WARNUNG: Dieses Interview handelt von Krebs und psychischen Erkrankungen.

Wie fühlt sich eine Chemo an? Wie hoch ist das persönliche Risiko an Krebs zu sterben? Und ganz wichtig: Was gibt es heute eigentlich zum Mittagessen? Im folgenden Text kommen zwei junge Frauen zu Wort. Die eine – Sofia – hat Brustkrebs. Jetzt gerade. Sie steckt mitten in der Chemotherapie. Hautnah und mit allem, was dazu gehört. 

Die andere – Celina – hat den Krebs bereits besiegt, studiert nun Tourismusmanagement auf Mallorca und genießt das Leben in vollen Zügen. Doch wie ging es ihr 12 Jahre zuvor, als sie selbst noch an Krebs, oder genauer gesagt, dem Non-Hodgkin-Lymphom erkrankt war? Als sie kaum wusste, wie es weitergehen soll? Und was sagen sich zwei Frauen, die einen Teil ihres Schicksals teilen – nur halt eben zeitlich versetzt? 

Mit Celina treffe ich mich im Dezember 2022 in einem urigen Hipster-Café in Palma, sommerlich gekleidet und umgeben von Palmen. Es liegt ein leckerer Kaffeeduft in der Luft und die Sonne scheint durch die großen Fenster. 

Sie nimmt mich mit auf eine Zeitreise. Im Jahr 2010, im Alter von 10 Jahren erkrankte Celina an einer seltenen bösartigen Tumorform: Dem Non-Hodgkin-Lymphom im Hals-, Brustkorb- und Bauchbereich. Jährlich erkranken an dieser Krebsart circa 18.000 Menschen in Deutschland, jedoch trifft es normalerweise eher ältere Menschen, die im Durchschnitt etwa 70 Jahre alt sind.

Die damals erst 10-jährige Celina wusste zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weder, was eine Krebserkrankung ist, geschweige denn, was es bedeutet, eine Chemotherapie zu machen. Das sollte sie schnell erfahren. Denn nach der Befundaufklärung verbrachte sie wochenlang im Krankenhaus, einmal sogar 3 Monate auf der Kinderkrebsstation mit Spielzimmer. Ein- bis zweimal pro Woche bekam sie die medikamentöse Therapie verabreicht, über einen Port, der ihr unterhalb des Schlüsselbeins eingepflanzt wurde. Die meisten Krebspatient:innen haben so einen, auch Sofia.

Celina hatte Krebs im dritten Stadium und bekam ihre Chemotherapie in mehreren Zyklen – wie viele genau, das weiß sie nicht mehr – ihr persönlich waren es zu viele. Zwischendurch durfte sie dann wieder nach Hause, mehr als zehnmal ging das so. Erst wurde ihr die Chemo am Tropf im Krankenhaus zugeführt und später dann in Tablettenform mittels eines Handschuhs – weil die Wirkung so stark ist.

Sofia hingegen kann sich noch an jede Einzelheit erinnern. Weil sie eben noch mittendrin ist und ihre Chemotherapie erst im September 2022 begonnen hat. Sie ist 30 Jahre alt, Gründerin und Chefredakteurin des Online-Magazins „DIEVERPEILTE“ und wohnte zuletzt in Berlin. Ihren Wohnort hat sie nach zwei Monaten Chemotherapie in Richtung Würzburg verlegt, weil sie in der Hauptstadt die Unterstützung ihrer Familie vermisste und in der WG-Situation nicht die Unterstützung hatte, die sie brauchte. Sie hat es schlichtweg allein nicht mehr geschafft. Aber die Millionenstadt barg noch weitere Tücken, denn hier wird man als junge Frau mit Glatze von vielen Seiten schräg angeschaut. „Berlin ist frei und hip, aber eben auch sehr oberflächlich“, sagt Sofia. In Würzburg lebt sie nun bei ihrer Tante, die für sie einkauft und kocht: Das hilft Sofia dabei, sich auf die Therapie zu konzentrieren und den Krebs-Alltag durchzustehen. 

