersgruppe, damals war sie 29 Jahre alt, an Brustkrebs erkrankt war. „Nach der ersten Chemotherapie wurde mir erst richtig bewusst, was mit mir passiert. Die hat mich richtig umgehauen“, erzählt sie. „Ich erinnere mich noch daran, wie ich in der Chemoambulanz am Fenster auf meinem ‚Stammplatz‘ saß und aus dem Fenster den Menschen dabei zuschaute, wie sie ihrem normalen Alltag nachgingen, und ich dachte: ‚Okay, du bekommst gerade eine Chemotherapie, weil du Krebs hast, während alle anderen weiterleben‘, das hat mich schon runtergezogen“. 

Ihr Tumor, ein Luminal A, hatte noch nicht gestreut. Als Johanna ihn in ihrer Brust ertastete, war er 2,5 cm groß. Ihre Therapie begann mit einer Operation: „Mir wurde operativ zunächst der Wächterlymphknoten sowie sechs weitere Lymphknoten entfernt. Zusätzlich wurde der Port eingesetzt.“ Danach wurden ihr 20 Chemotherapien – 16 im wöchentlichen und 4 im zweiwöchentlichen Zyklus – verabreicht. „Dann ging es weiter mit der brusterhaltenden Operation und im Anschluss erhielt ich 28 Bestrahlungen“, ergänzt sie.

Heute ist sie 35, lebt in Iserlohn und ist nach nunmehr sechs Jahren portfrei. Johanna ist Sozialpädagogin und arbeitet in der Altenhilfe – während ihrer Behandlung war sie ein Jahr krankgeschrieben. Abgeschlossen ist ihre Therapie jedoch noch nicht. Bis 2024 nimmt sie Tamoxifen – das Arzneimittel bietet Brustkrebspatientinnen einen Schutz vor erneuter Erkrankung – und geht alle drei Monate zur Nachsorge. Ich habe Johanna über Instagram kennengelernt. Als sie mitbekam, dass wir nach Menschen suchen, die mit uns über ihre Krebserfahrungen sprechen, schrieb sie mir eine Mail, daraufhin fragte ich, ob ich sie interviewen könne. Was folgt, ist eine Unterhaltung über das Leben nach einer Krebsdiagnose und die Angst vor dem Rückfall. 

DIEVERPEILTE: Welche inneren und äußeren Hürden hat deine Diagnose mit sich gebracht?
Johanna G.: Ich musste mich von meinen langen blonden Haaren trennen, das war für mich anfangs ein großes Problem. Vor der Erkrankung war ich ein Mensch, der auf sein Äußeres achtete, – das habe ich teilweise abgelegt. Zu Beginn meiner Chemotherapie hatte ich noch eine Beziehung. Auf einmal liegst du neben deinem Partner mit Glatze, hast Sex mit Glatze oder einer Perücke, die dir beim Blowjob nach vorne fällt. Das war schwierig für mich. 

Die Krebsdiagnose hat also dein Sexleben verändert.
Das Thema Sex rückt in den Hintergrund, weil man sich einfach oft schlecht fühlt. Zudem hat mir jede Schleimhaut wehgetan. Das war für meinen damaligen Partner ein Problem, wie für mich auch. 

Mit was hattest du noch zu kämpfen?
Eine große Hürde war für mich, meine Perücke abzulegen, nachdem meine Haare nachgewachsen waren. Ich hatte dann eine Kurzhaarfrisur und wurde zu einem ganz anderen Typ Frau. Anfangs habe ich mich dafür geschämt, irgendwann habe ich den Look lieben gelernt. Innerlich musste ich in der Zeit der Erkrankung Kontrolle abgeben. An Ärzt:innen und Menschen, die wissen, was gut für mich ist, – das habe ich mir damals so gesagt. Aber auch zuzulassen, was der Körper macht, war problematisch. Man hat während einer solchen Therapie keine Kontrolle darüber. Wenn es dir zum Beispiel so schlecht geht, dass du das Bett drei Tage lang nicht verlassen kannst.

Mit dem Kontrollverlust, besonders mit der Erfahrung, an das Bett gebunden zu sein, hatte ich auch meine Schwierigkeiten. Dabei sind Eigenständigkeit und Selbstbestimmung für junge Erwachsene enorm wichtig, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Hattest du das Gefühl, diese wahren zu können und wenn ja, was hat dir dabei geholfen?
Das Gefühl, dass die Erkrankung – und alles, was damit einhergeht, – dir vorgibt, wie du dich fühlst, wie du dein Leben gestaltest und planst, macht total machtlos. Der Kontrast zu meinem Leben davor, wenn man jung ist und in der Blüte des Lebens steht und wenn man das Gefühl hat, alles erreichen zu können, war so enorm, dass ich Angst davor entwickelte, diese Machtlosigkeit wieder zu spüren. 