Die Journalistin hat linksseitigen Brustkrebs im ersten Stadium. Mit rund 71.375 Neuerkrankungen jährlich ist dies die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Männer hingegen sind davon nur in 1 Prozent der Fälle betroffen. Brustkrebs hat gemessen am gesamten Spektrum der Krebserkrankungen zusätzlich mit etwa 30 Prozent den größten Anteil und ist daher vergleichsweise gut erforscht. Sofias Tumor ist zwar schnell wachsend und ziemlich aggressiv, aber er hat bisher lediglich auf die Lymphknoten gestreut. Daher stehen die Chancen auf Heilung sehr gut. „Brustkrebs ist von allen Krebsarten, die, mit der besten Prognose“, sagt Sofia hoffnungsvoll und deshalb ist aufgeben für sie – nach anfänglichen Zweifeln – keine Option mehr. 

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SOFIA, ENDE SEPTEMBER 2022 WÄHREND IHRER ZWEITEN CHEMOTHERAPIE IN BERLIN. AUF DEM BILD IST EIN TEIL DES CHEMORAUMES ZU SEHEN. DIE ERSTEN BEIDEN CHEMOS NUTZTE SOFIA DIE KÜHLKAPPENTHERAPIE UM DEN HAARAUSFALL ZU REDUZIEREN, WAS SIE AUFGRUND DER SCHMERZEN KURZ DARAUF ABBRACH.

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SOFIAS CHEMOSCHWESTER DANA MIT DER CHEMOTHERAPIE IN DER HAND. DIE INFUSION IST NOCH IMMER DIE ÜBLICHE ART UND WEISE, EINE CHEMOTHERAPIE ZU VERABREICHEN.

Doch sie meint auch: „Während der ersten Chemo mit EC (Epirubicin und Cyclophosphamid) ging es mir so schlecht, dass ich tatsächlich an Suizid gedacht habe“. Und tatsächlich ist das Risiko, einen Suizid zu begehen, bei Krebspatient:innen nahezu doppelt so hoch wie bei nicht betroffenen Personen. Die 30-Jährige bekommt nun Paclitaxel, ein anderes Chemotherapeutikum zur Behandlung des Brustkrebs. Aber die ersten 4 Zyklen E/C haben extreme Nebenwirkungen gehabt: „Ich konnte mich teilweise tagelang nicht mehr bewegen und war verstärkt auf Hilfe von außen angewiesen. Das war echt schlimm“, sagt sie. 

In Folge der körperlichen Erkrankung wurde sie sogar depressiv. „Schlichtweg davon, den ganzen Tag an die Decke zu starren, während der Körper reglos daliegt und die Psyche vollkommen wach ist.“ Da das Depressionsrisiko bei Krebspatient:innen aufgrund der enormen körperlichen und psychischen Belastungen generell erhöht ist, gibt es in Deutschland die Möglichkeit sich durch sogenannte Psychoonkolog:innen betreuen zu lassen, die auch Sofia dabei geholfen haben, ihre Erkrankung zu akzeptieren. Während ihre depressiven Symptome lediglich die ersten zwei Monate der Chemotherapie präsent waren, seien leichte Übelkeit, trockene Haut, Bauchschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten anhaltende Nebenwirkungen während der ersten Therapie gewesen. Letzteres – das sogenannte „Chemobrain“ – konnte Sofia durch kontinuierliches Gehirntraining, wie etwa das Schreiben an Artikeln, ausgleichen.

Last but not least: der Haarausfall. Dieses Thema ist besonders wichtig zu erwähnen, denn im Gegensatz zu den sehr unterschiedlich stark ausfallenden restlichen Nebenwirkungen, betrifft und verbindet der Haarausfall fast alle Krebspatient:innen. In der Regel setzt er zwei bis drei Wochen nach Beginn der Chemotherapie ein – abhängig davon, welche Medikamente verabreicht werden. Zuerst sind nur die Kopfhaare betroffen, etwas später können dann aber auch die Haare im Gesicht, am Körper und im Schambereich ausfallen. 

Sofia ließ sich bereits nach der zweiten Chemo-Session eine Glatze rasieren, weil sie das Gefühl „eine Leiche aus toten Haaren auf dem Kopf zu tragen“ unerträglich fand. Außerdem wollte sie die Kontrolle behalten. „Der Krebs nahm mir zwar meine schönen blonden Haare, aber ich wollte den genauen Zeitpunkt des Haarverlusts selbst bestimmen“, verrät sie im Interview. 

Auch Celina machte der Haarausfall mit ihren 10 Jahren am meisten zu schaffen. „Ich wollte doch Prinzessin werden“, sagt sie, „und da gab es eben weit und breit kein Vorbild mit Glatze“. Doch auch sie entschied sich dazu, dem Ganzen ein schnelles Ende zu setzen und griff zum Rasierer. Alles war besser, als ständig Haare im Essen zu haben und sie beim Kopfkratzen büschelweise in der Hand zu halten. 

Die 22-Jährige erinnert sich an etliche Nebenwirkungen. Von ausgetrockneten Schleimhäuten, über schmerzende Entzündungen und Wunden im Mund, bis hin zu quälender Übelkeit. In dieser Zeit aß Celina oft Nudeln, Gemüsebrühe – oder ihre Leibspeise: Curry King. „Meine Mutter war nach der langen Zeit der Übelkeit froh, dass ich überhaupt etwas gegessen habe“, erinnert sie sich zurück.

Beide Frauen nehmen aufgrund der Heißhungerattacken, die durch das Medikament Cortison ausgelöst werden, deutlich zu. Sofia wird durch die Gewichtszunahme beruhigt, „denn das heißt, dass die Chemo wirkt.“ Vor der Diagnose nahm die Journalistin in einem kurzen Zeitintervall sechs Kilogramm ab. „Da wusste ich noch nichts von der Erkrankung, aber ich hatte so ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.“ Diese Bedenken wurden bestätigt, als sie einen Knoten in ihrer Brust ertastete. 

Zu Beginn war sie völlig überfordert. Sie rechnete natürlich nicht damit, auch in ihrer näheren Familienhistorie habe es bis auf den Gebärmutterhalskrebs ihrer Ur-Großmutter keine vergleichbare Erkrankung gegeben. So war es für sie zunächst das Schwierigste, die Krankheit als solche zu akzeptieren. Vor der Diagnose hatte Sofia große Pläne, die sie zunächst auf Eis legen musste. „Wir hatten gerade eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich abgeschlossen und wollten die erste Print-Version des DIEVERPEILTE-Magazins rausbringen.“ Daraus wurde erstmal nichts. 

Stattdessen musste sie ihre fünfmonatige Chemotherapie in einem zertifizierten Brustzentrum beginnen. Im Zwei-Wochen-Takt bekam sie hier zwei Monate lang erst einen Präventiv-Cocktail an Medikamenten verabreicht, der unter anderem gegen Übelkeit helfen soll. Anschließend bekam sie die eigentliche Chemotherapie, die den Tumor schrumpfen lässt. Die Operation, bei der ihr auf der linken Seite ein Großteil der Lymphknoten rausgenommen und die übriggebliebenen Krebszellen entfernt werden, steht ihr noch bevor. Doch sie erzählt optimistisch: „Immerhin kann ich meine eigene Brust behalten und bekomme kein Implantat.“ Das habe der negative Gentest ermöglicht.

Und während Sofia ihren Alltag eher mit dem Rentnerdasein ihres Opas vergleicht, bin ich – in unserem Online-Interview über Zoom – doch erstaunt, dass sie circa zweimal pro Woche Sport treibt und auch weiterhin versucht zu arbeiten. Ansonsten hat sie aber auch viele Ärzt:innen-Termine und Krankenhausaufenthalte, Besuche von Freund:innen, geht spazieren und lebt insgesamt relativ isoliert. Nur zu Beginn der Chemo wäre sie noch einmal in Berlin feiern gewesen. „Ich will das Leben eben leben, wie es kommt“, sagt sie lächelnd.