Inwiefern?
Es geht weniger um die Angst vor der Erkrankung selbst und den möglichen Tod dadurch als das eigene Leben an den Einschränkungen der Krankheit zu verlieren. Also nicht nur nicht mehr am Leben zu sein, sondern nicht mehr “leben zu können”, da die Lebensqualität sehr stark eingeschränkt ist. Ich habe das Gefühl, dass ich mir das nach Therapieende von Jahr zu Jahr wieder erarbeiten musste. Vertrauen in den eigenen Körper und in die Möglichkeit, dass man nicht erneut erkrankt. 

Wie du bereits sagtest, man sieht dabei zu, wie alle anderen ihr Leben leben, während man am Tropf hängt – darauf muss man erst mal klarkommen. Welchen Einfluss hatte der Tod deines Vaters auf deine Erkrankung?
Mein Vater war erst 52, als er starb. Erst mit meiner eigenen Diagnose habe ich wirklich verstanden, was er damals während seiner Chemotherapie durchgemacht hat. Als Außenstehende war mir das früher nicht bewusst. Das hat mich sehr geprägt und tut es noch immer. Ich dachte oft darüber nach, dass ich ihm noch vieles hätte sagen wollen. Und andererseits (das ist ein etwas stranger Gedanke) bin ich auch erleichtert, dass er meine Erkrankung nicht miterleben musste. Er hätte sehr darunter gelitten. 

Hat dir diese Erfahrung dabei geholfen, mit deiner eigenen Diagnose besser klarzukommen?
Ich weiß nicht, ob es mir bei meiner Diagnose geholfen hat. Eher der Gedanke daran – und das, obwohl ich nicht religiös bin, – dass ich da oben nicht alleine wäre, wenn das alles hier schiefgeht. Etwas sehe ich jetzt jedoch anders als früher: Durch die Bekanntschaft mit Krebserkrankten, die ich in der Chemoambulanz oder im Krankenhaus kennengelernt habe, die viel kranker waren und teilweise nur noch palliativ versorgt wurden, weiß ich, dass Sterben ab einem gewissen Punkt in der Erkrankung eine Erlösung für die erkrankte Person ist. Das war auch der Zustand, in dem sich mein Vater zuletzt befand.

Nach der Chemo habe ich immer Heißhungerattacken, inzwischen habe ich um die sechs Kilo zugenommen. Mit Paclitaxel kamen Nasenbluten sowie Hautveränderung im Gesicht und am Körper dazu. Auch die üblichen Sachen wie Chemobrain und Haarverlust machen mir zu schaffen. Welche Nebenwirkungen hattest du?
Das war extrem. All meine Schleimhäute – und man wundert sich, wo man überall welche hat, – waren damals entzündet. Es tat einfach alles weh. Mir war fast 20 Wochen am Stück übel. So sehr, dass ich mich übergeben musste. Meine Haare sind am ganzen Körper ausgefallen und das Kortison verhalf mir zu einem Mondgesicht. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, meine Gedanken drifteten immer ab (Chemobrain). Hinzu kam, dass mich die antihormonelle Therapie, insbesondere die Zoladex-Spritzen, die ich von Mai 2017 bis Mai 2020 alle drei Monate verabreicht bekam, in die Wechseljahre katapultierten. Meine Periode fiel für drei Jahre aus – not bad – und ich konnte nicht einschlafen. Ich war ständig wach und unruhig, hatte Schweißausbrüche, Knochenschmerzen und habe 15 Kilo zugenommen. 

Schlafen fällt mir seit meiner ersten Chemotherapie, aktuell habe ich 12 Gaben verabreicht bekommen, auch schwer. Geht es dir denn mittlerweile besser damit? 
Nach der Absetzung von Zoladex sind die Nebenwirkungen weniger geworden. Bis auf mein Gewicht merke ich kaum noch etwas davon. Mein Zyklus funktioniert wieder und ich kann besser schlafen. 

Wie hast du deinem Umfeld gesagt, dass du Krebs hast?
Meinen engen Freund:innen und meinen Arbeitskolleg:innen habe ich es per Telefon gesagt, weil ich die persönliche Reaktion da noch nicht aushalten konnte. Einige Tage später haben wir uns dann getroffen. 

Ging mir ähnlich. Wie ging es dir mit deiner Mutter?
Das war die schlimmste Situation für mich. Hätte ich keine Chemo machen müssen und wäre es nicht so offensichtlich gewesen, dass ich krank bin, hätte ich es vor ihr verheimlicht.

Warum?
Ich hätte sie gerne davor geschützt. Sie konnte monatelang ihrem Alltag nicht mehr nachgehen, nachdem ich ihr die Nachricht übermittelt hatte. Ich habe damals versucht, ihr gegenüber eine gewisse Ruhe und Kontrolle auszustrahlen. Ich war die Person, die zu ihr sagte: „Es wird alles gut.“ 

Dabei hättest gerade du die Unterstützung doch gebrauchen können.
Ich hatte das Gefühl, dass alle Menschen um mich herum, denen ich es gesagt habe, traurig und oft weinend reagierten. Ich habe damals aber eher jemanden „gesucht“, der mir Stärke gibt. Im Nachhinein habe ich erkannt, dass ich viele Menschen nicht an mich rangelassen habe.

Wie bist du mit „Du packst das“-Parolen umgegangen?
Ich konnte das von anderen Personen schlecht annehmen. Ich habe mir das angehört, aber nicht negativ darauf reagiert. 

Sondern?
Oftmals dachte ich mir, dass die Menschen, die von meiner Krebserkrankung erfahren, ja auch in einer Situation sind, in der sie wahrscheinlich nicht wissen, was sie sagen sollen oder wie sie mit mir umgehen sollen. Deswegen war es für mich eine Floskel, die kaum Bedeutung hatte. 

Was hat dich sonst auf die Palme gebracht?
Sätze wie “Ich kenne jemanden, der auch Krebs hatte…”. Das war nervig und ich habe mich davon irgendwann distanziert, weil ich erkannt habe, dass jede:r seine eigenen Erfahrungen mit der Erkrankung macht. Insbesondere habe ich den Gedanken nicht an mich herangelassen, dass Krebs zum Tod führen wird. Ich habe gedanklich zugelassen, dass es bei mir anders ausgehen könnte als in den „Ich kennen jemanden, der Krebs hatte…“-Geschichten.

Welche Tabus gibt es für dich, wenn man über Krebs spricht?
Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Menschen getroffen, die mir erzählen wollten, dass alternative Therapien (aus esoterischen Kreisen) besser und effektiver seien als z. B. Chemotherapie. 

Die Erfahrung habe ich auch gemacht. Wie hast du darauf reagiert?
Das macht mich wütend. Ich finde, dass solche Perspektiven Menschen auch das Leben kosten können. Ergänzende Therapien sind okay, aber ich reagiere allergisch darauf, wenn mir jemand sagt, dass ich durch „Handauflegen“ meinen Tumor auch hätte bekämpfen können. 

Ganz schön übergriffig.
Vor einigen Tagen habe ich bei Instagram eine Nachricht von einer Person bekommen, die mir religiös motiviert sagen wollte, dass man Krebs bekommt, weil man einen gewissen Lebensstil pflegt – also Männer, Freiheit oder auch freizügige Bilder bei Instagram. Das war schon sehr strange und gleichzeitig empfand ich das als grenzüberschreitend, mir quasi eine gewisse Schuld für die Erkrankung zu geben. 

Du hast mir im Vorfeld erzählt, dass diese Erfahrung dein Leben nachhaltig verändert hat. Wie?
Mein Leben hat an Ernsthaftigkeit gewonnen. Dieses junge, naive Denken, das einen im jungendlichen Alter unsterblich fühlen lässt, ist verschwunden. Einerseits schätze ich viele Dinge und Ereignisse seither mehr, auf der anderen Seite musste ich für Themen wie Patient:innenverfügung, Onkologie-Nachsorge und Unfruchtbarkeit Platz in meinem Leben schaffen. 

Sich auf eine mögliche Neuerkrankung zu fixieren, kostet Lebensglück und hat Auswirkungen auf Privatleben, Beruf und durchzieht den Alltag – wie du sagst, über einen längeren Zeitraum hinweg. Was hast du erlebt?
Ich war vor der Erkrankung ein Mensch, der dachte, alles im Griff zu haben. Ich hatte Zukunftspläne, die ich mir bis dahin immer erfüllen konnte. Die Erkrankung durchkreuzte dieses Netz an Stabilität und Kontrolle. Nach der Therapiezeit ging ich zurück in meinen Job, begann zu reisen und konzentrierte mich auf meine Bedürfnisse – was mich einige Freundschaften und Beziehungen kostete. 