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MENSCHEN, DIE ÜBER EINEN LÄNGEREN ZEITRAUM ZYSTOSTATIKA ERHALTEN, KÖNNEN IHRE MEDIKAMENTE MANCHMAL AUCH ÜBER EINEN SOGENANNTEN PORT BEKOMMEN. DIES IST EIN ZUGANG MIT EINER KLEINEN KAMMER, DER BEI EINER AMBULANTEN OPERATION UNTER DIE HAUT EINGESETZT UND ÜBER EINEN DÜNNEN SCHLAUCH MIT EINER GROßEN VENE VERBUNDEN WIRD – ALLE FOTOS: LEA MAY

Celina hingegen befindet sich gerade mitten in der Klausurenphase. „Ich habe einen gewöhnlichen Studierenden-Alltag“, betont sie schmunzelnd. „Das ist nicht immer nur Zuckerschlecken, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden.“ Am Wochenende geht sie in spanische Clubs, ihre Vormittage verbringt sie auf dem Campus der Uni oder im Café. An ihre überstandene Erkrankung wird sie heute nur noch selten erinnert. „Manchmal sprechen mich Leute beim Feiern auf meine Narben an.“ Denn dort, wo früher ihr Port für die Infusion war, hat sie heute eine Narbe und noch eine weitere am Hals, wo sie damals operiert wurde. An sich störe sie die Frage nicht besonders. Die Antwort sei nur eben ein „Stimmungskiller“, aber damit müssten die Leute dann halt leben. Denn die Reaktionen auf ihre überstandene Erkrankung äußerten sich häufig eher betroffen oder mitleidig, mit anschließenden ungalanten Versuchen, das Thema schnell wieder zu wechseln.

Während ihrer Chemotherapie musste sich Celina sehr stark isolieren. „Mein Immunsystem war so schwach, dass wir eine potenzielle Infektion unter allen Umständen verhindern mussten“, sagt sie. Das hat dazu geführt, dass ihre Familie sie ausschließlich mit Mundschutz besuchen durfte und andere soziale Kontakte zu dieser Zeit kaum möglich waren. Es war Celina ein großes Anliegen zu erwähnen, dass das Verhältnis zu ihrer Mutter immer ein ganz Besonderes gewesen sei. Und das ist bis heute so geblieben. „Meine Mutter hat mich immer unterstützt und ist mir nie von der Seite gewichen“, erzählt sie. Doch gegenüber ihren zwei älteren Brüdern habe Celina oft Schuldgefühle gehabt, da sie durch ihre Erkrankung deutlich mehr Aufmerksamkeit bekam. Nie habe ihr ein Familienmitglied dies aktiv vorgeworfen, aber Celina meint, dass sie auch heute noch teilweise ein schlechtes Gewissen hat, die Familie belastet zu haben oder Schuld daran sei, dass ihre Mutter aufhörte zu arbeiten.

Im Gegensatz zu Sofia, nahm Celina dafür nie psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Die Studentin erzählt: „Einige Jahre nach der Chemo hatte ich noch starke Ängste, Familienmitglieder zu verlieren, weil ich ja in den Jahren der Krankheit vollkommen auf deren Hilfe angewiesen war. Die mussten sich dann ständig bei mir melden, damit ich mich vergewissern konnte, dass es allen gut geht. Ich hatte dann sogar Zwangsgedanken, dass jemand stirbt, wenn ich jetzt nicht jeden Tisch im Raum berühre, oder so.“ Der Tod war in dieser Zeit sehr präsent in ihrem Leben. Dabei war ihr selbst nie bewusst, dass zeitnahes Sterben überhaupt eine reale Möglichkeit sei. „Eigentlich haben mich immer alle beruhigt und versucht, mir keine Angst zu machen“, erzählt Celina.