Wie erklärst du dir dieses Verhalten?
Ich verspürte in den letzten Jahren doch mehr als zuvor das Gefühl, wieder Sicherheit zu schaffen in meinem Leben – um „weich“ fallen zu können, sollte ich erneut erkranken. Zudem habe ich Menschen oftmals vor den Kopf gestoßen, weil ich meine eigenen Bedürfnisse durchgesetzt habe, ohne Rücksicht auf die Wünsche meines Umfelds zu nehmen. Alles stand immer unter dem Fokus, nicht mehr so viel Zeit zu haben. Deswegen wollte ich so viel Schönes wie möglich erleben. Dennoch habe ich nie etwas getan, was ein Risiko hätte sein können. Ich versuchte, Faktoren zu minimieren, die zu einem Rezidiv führen können und habe mein Leben so gelebt, dass ich zu jeder Zeit wieder krank werden „könnte“. 

So eine Art Notfallplan. Wie äußerte dieser sich bei dir? 
Ich habe schöne Dinge erlebt, achtete auf finanzielle Sicherheit, nahm alle Nachsorgetermine wahr und pflegte ein stabiles Umfeld. 

Wo du gerade von Risiken sprichst. Im Vorfeld hast du mir erzählt, dass Rauchen, ein Umzug oder auch eine Schwangerschaft ein Risiko mit sich bringen könnten. Warum denkst du das?
Ich habe mich viel mit Brustkrebs beschäftigt – Studien gelesen, Beiträge zu Risiken und so weiter. Und habe dadurch mögliche „Risikofaktoren“ für mich herausgearbeitet. 

Die wären?
Für mich persönlich war die Vorstellung von einem Umzug, der auch einen Jobwechsel beinhaltet hätte, ein Schritt ins Ungewisse. Jeder Gedanke dazu war begleitet mit: Was ist, wenn ich wieder krank werde? Verliere ich dann den neuen Job (Probezeit/befristeter Vertrag)? Wie komme ich damit zurecht, dass ich meine Familie und Freund:innen nicht in der Nähe habe, wenn ich wieder eine Chemotherapie bekomme? 

Verstehe.
Eine Schwangerschaft schien mir als Risiko, da ich dafür das Tamoxifen (Anti-Hormone) absetzen müsste – vor Ablauf der empfohlenen sieben Jahre, was zu einem Rezidiv-Risiko führen kann. Zudem habe ich den Gedanken im Kopf, ob ich es verantworten kann, ein Kind zu bekommen, wenn das Risiko hoch ist. 

Kinder bekommen macht mir auch Sorgen. Was sagen die Ärzt:innen dazu?
Meine Onkologin sagte bei der Abschlussuntersuchung nach Therapieende, dass das Risiko aufgrund des hohen Ki-67-Wertes (gemeint ist die Teilungsrate des Tumors) von 80 Prozent enorm hoch ist. 

In anderen Worten: Ein Rezidiv, also ein Rückfall, ist nur eine Frage der Zeit.
Und gleichzeitig halte ich mir offen, dass ich vielleicht zu den Frauen gehöre, die zu dem geringen Prozentsatz in den Statistiken der Tumor-Voraussetzungen gehören, die nicht wieder erkranken. Je nach psychischer Verfassung beschäftigt mich dieser Satz mal mehr, mal weniger. 

Viele Menschen gehen davon aus, dass, wenn man eine schwerwiegende Erkrankung wie Krebs überstanden hat, glücklich sein müsste und können die Ängste, die eine solche Erkrankung mit sich bringt, oftmals nicht nachvollziehen. Weil sie beispielsweise die Folgen der Therapie nicht erlebt haben oder die Angst vor einer Wiedererkrankung nicht fühlen. Wie hat dein Umfeld auf deine Ängste reagiert?
Die Reaktionen waren überwiegend so, dass die Personen in meinem Umfeld davon ausgingen, dass ich wirklich viel Glück hatte und mich auch so fühlen sollte. Zudem befinden sich Menschen, die auch im gleichen Alter sind, oftmals in ganz anderen Lebensumständen wie Familiengründung, Hochzeit, Freude durch Erfolgserlebnisse. Gefühle, wie etwa die Angst vor einer Krankheit und Sterblichkeit haben da keinen Platz. Sie können sich also gar nicht einfühlen. 

Gerade bei Ängsten wünscht man sich doch einen mitfühlenden Gegenüber.
Einen guten Austausch zu den Themen habe ich in unserer Chemo-Gruppe erfahren, mit der ich immer noch Kontakt habe. Das sind vier Frauen, die zur gleichen Zeit die Chemotherapie bekamen. Wir trafen uns wöchentlich und teilen alle sehr ähnliche Probleme. 