Mittlerweile kann sie sich aber von den Schuldgedanken lösen und sogar das Positive an der Erkrankung sehen. Sie ist viel wertschätzender gegenüber dem Leben geworden. Genau wie für Sofia, hat auch für Celina Gesundheit einen sehr hohen Stellenwert. „Dass es mir und meinen Lieben gut geht, ist das Wichtigste für mich“, meint sie und lächelt. Sie weiß, was sie da überstanden hat. Und die Studentin ist stolz darauf, dass sie damals so stark war. Sie hat sich kaum beschwert und – was ihr ganz wichtig sei – ihren Humor behalten.

Beide Frauen haben sich als Erinnerung ein Fotoalbum gebastelt, um die Erfahrungen verarbeiten zu können. Auch, um sich daran zu erinnern, wie viel Unterstützung sie erfahren haben. Das sei nicht selbstverständlich.

Sofia ist mittlerweile in der letzten Hälfte ihres zweiten Chemo-Zyklus angekommen. Inzwischen hat sie 7 von insgesamt 12 Gaben Taxol verabreicht bekommen. Das Gefühl, das direkt nach der Infundierung einsetzt, beschreibt sie als benebelt. Man kann es sich wie einen unangenehmen Rauschzustand vorstellen. 

Am folgenden Tag fühlt sie sich bereits fitter, sei sogar in der Lage zu arbeiten und auch zwischendurch Sport zu machen. Die Ärzt:innen empfehlen dies sogar, da es unter anderem den Taubheitsgefühlen in den Gliedmaßen, die durch die Chemo verursacht werden können, vorbeugen soll. Auch das neue Medikament Taxol hat Nebenwirkungen, diese sind für sie jedoch leichter zu ertragen. Dennoch wird sie durch täglich einsetzendes Nasenbluten, Hautausschlag, entzündete Schleimhäute, Knochenschmerzen und extreme Blasenschmerzen immer wieder an ihre Erkrankung erinnert. 

Als Krebspatientin bekommt Sofia medizinisches Cannabis von ihrem Hausarzt verschrieben. Es hilft gegen Schmerzen und Schlaflosigkeit und außerdem entspannt es. Eins sei aber klar: „Wenn ich letzten Montag bestimmte Nebenwirkungen hatte, dann werden sie am kommenden Montag wieder auftreten. Darauf ist Verlass.“ Auch das gibt ihr ein Gefühl der Kontrolle und eine gewisse Planbarkeit.

Celina hingegen konnte die Nebenwirkungen damals noch gar nicht verstehen. So kam es zu einer Situation, die sie im Nachhinein als sehr traumatisierend beschreibt: „Erst konnte ich meine Beine nicht mehr bewegen. Daraufhin habe ich meine Mutter gerufen.“ Ihre Mutter sei sich zunächst nicht sicher gewesen, ob Celina simuliere, weil sie sich zu dieser Zeit gern vor dem Zähneputzen drückte. Doch schnell wurde klar: Die Lage ist ernst. Ihre Lähmungen wurden schlimmer und nach einigen Minuten konnte sie nicht mehr sprechen und die Arme nicht mehr heben. Der erste Verdacht: Schlaganfall. „Doch das waren tatsächlich die gewöhnlichen Nebenwirkungen. Bei einer Chemo kann alles passieren – das möchte ich nie wieder erleben.“

Auch Sofia erzählt von traumatisierenden Folgen der Chemotherapie. „Einmal hatte ich so starke Bauchschmerzen, dass ich in die Notaufnahme musste.“ Auf die Frage hin, ob ihr dort geholfen wurde, antwortet sie: „Leider nicht wirklich. Es ist schlimm, aber da musst Du jetzt durch“, bekam sie als Antwort vom Personal. „Da habe ich mich überhaupt nicht ernst genommen gefühlt.“ 

Die 30-jährige Journalistin ist stolz darauf, dass sie ihre Krankheit nicht selbst zum Tabu macht und auch darauf, wie sie ihr bisheriges Leben gelebt hat. „Abgesehen von ein paar Änderungen würde ich da gern wieder hin.“ Sie hat es geschafft, durch ihr Herzensprojekt „DIEVERPEILTE“ anderen Menschen eine Perspektive zu geben und dadurch eine uneingeschränkte Plattform für alle zu bieten. 

Als Nächstes wäre da noch dieser Freedom-Day: „Auf den Tag, an dem die Chemo endet, freue ich mich schon ganz besonders. Ab da möchte ich meinen Haaren beim Wachsen zusehen, in ferne Länder reisen – am besten allein – um mal etwas ganz für mich zu machen. Und die Krankheit hinter mir lassen.“ Sie will das Leben in vollen Zügen genießen und keine Angst mehr haben, sich zu blamieren. Sie wird tanzen, frei sein und reisen – und hoffentlich nie wieder Krebs haben.

Wenn Celina spricht, dann spürt man ihre Lebenserfahrung in jeder Pore. Auf eine außergewöhnlich positive Art und Weise. Nachdenklich bittet sie mich, Sofia eine Nachricht auszurichten. „Ich wünsche dir zuallererst natürlich, dass du gesund wirst“, sagt sie. „Aber auch, dass du immer jemanden an deiner Seite hast, dass du zwischen all dem Schmerz deinen Humor nicht verlierst und es schaffst, dich mit positiven Gedanken abzulenken.“ Denn ein „was wäre, wenn“ würde eh nicht helfen. Dann sei es vielleicht sogar möglich, der Krankheit etwas abzugewinnen.

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CELINA, ENDE DEZEMBER IN PALMA © GRETA NIEWIADOMSKI

Auch Sofia berichtet mir von einigen positiven Erfahrungen, die sie durch die Erkrankung erleben durfte. „Die erste Reaktion von anderen ist meistens Mitleid“, sagt sie. „Aber das brauche ich gar nicht.“ Sie sei empathischer und dankbarer geworden, habe mehr Geduld mit sich und ihrem Körper und auch die Möglichkeit, viele interessante Menschen zu treffen. „Ich habe meinen Körper besser kennengelernt und bin ganz begeistert, was er alles leisten kann“, erzählt sie lächelnd.

Sofia wendet sich gegen Ende unseres Zoom-Meetings nochmal an alle, die Krebs hatten oder haben sowie an deren Angehörige. „Achtet auf euch und sorgt dafür, dass ihr ein stabiles Umfeld habt. Und wenn ihr kein stabiles Umfeld habt, oder sogar im Stich gelassen werdet, dann scheut nicht davor, auch therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt sie. In einsamen Momenten könne es sogar helfen, sich selbst zu umarmen und sich die Zeit zu nehmen, alles zu verarbeiten. „Das ist ein ganz schöner Brocken und ich habe selbst wochenlang gebraucht, um mir darüber klar zu werden: Ich habe jetzt Krebs.“

Und auch die Studentin Celina geht immer noch jährlich zur Kontrolluntersuchung. „Einfach, um für mich selbst die Sicherheit zu haben.“ Da ihr erstes Krebs-Symptom ein starker Husten war, zuckt sie bei Erkältungen auch heute noch gelegentlich zusammen. „Aber dann kann ich ja einfach zum Arzt gehen und das abklären lassen“, sagt sie und verneint die Frage, ob sie Angst habe, wieder zu erkranken. „Ich versuche, Risikofaktoren – wie beispielsweise das Rauchen – vollkommen aus meinem Leben auszuklammern. Aber mehr kann ich nicht tun.“ Und damit könne sie abends beruhigt und angstfrei schlafen gehen.

Um abschließend noch die wichtigste Frage zu beantworten: Sofia wird später eine selbstgemachte Lasagne verspeisen, die von ihrer Tante gezaubert wird, während Celina sich zwischen dem Hipster-Avocado-Toast und einem billigen abgepackten Schokobrötchen entscheiden muss. Ich gehe jetzt nach Hause, um mir einen Tee zu kochen. Denn ich muss das jetzt alles erstmal verarbeiten. Oder um es mit Celinas Worten zu sagen: „Bruder muss los.“

AUTORIN: GRETA NIEWIADOMSKI, TITELBILD: TERESA VOLLMUTH

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Dieser Text erschien zuerst auf DIEVERPEILTE.

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