Es ist schön, dass ihr euch gefunden habt. Welche Art Unterstützung hätte dir noch geholfen?
Mir hätte geholfen, dass Menschen in meinem Umfeld nicht alle Gespräche mit mir über meine Krankheit mit «Sei doch froh, dass du es überstanden hast» beendet hätten. Natürlich ist man sehr froh darüber, dennoch ist es damit nicht getan. Ich hätte mir mehr Auseinandersetzung der mir nahestehenden Personen mit der Erkrankung gewünscht und auch einfaches Interesse durch Fragen.

Wie geht dein Umfeld heute damit um?
Sechs Jahre später ist es für die meisten Menschen, die von meiner Erkrankung wissen, kein Thema mehr. Ich habe oft gehört, dass ich mich verändert habe, aber ich hätte mir gewünscht, dass mehr Menschen meines Umfelds mich fragen, warum das so ist oder versuchen, sich mehr einzufühlen. 

Welche Fragen hast du dir daraufhin am häufigsten gestellt?
Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob ich etwas für die Menschen um mich herum tun soll, damit sie sich mehr mit der Erkrankung auseinandersetzen können. Oder auch, ob ich es unbewusst in Gesprächen abblocke, darüber zu sprechen? 

Und?
Ich war nie eine Person, die von sich aus die Erkrankung zum Thema gemacht hat, weil ich diesen „Krebskranken-Status“ nicht haben wollte. Ich habe erst dann davon erzählt, wenn Personen Interesse daran gezeigt haben. Ich hätte nie sagen können “Hey, lass uns doch mal über meine Ängste über ein Rezidiv sprechen”. Ich weiß nicht, ob das meine Aufgabe gewesen wäre. 

In deiner letzten Mail hast du mir davon erzählt, dass du deinen Job gekündigt hast und dass du in Kürze nach Hamburg ziehen wirst. Wie gelang es dir, wieder nach vorne zu blicken?
Die Entscheidung habe ich getroffen, als ich nach fast sechs Jahren meinen Port entfernen ließ. 

Ich finde es krass, dass du ihn so lange behalten hast.
Der Port hat mir – warum auch immer dieser Gedanke da war – ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Mittlerweile bin ich an einem Punkt, an dem ich denke, dass es nicht um die Länge des Lebens geht, sondern darum, das zu tun, was glücklich macht. 

Yes, dem stimme ich zu!
Das Leben auf Sicherheit raubte mir Lebensqualität. Den Gedanken, wieder erkranken zu können, habe ich angenommen und weiß, dass er immer ein Teil meines Lebens sein wird. Ich habe angefangen, mir weniger die Frage zu stellen “Was ist, wenn ich krank werde?”, sondern viel mehr “Was ist, wenn ich gesund bleibe?” und habe entschieden, dass ich anders leben möchte, wenn ich doch gesund bleibe. 

Was rätst du anderen Menschen in solchen Fällen?
Ich glaube, dass ein gewisser Prozess notwendig ist. Man muss diese ganzen Emotionen, Ängste und Zweifel zulassen, um sie verarbeiten zu können. Manchmal denke ich, ich habe die letzten sechs Jahre damit vergeudet, aber eigentlich waren diese Jahre notwendig für mich, um das alles als Teil meines Lebens anzunehmen und damit cool zu sein. Ein gutes soziales Umfeld ist hilfreich. Aus meiner Erfahrung würde ich raten, Menschen den Zugang zu sich selbst zu ermöglichen. Es ist für die Personen um einen herum auch nicht leicht, das richtige Gespräch zu führen mit einem „Krebsi“. 

Klar, das Umfeld leidet auch unter der Erkrankung.
Mittlerweile kann ich über viele Dinge lachen, die damals passiert sind, z. B. die Situation mit der verrutschten Perücke beim Sex. Aber genauso lasse ich es zu, zu weinen, wenn ich an schwierige Situationen denke. Und mein größter Ratschlag ist – auch wenn es sich wie ein Kalenderspruch anhört – das Leben genießen, Emotionen zulassen, Fehler machen, lieben, lachen, schreien, ficken, rauchen, trinken. Alles so, wie es glücklich macht, denn das Leben ist mit oder ohne Krebs endlich. 

Transparenzhinweis: Das Interview haben wir Anfang Dezember geführt. Inzwischen hat Sofia ihre Chemotherapie abgeschlossen.

ILLUSTRATION: HANNA VALTMANN

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Ist in Nürnberg aufgewachsen, brach erfolgreich drei Studiengänge ab und entdeckte ihre Leidenschaft für den Journalismus durch ein Praktikum in einer Musikredaktion. 2019 gründete sie das DIEVERPEILTE-Magazin. Themenschwerpunkte sind Mental Health, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und Drogen.

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